Mittwoch, November 20, 2024

Nachhaltigkeit wird zum entscheidenden Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Branchenleader versuchen mit innovativen Ansätzen, die Kreisläufe zu schließen. 


Beim Thema Klimawandel ist Österreichs Wirtschaft zwiegespalten. Die Mehrheit der heimischen Unternehmen glaubt nicht, dass die Pariser Klimaziele noch erreicht werden können. Diesen pessimistischen Ausblick teilen 72 Prozent der 400 Führungskräfte, die im April und Mai vom Forschungsinstitut SORA für den Deloitte Sustainability Check 2022 befragt wurden. Gleichzeitig unterschätzen viele Unternehmen die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels – drei Viertel der Befragten sehen kaum Gefahr für ihre Geschäftsmodelle und wiegen sich möglicherweise in trügerischer Sicherheit. Die volkswirtschaftlichen Berechnungen sind alarmierend: Werden keine Maßnahmen ergriffen, könnte die Klimakrise Österreichs Wirtschaft bis 2070 rund 100 Milliarden Euro kosten.

»Wenn wir nichts tun, vernichten wir hunderttausende Arbeitsplätze und gefährden unseren Wohlstand«, warnt Alexander Kainer, Partner bei Deloitte Österreich. Vier von zehn österreichischen Unternehmen spüren bereits direkte Auswirkungen und setzen aktiv Schritte, um gegenzusteuern. Besonders groß ist das Problembewusstsein in der Landwirtschaft und in der Industrie. Durch Investitionen in erneuerbare Energien und den Umstieg auf CO2-neutrale Produktion nutzen sie eine Chance, die Österreich einen Vorteil von bis zu 300 Milliarden Euro bringen könnte, so der Deloitte-Experte: »Damit der Umbau gelingen kann, braucht es aber stabile Rahmenbedingungen sowie umfassende finanzielle Unterstützung vom Staat. Ein Schulterschluss von Politik und Wirtschaft ist das Gebot der Stunde.«

Benchmarks setzen

Einige Unternehmen warten jedoch nicht auf allfällige staatliche Unterstützung, sondern legen bereits vor und setzen in ihren Branchen in puncto Nachhaltigkeit wichtige Benchmarks. So hat die Greiner AG, einer der weltweit führenden Anbieter von Kunststoff- und Schaumstofflösungen, 2020 eine umfassende ökologische Transformation in allen Sparten des Unternehmens angestoßen. Die Erreichung erster Etappenziele lässt sich bereits in den Nachhaltigkeitsdaten des Vorjahres ablesen. Der Ökostrom-Anteil im gesamten Konzern stieg auf 35 Prozent, in Österreich beziehen seit 2019 alle Standorte ausschließlich zertifizierten Strom aus erneuerbaren Quellen. Bis 2030 will das oberösterreichische Familienunternehmen klimaneutral sein.

Aktuell beläuft sich die weltweite CO2-Bilanz – der Konzern ist an 129 Standorten in 33 Ländern tätig – auf mehr als 2,5 Millionen Tonnen CO2, was in etwa den Emissionen von halb Tirol in einem Jahr entspricht. »Wir sind uns des enormen Fußabdrucks und der Verantwortung bewusst, die mit dieser Menge einhergeht«, sagt Greiner-CEO Axel Kühner. Stärker als bisher will das Unternehmen auf recycelte Kunststoffe zurückgreifen. Zudem werden Produkte mit innovativen Lösungen weiterentwickelt, die sich wiederverwenden, recyceln oder kompostieren lassen.

Der »K3 r100 Becher« – ein Joghurtbecher, der sich selbst trennt – oder eine gemeinsame Forschungsinitiative mit dem Chemiekonzern BASF zum Recycling von Matratzen sind Pilotprojekte, die in den vergangenen Monaten umgesetzt wurden. Akuten Handlungsbedarf sieht Kühner im Bereich der Lieferketten. Das Ziel, 80 Prozent des Bedarfs von nachhaltig wirtschaftenden Lieferant*innen zu beziehen, wurde erneut klar verfehlt, wie der Greiner-Chef offen eingesteht.

Axel Kühner, Greiner AG: »Nachhaltigkeit kann nur mit Transparenz funktionieren. Deshalb legen wir regelmäßig offen, wo wir stehen.« (Bild: Greiner AG)

Wichtige Rohstoffe

Vielfach bleiben in der Wirtschaft noch wichtige Rohstoffe, die in Rest- und Abfallprodukten enthalten sind, ungenutzt. Ein Beispiel: Phosphor ist ein essentieller Nährstoff für Pflanzen, Tiere und Menschen – und Hauptbestandteil vieler Düngemittel. Über den Konsum von Lebensmitteln gelangt Phosphor in die Kläranlage und wird nach der energetischen Verwertung des Klärschlamms als Asche meist ungenutzt abgelagert. Allein in Wien fallen jährlich 12.000 Tonnen Klärschlammasche an, die derzeit auf der Deponie Rautenweg gelagert werden. Darin sind 1.500 Tonnen Phosphor enthalten, der neben Stickstoff und Kalium zu den wichtigsten Düngemitteln in der Landwirtschaft gehört. Der Ausgangsstoff Rohphosphat wird nur in wenigen Ländern wie etwa Marokko, Russland, China und Brasilien gewonnen. Die EU-Kommission nahm Rohphosphat 2014 in die Liste der »kritischen« Rohstoffe auf.

