Digitalisierung und Nachhaltigkeit müssen ineinander greifen, damit die Klimawende gelingt. Gefragt sind nun Perspektiven für eine klimaneutrale und resiliente Stadt der Zukunft.
Die enorm gestiegenen Energiekosten stellen nicht nur private Haushalte und Unternehmen vor große Probleme, auch Kommunen sind gefordert. Sparmaßnahmen sind nur ein erstes Mittel – langfristig braucht es Investitionen, die eine unabhängige Energieversorgung sichern. Gleichzeitig gilt es, die Erreichung der Klimaziele im Auge zu behalten.
Zur Verringerung des CO2-Ausstoßes müssen sich Städte und Gemeinden intelligenter aufstellen. Durch die Digitalisierung von Versorgung und Verwaltung, die Messung von Energieverbrauch und Emissionen sowie die smarte Steuerung des Verkehrs können Emissionen und Kosten entscheidend reduziert werden. Die Lösungen dafür gibt es bereits: Laternen, die sich automatisch dimmen, wenn niemand durch die Straße fährt oder geht; sensorgesteuerte Mülltonnen, die nur geleert werden, wenn sie voll sind; automatische Messsysteme, die Daten von Abwasser- oder Luftqualität in Echtzeit auswerten.
Auch der Ausbau erneuerbarer Energieträger geht Hand in Hand mit dem Ausbau der digitalen Infrastruktur. Mit Blick auf die gegenwärtige Energiekrise und den Klimawandel wäre hier rasches Handeln angezeigt. »Weltweit zeigen Smart Cities erfolgreich, dass die Digitalisierung dazu beiträgt, ökologische und ökonomische Probleme zu lösen. So lässt sich durch E-Busse, intermodale Mobilität und digitalisierte Gebäude der CO2-Ausstoß verringern«, unterstreicht Bitkom-Präsident Achim Berg die Dringlichkeit.
Digitalisierung als Schlüssel
Der Digitalisierungsgrad vieler Kommunen ist allerdings höchst unterschiedlich. Einige Großstädte treiben die Energiewende aktiv voran, bündeln das digitale Know-how und suchen sich Verbündete – so vereinbarte Wien mit München ein Arbeitsübereinkommen zur städtischen Energieversorgung. »Die Klima-Herausforderung wird in großen Städten wie München oder Wien entschieden. Dort stehen die städtischen Versorger im Rampenlicht, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Wir nehmen diese Pionierrolle an, um den großen Umbau der Energie- und Mobilitätssysteme möglich zu machen«, begründet Peter Weinelt, stellvertretender Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, die Kooperation.
Kleinere Kommunen agieren dagegen häufig als Einzelkämpfer. Abgesehen von den Kosten spießt es sich auch an der Vernetzung. »Es zeigt sich immer wieder, dass Einzellösungen oft perfekt funktionieren, aber an der Integration in bestehende Systeme scheitert es dann«, sagt Johannes Pressl, Bürgermeister von Ardagger und Präsident des NÖ Gemeindebundes. So ist in Niederösterreich derzeit eine Energieausweis- und Anlagendatenbank in Ausarbeitung, um den mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien nötigen Kesseltausch verwalten zu können. Dabei gibt es bereits die Gebäude- und Wohnungsregisterdaten (GWR) in den Gemeinden. »Es ist nicht effizient, dass man wegen jeder neuen Anwendung immer wieder alles neu eingeben muss«, meint Pressl. Gerade in kleinen Gemeinden fehle es zumeist an fachkundigem Personal für komplexe Digitalisierungsprojekte.
Geothermie ist ein Baustein zur Klimaneutralität, der künftig noch stärker genutzt werden soll. (Bild: iStock)
Die Umstellung fossiler Heizsysteme auf erneuerbare Wärme ist ein wesentlicher Baustein zur Klimaneutralität und Energieautonomie. In vielen Neubaugebieten sind Geothermie bzw. Erdwärmeversorgung über Sonden und Wärmepumpen bereits Standard. Unterstützt durch digitales Monitoring nutzen diese Systeme die vorhandenen Ressourcen effizienter und tragen somit doppelt zum Klimaschutz bei.
