Das Sammeln von Daten in Unternehmen war gestern. Jetzt geht es um internationale Vernetzung und das Kreieren neuer, lukrativer Geschäftsmodelle. Europa hat dabei großen Nachholbedarf.
Österreichs Unternehmen sitzen auf einem meist noch ungenützten Schatz: einer riesigen Menge an Daten – von Kunden, der Produktion, aus Marketing, Vertrieb oder aus dem Rechnungswesen. Berge von Zahlen, Namen, Fakten, die großteils nur in den jeweiligen Abteilungen ausgewertet und verwendet werden. Zielgerichtete Marketingaktionen, Optimierung der Produktion oder des Vertriebs können dank Big Data in den Unternehmen gut gesteuert werden.
Aber schon die Vernetzung der Daten zwischen den Abteilungen, bereitet vielen Unternehmen hierzulande Schwierigkeiten. Die IT-Systeme passen nicht zusammen, Datenschutz und Angst vor Cyberangriffen tun ein Übriges dazu. Wer allerdings aus dem Business mit Big Data echte Vorteile für sein Unternehmen schöpfen will, muss sich bereits der nächsten großen Herausforderung stellen: der internationalen Vernetzung im Datenraum.
»Die Zukunft liegt im globalen Datensharing, im Denken über das Unternehmen hinaus«, sagt Mario Drobics, Experte im Bereich Cooperative Digital Technologies am Austrian Institute for Technology (AIT). Die dezentralen Daten sollen also gemeinsam genutzt werden. Klingt gut, aber welches Unternehmen würde wohl seine internen Daten mit der Konkurrenz teilen? »Der Schlüssel liegt in der Schaffung von vertrauensvollen Plattformen. Wir müssen weg von den zentralen Cloud-Speichern«, erklärt Drobics die Zielsetzung.
Die EU hat darin die Chance für den Aufbau eines europäischen Daten-Ökosystems erkannt. Ende Februar hat sie einen Gesetzesvorschlag, den Data Act, fertiggestellt. Auf dieser Basis könnten Plattformen entwickelt werden, die eine »vertrauensvolle Umgebung« schaffen, wie Drobics betont. Dabei wird genau geklärt, wer welche Daten nutzen darf, wohin die Daten gehen. »Das gibt den Unternehmen Sicherheit«, sagt der AIT-Experte. Das alles klingt noch sehr theoretisch, sehr virtuell. Doch das AIT verwirklicht bereits ein erstes konkretes Projekt.
Global geteilte Produktion
Eigene Produktionsanlagen von anderen benutzen lassen? Vielleicht sogar von der Konkurrenz? Vor wenigen Jahren noch war dies undenkbar. Doch in der neuen vernetzten Welt bietet genau das neue Geschäftschancen und Ertragsmöglichkeiten. Ein Beispiel: Catch.direct. Die vom AIT in Zusammenarbeit mit dem oberösterreichischen Industrieöfenhersteller Ebner entwickelte Plattform offeriert genau das: die gemeinsame Nutzung von Produktionskapazitäten. »Das bringt für Ebner beträchtliches Optimierungspotenzial«, sagt AIT-Experte Drobics.
Wann immer Kapazitäten in den Erzeungungsanlagen bei Ebner frei seien, würden sie über die Plattform angeboten. Catch.direct arbeite vollautomatisch und anonym. Das sei wichtig, um Vertrauen der Kunden zu erhalten. Damit vollständige Transparenz des Matching-Prozesses sowie der Auktion der freien Kapazitäten gegeben sei, werde die Blockchain-Technologie verwendet. Das »Teilen« hat nicht nur ökonomische Vorteile für Unternehmen. Es schont auch Ressourcen, die Umwelt und spart dank der besseren Auslastung bestehender Anlagen auch Energie.
Total transparente Lieferkette
Die großen Datenmengen, auf denen viele Unternehmen sitzen, haben vor allem für Konsument*innen, die auf Nachhaltigkeit Wert legen, einen enormen Vorteil: mit den Daten kann jeder Schritt der Produktion exakt nachvollzogen werden. Die Labels »Bio«, »Grüne Baumwolle«, »Nachhaltiges Erzeugnis« werden also tatsächlich überprüfbar und damit wiederum für die Produzenten wertvoller.
Der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing hat diese nachhaltige Lieferkette für seine Spezialfasern, aus denen Jeans erzeugt werden, offengelegt – zunächst in einem Pilotprojekt, dessen Ziel es war, die Möglichkeit zu prüfen, ob die Nachverfolgbarkeit auch in großem Stil möglich ist. Gemeinsam mit TextileGenesis will Lenzing so Transparenz in die einzelnen Herstellungsschritte der Produktion bringen.
