Donnerstag, Juli 18, 2024



Der Vorstandsvorsitzende der börsenotierten Lenzing AG fordert von der Politik mehr Hilfe und Unterstützung der Industrie: "Wir haben ein Preisproblem, kein Versorgungsproblem".

Für den Vorstandschef des börsenotierten Faserherstellers Lenzing AG, Stephan Sielaff (Bild), ist der Produktionsstandort Österreich attraktiv, aber dennoch in Gefahr. "Die Gaspreise sind in Österreich hoch, aber nicht in China. Wenn wir nicht mehr kostendeckend arbeiten können, ist irgendwann Feierabend", so Sielaff in einem "Executive Talk" mit Horváth Österreich-Chef Stefan Bergsmann. Das ganze Gespräch ist auf YouTube abrufbar. https://youtu.be/5DMIWewVvYA

Die aktuelle Energiekrise ist laut dem Lenzing-CEO eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte, daher ist jetzt ganz wichtig, dass die Politik der Industrie gut zuhört. Obwohl die Faserpreise bereits deutlich erhöht werden konnten, reicht dies nicht zur Abdeckung der hohen Energie- und Rohstoffkosten an den österreichischen Standorten. "Dann bleibt uns nichts anderes übrig als die Produktion zu drosseln."

Die Energieversorgung bereitet Sielaff weniger Sorgen. Die sei gesichert, und da ist Österreich auch deutlich besser aufgestellt als Deutschland. "Viele unserer Rohstoffe kommen aber von der Rheinschiene, also BASF & Co. Und wenn die wirklich runter fährt, dann hat nicht nur Lenzing ein Thema, sondern dann haben ganz, ganz viele Unternehmen in Europa ein Problem." Das Gasversorgungsthema isoliert auf ein Land zu betrachten, bringt nichts.

EU-Politik in der Pflicht
Sielaff sieht daher die Politik in der Pflicht. Sie muss den Unternehmen bei den Preisen Rückendeckung geben, damit sie weiterarbeiten können. Der Lenzing-Standort Heiligenkreuz sei einer der wichtigsten Industriestandorte im Burgenland. "Wir wollen und haben konkrete Pläne, hier weitere 200 bis 300 Mio. Euro zu investieren. Das Einzige, was wir jetzt brauchen, ist eine klare Energieversorgung zu vernünftigen Preisen. Denn sonst sind wir international nicht mehr wettbewerbsfähig."

Sielaff im O-Ton: "Ich glaube, Lenzing hat für Östereich, für die EU, aber auch hier im Burgenland absolut Tolles geleistet. Wir sind ein Aushängeschild. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass die Politik handelt. Denn wenn wir uns zu viel Zeit lassen, dann gibt es diese Industrie nicht mehr in Europa. Wir sind in unserem Markt der einzige Global Player. Wir sind der Nachhaltigste in Europa. Daher verstehe ich nicht, warum gerade ein Unternehmen, dass zu den besten 1% in punkto Nachhaltigkeit gehört, nicht besser gefördert und unterstützt wird."

Besonders unverständlich - wissenschaftlich wie ökonomisch - ist für Sielaff, dass Unternehmen der Papierindustrie, wenn sie ein Zellstoffwerk betreiben, die sogenannte Strompreiskompensation der EU erhalten, Faserhersteller, die den gleichen Zellstoff herstellen aber nicht. "Das prüfen wir gerade, auch legale Schritte, das kann nicht sein. Ich kämpfe hier für den Standort in Heiligenkreuz. Die Aktivitäten des Landes Burgenland sind gut, aber die helfen mir morgen nicht."

Grundsätzlich gut sieht der im April 2022 berufene Lenzing-Chef sein Unternehmen für die Zukunft gerüstet. "Wir sind in manchen Bereichen Marktführer, beispielsweise bei der Lyocell-Faser, die auch weltweit am stärksten wächst." Bis dato sei das Wachstum nur durch die verfügbaren Kapazitäten limitiert. Sielaff: "Lenzing war immer ausverkauft in den letzten Jahren, und wir werden daher weitere Kapazitäten installieren." Das gilt für Brasilien ebenso wie für Thailand, wo das kürzlich eröffnete Lenzing-Werk schon jetzt ausverkauft ist. Das ist aber auch eine Herausforderung, denn bei einer solchen Anlage geht es um Investitionen von 400 Mio. Euro.

Die zweite große Aktie für Lenzing ist das Thema Nachhaltigkeit. Auch hier will das Unternehmenden nächsten Schritt gehen, und zwar den zur Kreislaufwirtschaft - insbesondere im Textilbereich. Aktuell würden nur 1% der Kleidungsstücke weltweit recycelt, der Berg an geschredderten Kleidungsstücken, die nicht abgesetzt und auch nicht abgebaut werden können, wächst und wächst. "Dieses Wachstum müssen wir stoppen", sagte Sielaff. "Wir wollen Technologien entwickeln, um nicht mehr benötigte Textilien in Fasern umwandeln und daraus neue Kleidungsstücke machen zu können."

Nachhaltigkeit ist für Lenzing ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, aber natürlich auch ein gewichtiger Kostenfaktor, bestätigte Sielaff. Das schätzen auch die Kunden. "Wir haben in den letzten Jahren 200 Mio. Euro nur in Nachhaltigkeitsfragen investiert. Ich kenne nicht viele Unternehmen, die das tun. Wir kriegen dadurch ja auch nicht eine Tonne mehr Produkt. Aber die Produkte, die wir dann produzieren, sind die besten am Markt, nicht nur qualitativ, sondern auch von ihrem ökologischen Fußabdruck."

Fachkräftemangel europäisches Problem
Der allerorten beklagte Fachkräftemangel ist für Lenzing ähnlich ambivalent wie die Energiefrage. Das Problem besteht nur in Europa, nicht aber global. Sielaff: "Wir haben ja zwei neue Standorte, in Brasilien und in Thailand. In beiden Ländern, und das war auch ein Auswahlkriterium, ist der Fachkräftemangel überhaupt kein Thema. Im Gegenteil, wir hatten viel mehr Bewerber als Stellen, und wir sind hochbegeistert von der Qualität der Mitarbeiter."

Die Produktion in Thailand läuft schon fast so effizient wie in Lenzing. Da sei er wirklich sehr zufrieden. "Und dann komme ich nach Österreich, und hier bin ich das nicht. Wir sehen absolut einen Fachkräftemangel, gerade in den qualifizierten, mechanischen Jobs. Wir sehen ein schrumpfendes Interesse bei der jüngeren Generation, wenn es um Schichtarbeit geht. Und wir sehen einen Qualifikationsmangel. Aber wir können damit umgehen und haben Ideen, wie wir Lenzing für Bewerber attraktiv machen. Was uns bei der jüngeren Generation hilft, ist unser zentrales Thema Nachhaltigkeit."

Foto: Wilfried Seywald

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