Auch in Wien soll Geothermie künftig eine größere Rolle spielen. Vorbild dafür ist München, wo spätestens 2040 Geothermie weitgehend die Fernwärme-Versorgung der Stadt übernimmt. In Wien soll dann zumindest ein Viertel der Fernwärme aus der Tiefe stammen. In zweijähriger Forschungsarbeit wurde Datenmaterial aus Bodenmessungen im Wiener Becken im Umfang von rund 50 Terabyte ausgewertet und ein geologisches 3D-Modell erstellt. Statt teure Bohrungen durchzuführen, konnte mithilfe von Reflexionsseismik im Aderklaaer Konglomerat ein bis zu 100 Grad heißer Wasserspeicher aufgespürt werden. Dieses Reservoir erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer und könnte in Zukunft rund 125.000 Haushalte mit Wärme versorgen.
Strategiepläne für Europa
Weltweit spüren Bewohner*innen von Städten bereits die Auswirkungen zunehmender Urbanisierung. Klimawandel, Umweltbelastungen und Ressourcenknappheit sind nur einige der Herausforderungen, die es zu meistern gilt, um eine hohe Lebensqualität der Bevölkerung sowie eine resiliente Stadt und eine intakte Umwelt zu sichern.
Im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts UnaLab werden »naturbasierte« Lösungen erprobt, um einen europäischen Referenzrahmen für nachhaltige Städte zu schaffen. Dem UnaLab-Konsortium gehören 28 Partner aus zehn Städten in ganz Europa mit Vertreter*innen der Kommunen, Forschung, Wirtschaft und Industrie an. In den Vorreiterstädten Eindhoven, Genua und Tampere werden Pilotprojekte gemeinsam mit lokalen Akteur*innen und der Bevölkerung geplant und umgesetzt. Das gesammelte Wissen wird in Strategieplänen dokumentiert, um die Replizierbarkeit der Lösungen in den fünf Nachfolgestädten Stavanger, Basaksehir, Cannes, Castellón und Prag zu evaluieren. Als außereuropäische Beobachter fungieren Buenos Aires, Hongkong, Guangzhou und das Netzwerk intelligenter brasilianischer Städte. Die Bandbreite der entwickelten Lösungen reicht von Mobilitätskonzepten über Sturm- und Hochwasserwarnsysteme bis zu begrünten Fassaden und Dächern zur Verbesserung der Luftqualität. In Genua entstehen beispielsweise »Regen-Gärten«, um die Wasseraufnahmekapazität zu verdoppeln und das Risiko von Überschwemmungen zu mindern.
Hendrik Frieling, Fraunhofer IAO: »Die smart City birgt große Potenziale für die nachhaltige Stadtentwicklung.« (Bild: IAO)
Seit zehn Jahren entwickeln mehrere Fraunhofer-Institute gemeinsam mit Partnern aus Kommunen und der Industrie in der sogenannten »Morgenstadt-Initiative« Konzepte für die Stadt der Zukunft. Die interdisziplinäre Partnerschaft versteht Städte als komplexe, adaptive Systeme, basierend auf der Überzeugung, dass der Schlüssel für die großen Herausforderungen unserer Zeit in der klimaneutralen und digitalen Transformation liegt. So folgt das Arbeitsprogramm 2022/23 der Vision einer »nachhaltigen Smart City« und weist auf die Verflechtung der beiden Leitthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit hin. Ziel der Initiative ist es, Lösungen für CO2-neutrale, lebenswerte und resiliente Städte aufzuzeigen. »Die Smart City birgt große Potenziale für die nachhaltige Stadtentwicklung. Wichtig ist jedoch, dass sie dabei die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger adressiert und ihre Umsetzung neben Klimazielen auch die soziale Integration fördert«, betont Hendrik Frieling, Forschungskoordinator am Fraunhofer IAO.
Vernetzte Infrastruktur
Eines der Morgenstadt-Projekte ist InDigWa (Integrierte Digitalisierung der Trinkwasserversorgung), das auf synergetische Datennutzung »vom Brunnen bis zum Wasserhahn« fokussiert. Die Initiative bringt erstmals alle Stakeholder der Trinkwasserversorgung an einen Tisch, um mittels datenbasierter, vernetzter Lösungen sowohl die Effizienz als auch die Qualität des Gesamtsystems zu steigern.