»Mit der Blockchain-Technologie wird die digitale Rückverfolgung von Fasern maximiert und so ein Beitrag zur Ökologisierung in der Modebranche geleistet«, sagt Lenzing-Sprecher Dominic Köfner. Nachhaltigkeit werde unter den großen Modeketten der Welt zwar gerne zitiert, aber nur wenige können die lückenlose Rückverfolgung der Produktionskette darlegen. Lenzing habe sich daher mit Armedangels und Schneider zu TextileGenesis zusammengeschlossen, um die Nachhaltigkeitskette zu gewährleisten. TextileGenesis ist die Plattform, die mit allen Daten aus den einzelnen Wertschöpfungsketten gefüttert wird, damit die Transparenz der Wertschöpfungskette von der Faser bis zum Einzelhandel gesichert ist.
Services statt Produkte verkaufen
Big Data in Unternehmen löst noch einen Trend aus: Es werden künftig nicht die Produkte selbst, sondern die Dienstleistungen verkauft. So hat Siemens etwa der Französischen Bahn Züge geliefert. Verkauft wurde an die Bahn aber nur die Fahrleistung, Siemens bliebt Besitzerin der Züge.
Damit kann der Konzern jede Menge Daten sammeln: Über den Einsatz der Züge, die Abnutzung dank eingebauter Sensoren. Daraus wiederum werden Schlüsse gezogen für Verbesserung der Loks und Waggons oder für Optimierungen in der Produktion. »Das ist Monetarisierung von Daten und eine Stärkung der Wertschöpfung«, erklärt Drobics.
Siemens verkauft nicht mehr den Zug, sondern die Fahrleistung. Dabei werden Unmengen an Daten zur Optimierung von Produktion und Betrieb gesammelt. »Das ist Monetarisierung von Daten und eine Stärkung der Wertschöpfung«, erklärt AIT-Experte Mario Drobics. (Bild: AIT)
Ähnliches machen etwa Kranhersteller. Sie liefern den Kran und bleiben Besitzer, sammeln aber alle Daten über den Einsatz der Maschine. Das kann von Wetterdaten, Wind bis zu der Widerstandsfähigkeit der Einzelteile des Krans gehen. All diese Daten wiederum sind für den Kranproduzenten bares Geld, wenn er sie in die Produktion neuer Kräne integriert. »Big Data wird in all diesen Fällen abgelöst durch Datenräume, Daten-Ökosysteme, die der Nutzer der Daten für Optimierungen verwendet«, erklärt Drobics den neuen Trend.
Viele neue Strompreise
Für die Stromversorger hat die Riesenmenge an Daten, die sie mit den Smart Meters, den digitalen Stromzählern, erhalten, zwei positive Effekte. Erstens können sie die Stromlieferungen optimieren, weil sie durch die Viertelstunden-Ablesung, die die Smart Meter ermöglichen, sehr genaue Verbrauchsdaten bekommen. Und zweitens können sie die Strompreise an dieses Verbrauchsverhalten anpassen. Wer zum Beispiel regelmäßig dann Strom verbraucht, wenn viel Angebot zur Verfügung steht, zahlt weniger. Also: Stromverbrauch in der Nacht oder am Wochenende wird billiger, mittags und wochentags teurer.
Beim Verbund, Österreichs größtem Stromerzeuger aus Wasserkraft, werden noch viel mehr Daten gewinnbringend verwendet. Etwa zur Automatisierung des Stromhandels. Enorme Datenmengen aus Erzeugung, Preiserwartungen, Wetterprognosen werden verknüpft, um das Trading zu optimieren. »Prognosemodelle werden bereits seit einigen Jahren verwendet. Jetzt geht es darum, selbstständig lernende Systeme auf Basis der historischen aufzubauen, um vollautomatisierte Handelsaufträge erteilen zu können«, erklärt Robert Spolwind, Leiter Portfolio Management und Energy Economics in der Verbund AG.
Beim Verbund werden große Datenmengen aus Erzeugung, Preiserwartungen und Wetterprognosen verknüpft, um den Stromhandel zu optimieren. (Bild: Verbund)
Gefahr durch Cyberangriffe
Das Datensammeln und -verwerten birgt allerdings eine Gefahr: Cyberangriffe könnten die Systeme großflächig lahmlegen. Der Verbund, der als Betreiber kritischer Infrastruktur über besonders sensible Daten verfügt, hat deshalb einen eigenen Holdingbereich, »Digitalisierung, Informationssicherheit und IT«, geschaffen. Im Cyber Security Lab am Gelände des Kraftwerks Mellach werden Sicherheitslösungen entwickelt und überprüft.
Regelmäßig werden Schwachstellen im System aufgespürt – also Stellen, die Hacker erfolgreich angreifen könnten – und Empfehlungen gegeben, wie diese Sicherheitslücken geschlossen werden können – eine Arbeit, die nie endet, wie viele Unternehmen wissen. Eine Sicherheitslücke wird geschlossen, eine andere geht auf. So viele Möglichkeiten und Chancen, wie Big Data und die globale Vernetzung der Unternehmen eröffnet, so viele Risiken gibt es wohl auch. Denn Hacker schlafen nicht.