Bislang ist Österreich zu fast 100 Prozent auf Importe angewiesen, obwohl in den heimischen Kläranlagen pro Jahr rund 7.800 Tonnen Phosphor aus Klärschlamm gewonnen werden könnten. Nur teilweise wird die Klärschlammasche direkt oder nach einer Kompostierung auf die Felder aufgebracht. Der Nachteil: Der Phosphor geht auf diese Weise zwar nicht verloren, gleichzeitig werden aber auch enthaltene Schadstoffe und Mikroplastik verteilt. Der in Wien anfallende Klärschlamm ist »sauber« – die Hauptkläranlage der ebswien in Simmering reinigt die gesamten Abwässer zunächst mechanisch und danach in zwei biologischen Reinigungsstufen, bis neben sauberem Wasser als Restprodukt Klärschlamm in Form von Trockensubstanz übrig bleibt.

Gemäß dem vorliegenden Entwurf des Bundesabfallwirtschaftsplans 2022 soll Phosphor verpflichtend in den Kreislauf zurückgeführt werden. Wien Energie, Borealis Agrolinz Melamine und MA 48 arbeiten gemeinsam an einem Verfahren, mit dem Phosphor aus Klärschlamm gewonnen wird. Ein Großversuch mit mehreren hundert Tonnen Klärschlammasche wurde im Vorjahr in Linz erfolgreich abgeschlossen. Noch heuer soll in großem Stil mit der Düngemittelproduktion aus dem rückgewonnenen Phosphor begonnen werden. »In Wien kann neben Metallen aus der Schlacke dann auch die Klärschlammasche mit dem lebenswichtigen Phosphor stofflich verwertet werden«, erklärt Wiens Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky. »Phosphor-Recycling ist ein wichtiger Schritt in Richtung Zero-Waste in Wien.« 

Sammelquote heben

Um die Kreisläufe zu schließen, ist es notwendig, auch die Bevölkerung stärker einzubinden. Die EU-Recyclingziele 2025 erfordern in Österreich eine Verdopplung der gesammelten Kunststoffverpackungen innerhalb der kommenden drei Jahre. Die Altstoff Recycling Austria AG (ARA) forciert mit der Gründung der Digi-Cycle GmbH digitale Lösungen, um die Bevölkerung zur Mülltrennung zu motivieren.

»Wir setzen auf einfache und bequeme Sammelsysteme und Unterstützung aus der Verhaltensökonomie durch digitale Incentivierung. Damit wollen wir die Sammelmengen vor allem in der Zielgruppe 16 bis 35 Jahre steigern und Littering – Müll im öffentlichen Raum – vermeiden«, erklärt ARA-Chef Christoph Scharff. Der Start erfolgte bereits im Vorjahr mit einer App im Pilotversuch; im Jänner 2023 folgt ein Recyclingguide, der in Hinblick auf die österreichweite Vereinheitlichung der Sammelsysteme eine Anleitung für korrektes Mülltrennen bietet.

Die Kampagne »Recycling Mission 2025« des Vereins Getränkekarton Austria folgt einem ähnlichen Ziel. »Gemeinsam mit der Bevölkerung wollen wir die Sammelquote von Getränkekartons in Österreich auf 80 Prozent heben«, sagt Geschäftsführer Georg Matyk. Bislang landen 63 Prozent der Milch- und Saftpackungen in der gelben Tonne bzw. im gelben Sack. Mit humorvollen Social-Media-Aktionen will man Konsument*innen für das Thema sensibilisieren.

Auch die »RecycleMich«-Initiative setzt auf das Belohnungsprinzip. Als Non-Food-Partner ist Henkel mit den bekannten Wasch- und Reinigungsmittelmarken von Beginn an beteiligt – kürzlich wurde die Unternehmenskooperation um Verpackungen aus dem Bereich Kosmetik und Körperpflege erweitert. Bereits im Gründungsjahr 2021 wurden 500.000 Leergebinde gesammelt, mehr als 12.000 »Recycling-Held*innen« dokumentierten die richtige Entsorgung mit der App und wurden mit attraktiven Preisen belohnt.