Sensorgesteuerte Bewässerungssysteme steuern die Wassermenge und sparen wertvolle Ressourcen. (Bild: iStock)
Nicht nur Gas, Öl oder Strom gilt somit die Aufmerksamkeit: Im Zuge der Klimaerwärmung wird Wasser zunehmend ein kostbares Gut. Die Paessler AG, Anbieter von Monitoring-Systemen für komplexe IT-, OT- und IoT-Infrastrukturen, entwickelte für ein großes Gemüseanbaugebiet in Franken eine effiziente Bewässerungslösung zur Versorgung der lokalen Felder. Die »Knoblauchsland« genannte Gegend im Großraum Nürnberg ist für geringe Niederschlagsmengen bekannt. Die im Feld platzierten Sensoren erheben zeitgleich Daten zur Bodenbeschaffenheit, zum Wetter sowie zum Zustand der Hardwarekomponenten des Bewässerungssystems. Auf Basis der Ergebnisse wird die Wassermenge automatisch gesteuert.
Kürzlich erhielt das Unternehmen für das Pilotprojekt den Umweltpreis 2022 der Stadt Nürnberg. »Diese Auszeichnung bedeutet uns sehr viel«, erklärt Joachim Weber, CTO bei Paessler: »Zum einen, weil das Projekt in jeder Hinsicht auf unseren Unternehmenszweck einzahlt – nämlich einen Beitrag zur allgemeinen Reduzierung des Ressourcenverbrauchs in unserer Welt zu leisten. Zum anderen, weil es für uns auch einen technologischen Meilenstein bedeutet. Denn wir erweitern unser bisheriges, auf reines Monitoring ausgelegtes Leistungsportfolio erstmals um aktive Steuerungsfunktionalitäten.« Paessler rechnet damit, dass mit fortschreitender Digitalisierung künftig IoT-Lösungen gefragt sind, die beides vereinen: Datenerfassung und -übermittlung sowie darauf basierende Automatisierung und Handlungsempfehlungen in Echtzeit.
Nikolaus Kawka, Zühlke Österreich: »Durch die multiplen Krisen wird der Prozess der Digitalisierung noch weiter verstärkt.« (Bild: Gianmaria Gava)
Die Zukunftsfähigkeit von Kommunen hängt in hohem Maß davon ab, ob Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Lebensqualität und Innovationsbereitschaft berücksichtigt werden. »Die Digitalisierung ist das Leitmotiv unserer Jahre. Mit einer für die Digitalisierung typischen Dynamik werden fast alle Aspekte unseres Lebens umgekrempelt«, sagt Nikolaus Kawka, CEO Zühlke Österreich. »Auch für die zweite große Herausforderung, die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, wird die Digitalisierung eine unabdingbare Voraussetzung: So ist industrielle Kreislaufwirtschaft ohne das Sammeln von digitalen Daten über Materialien und Produkte eigentlich gar nicht machbar.« Als Innovationsdienstleister unterstützt Zühlke die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Die gegenwärtige geopolitische Situation schätzt Kawka eher als Motor ein: »Durch die multiplen Krisen – Energie, Inflation, Instabilität – und widersprüchlichen Zielsetzungen – Versorgungssicherheit vs. Klimaschutz – wird der Prozess der Digitalisierung nur weiter verstärkt.«
Erfolgsfaktor Digitalisierung
Accenture identifizierte gemeinsam mit der Industriellenvereinigung in der Studie »Digitale Dividende 2022« die Strategien »digitaler Champions«. (Bild: Csaky)
Für die Studie wurden 75 Unternehmen nach ihrem Digitalisierungsgrad in vier Stufen – von »digital blind« bis »digital autonom« – unterteilt und zu ihren Strategien und Maßnahmen befragt. Die Unternehmen mit dem höchsten Digitalisierungsgrad erwiesen sich als wirtschaftlich am erfolgreichsten. »Digitale Technologien wirken als Turbo für die Organisationen«, sagt Michael Zettel, Country Managing Director von Accenture Österreich.
Unternehmen, die verstärkt digitale Technologien einsetzen, weisen verkürzte Produktzyklen vor und agieren deutlich schneller auf Marktveränderungen. Digitale Champions erwirtschaften 24 Prozent ihres Umsatzes mit neuen Produkten, die aufgrund besserer Ressourceneffizienz auch nachhaltiger sind. Diese Ergebnisse ziehen sich durch alle Branchen – unabhängig von der Branche oder der Größe, der Struktur und des Alters des Unternehmens. »Wir sehen Unternehmen sozusagen aus der Oldest Economy – zum Beispiel der Holz- und der Steinindustrie –, die genauso Innovations- und Strukturwandeltreiber sind wie Unternehmen aus der Informationstechnologie«, unterstreicht Christian Helmenstein, Chefökonom Industriellenvereinigung. »Es gibt damit keine Entschuldigung, dass Unternehmen nicht auf die Digitalisierung setzen.«