Siemens feiert sein 175-jähriges Bestehen und baut den Stadtteil rund um den Berliner Standort zur Smart City aus. Auch bei der Ausrichtung der Geschäftsfelder blickt man in die Zukunft: Der Konzern etabliert sich als Digitalisierungsspezialist für die Industrie.
Titelbild: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte in seiner Festrede »175 Jahre Industriegeschichte«.
Am 12. Oktober 1847 nahm eine kleine Manufaktur in einem Berliner Hinterhof mit zehn Mitarbeitern den Betrieb auf. Werner von Siemens und Johann Georg Halske begründeten mit der Produktion von Zeigertelegrafen eine deutsche Erfolgsgeschichte. Heute beschäftigt Siemens mehr als 300.000 Menschen in 190 Ländern und ist mit 62 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Technologiekonzerne der Welt. »Siemens hat vor 175 Jahren einen Grundstein für das Industriezeitalter gelegt«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Festrede. »Mit seinen Innovationen schiebt Siemens auch heute die digitale und ökologische Doppeltransformation mit an.«
Real und digital
Tatsächlich hat sich das Unternehmen im Laufe seiner langen Geschichte immer wieder radikal gewandelt. Viele Produkte, die man früher mit dem traditionsreichen Namen verband, wie etwa Telefone oder Kühlschränke, stellt Siemens heute nicht mehr her. Stattdessen positioniert sich der Konzern als Innovationsführer in den Bereichen Automatisierung, Infrastruktur und Mobilität. Die größten Sprünge machte zuletzt die Sparte Digital Industries, die Kunden mit End-to-End-Lösungen bei ihrer digitalen Transformation begleitet. Prozesse werden digitalisiert und optimiert, von der Fabrikshalle bis ins Büro, entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dank künstlicher Intelligenz und digitaler Abbilder werden Fehler erkannt und behoben, bevor sie zu Problemen führen. Die lückenlose Überwachung schließt auch Ressourcenverbrauch und Energieeffizienz ein – Nachhaltigkeit ist neben der Digitalisierung eines der Leitthemen von Siemens.
Um technologisch am Ball zu bleiben, hat der Konzern seit 2008 rund zehn Milliarden Euro in den Zukauf von Softwarefirmen investiert, pro Jahr fließen fünf Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Auch in Zukunft will der Konzern Meilensteine setzen. Gemeinsam mit dem Grafikspezialisten Nvidia will Siemens eine digitale Plattform für die Industrie schaffen und Unternehmen ins »Metaversum« bringen. Der Xcelerator versteht sich als Ökosystem, in dem Siemens und andere Anbieter ihre Dienstleistungen as-a-Service zur Verfügung stellen – ein digitaler Marktplatz mit offenen Schnittstellen.
»Wir verbinden die reale und die digitale Welt und die Kraft von Hardware und Software«, betont Strategiechef Peter Körte. Fachleute rund um den Erdball können virtuell zusammenarbeiten, als wären sie in einem Raum. Fotorealistische Grafik und künstliche Intelligenz liefern einen digitalen Zwilling, an dem in Echtzeit unzählige Varianten durchgespielt werden können. Aktuelles Beispiel: Ein detailgenaues Digitalmodell ermöglichte während der Coronapandemie den Umbau des Biontech-Werks in Marburg in der Rekordzeit von nur fünf Monaten.
Wie die Vernetzung von realer und digitaler Welt funktioniert, zeigt Siemens auch in der Kernsparte Mobility vor: Von Zügen und Schienen bis zu modernen Bahnmanagementsystemen, die auch Wartung, Fahrpläne, Reservierung und Ticketverkauf einschließen, gibt es das Komplettpaket aus einer Hand.
5 Milliarden Euro fließen bei Siemens jährlich in Forschung und Entwicklung.
Siemensstadt Square
Digitale Zwillinge nehmen bei Gebäuden eine zentrale Rolle ein. Siemens bündelt im Rahmen einer 2016 geschlossenen Partnerschaft mit Bentley Systems die Welten von OT und IT, um intelligente Infrastrukturen über den gesamten Lebenzyklus hinweg zu simulieren und optimieren. Mit der im Juni 2022 erfolgten Übernahme von Brightly Software sicherte sich Siemens zudem Know-how im Bereich Anlagen- und Wartungsmanagement. Zur Anwendung kommt dieses Wissen künftig im eigenen Stadtteil: In Siemensstadt in Berlin-Spandau, wo die Gründungsväter Siemens und Halske den ersten Industriestandort errichteten, entsteht bis 2035 ein neues Stadtviertel.
Der »Siemensstadt Square« soll neben zwei modernen Produktionshubs auf 73 Hektar Platz zum Wohnen, Forschen und Erholen bieten. Rund vier Milliarden Euro sind veranschlagt, 600 Millionen Euro kommen von Siemens – das größte Investment in der Unternehmensgeschichte. Bereits 2029 reaktiviert die Deutsche Bahn die frühere Siemensbahn und schließt das Stadtquartier wieder an den S-Bahn-Ring an. Zusätzlich soll es autonom fahrende Kleinbusse geben. Gänzlich autofrei wird es nicht gehen, da viele Siemens-Mitarbeiter*innen vermutlich auch in Zukunft mit eigenen Fahrzeugen kommen werden. So sind aktuell 7.000 Stellplätze in Tiefgaragen und Parkhäusern vorgesehen. Das Viertel soll CO2-neutral betrieben werden. Photovoltaik, Wärmepumpen sowie die Nutzung von Abwasserwärme und -kälte steuern die Hälfte des Energiebedarfs bei; auch Geothermie könnte zum Einsatz kommen. Auf versiegelte Flächen wird möglichst verzichtet.
Bei der Errichtung des neuen Stadtteils »Siemensstadt Square« wie auch in der Kernsparte Mobility setzt Siemens neue Maßstäbe.
Der Digital Twin leistet schon bei der Planung wertvolle Hilfe. Eineinhalb Jahre wurden sämtliche Daten des bestehenden Industrieareals erfasst und bilden nun die Basis für die digitale Simulation. Einzelne Gebäude sowie die gesamte Infrastruktur mit Straßen, Freiflächen und Energieversorgung werden in einem ganzheitlichen Modell abgebildet. Per Knopfdruck ist ein Blick in den Untergrund des Stadtviertels, seine Leitungen und Rohrsysteme, möglich. Der Zukunftsort entsteht somit zweimal – erst digital, dann real.