Henkel ist mit seinen bekannten Wasch- und Reinigungsmittelmarken seit Beginn Non-Food-Partner der »RecycleMich«-Initiative. (Bild: Henkel CEE)

»Innovative und digitale Ansätze wie diese App sind der richtige Weg, um Recycling attraktiv zu machen. Umso mehr freut es mich, dass sie bald auch in ganz Österreich zur Verfügung steht«, berichtet Jaroslava Haid-Jarkova, General Manager Henkel Laundry & Home Care Österreich, stolz. »Kreislaufwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn möglichst viele Kunststoffverpackungen einem qualitativ hochwertigen Recycling zugeführt werden.« Mit Coca-Cola Österreich, Innocent, RedBull u. a. sind weitere große Player an Bord.

Sie treiben die Sammlung von Kunststoffverpackungen auch in eigenem Interesse voran, denn derzeit klaffen Angebot und Nachfrage für Rezyklate stark auseinander. Recycling-Kunststoff ist auf dem Markt noch nicht in ausreichender Menge verfügbar. Große Industriebetriebe wie etwa der Vorarlberger Verpackungsspezialist Alpla errichten daher bereits eigene Aufbereitungsanlagen, um ihren Bedarf zumindest teilweise decken zu können. Die Vielzahl unterschiedlicher Polymere und Zusatzstoffe sowie untrennbare Materialien machen die Wiederverwertung jedoch schwierig.

Die Europäische Kommission gibt mit einem neuen rechtlichen Rahmen die Vorgabe, bis 2030 alle Kunststoffe recycelbar und wiederverwendbar zu machen. Recyclingfähiges Verpackungsdesign ist dabei ein wichtiger Punkt, um auch die Sammelquoten zu erhöhen, wie Fabrizio di Gregorio, technischer Direktor bei Plastics Recyclers Europe, bestätigt: »Heute müssen wir mehr denn je sicherstellen, dass Kunststoffe nachhaltig produziert und am Ende ihres Lebenszyklus ordnungsgemäß entsorgt werden.« 


E-Güterverkehr nimmt Fahrt auf

Bis 2025 wollen 80 Prozent der Lkw-Flottenbetreiber Brennstoffzellen-Trucks anschaffen. Bei der Ladeinfrastruktur besteht noch Nachholbedarf. 

Flottenbetreiber erwarten verbesserte Produkte, Dienstleistungen und Ladelösungen. (Bild: iVolvo Trucks) Strategy& Österreich

Eine Befragung von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, unter 30 Herstellern von Bussen und Lkws sowie 30 Flottenbetreibern aus dem Transport- und Logistiksektor zeigt einen deutlichen Trend Richtung Dekarbonisierung. Fast zwei Drittel der Befragten verfügen bereits über einen Fuhrpark mit mindestens zehn Prozent E-Fahrzeugen und wollen diesen Anteil bis 2025 merklich erhöhen. 80 Prozent wollen Brennstoffzellen-Trucks und 100 Prozent batterieelektrische Lkw in ihre Flotten aufnehmen. Vollständig emissionsfreie Lkw sollten demnach 2030 einen Marktanteil von über 30 Prozent erreichen.

Aufgrund der hohen Anforderung an die Reichweiten und des höheren Gewichts stellt die Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge im Vergleich zu leichteren Klassen jedoch noch immer eine Herausforderung dar. »Die Elektrifizierung im Straßengüterverkehr wird derzeit noch durch leichte Lkw angeführt. Mittelschwere und schwere Nutzfahrzeuge werden jedoch ab 2025 aufgrund eines wachsenden Fahrzeugportfolios nachziehen«, erläutert Andreas Gissler, Co-Autor der Studie und Partner bei Strategy& Deutschland. »Besonders für längere Strecken über 300 Kilometer sehen wir eine Angebotslücke, die es durch auf Kundenbedürfnisse maßgeschneiderte Ladeinfrastrukturnetze zu adressieren gilt.« Von den Herstellern erwarten Flottenbetreiber eine Verbesserung der Produkte, Dienstleistungen und Lösungen.

Gleichzeitig zeigen sich durch die technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre bereits geringere Kosten bei den elektrischen Antriebssträngen für E-Nutzfahrzeuge. Ein zusätzlicher Rückgang bei den Gesamtbetriebskosten findet auch durch eine verlängerte Batterielebensdauer, sinkende Kosten für Batteriezellen und -systeme sowie geringere Ladekosten statt. Über alle betrachteten Fahrzeugsegmente hinweg ist die Elektrifizierung von auf Kurzstrecken eingesetzten Nutzfahrzeugen besonders attraktiv. Bis 2030 ist auf diesem Streckentyp mit Einsparungen bei den Gesamtbetriebskosten zwischen 22 und 27 Prozent zu rechnen. Für Langstrecken ergeben sich Einsparungen von bis zu 23 Prozent für schwere Nutzfahrzeuge.

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