Mittwoch, November 20, 2024
Die geheimen SAP-Macher

Wie tickt die Uhr im Universum für Business-Software? Wie konnte ein Hersteller so mächtig werden? Und wer sind die ­Satelliten, die ihm immer neue Kundschaft zuführen? Wer treibt die ­Innovation, wer sichert den Bestand? Report (+) Plus auf ­Spurensuche einer ­Software-Großmacht.

Tiefer Einblick: Unter folgendem Link finden Sie diesen Artikel als Webpaper - inklusive eines Rankings der Top-SAP-Partner - und Projekte in Österreich: Die geheimen SAP-Macher - Link zum Epaper.

Seit 50 Jahren dominiert der Walldorfer Software-Konzern SAP den weltweiten Markt für betriebswirtschaftliche Software. Was mit Standardprogrammen für Finanzbuchhaltung, Rechnungsprüfung und Materialwirtschaft begann, ist heute ein komplexes Lösungsangebot für alle denkbaren Unternehmensprozesse vom durchgängigen Supply-Chain-Management übers ausgefeilte Kundenmanagement bis zum intelligenten Personalmanagement, samt Datenauswertung, Prognosen und Integration von KI-Anwendungen.

SAP ist ein Generallösungsanbieter für global operierende Unternehmen mit eigenen Entwicklungs- und Rechenzentren sowie Technologielabors auf allen Kontinenten, wohl wissend wie rasch sich die Datenbanktechnologien umwälzen und dass »Alles aus einer Hand« natürlich nicht immer auch die beste Lösung ist. Doch als einziger europäischer Global Player im internationalen IT-Universum setzt das Unternehmen Standards, die sich in Wirtschaft und Industrie durchgesetzt haben.

Heute ist die börsennotierte SAP im badischen Walldorf mit fast 110.000 Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von knapp 28 Mrd. Euro die uneingeschränkte Software-Instanz für Geschäftsprozesse, mehr als ein Drittel davon bereits aus Cloud-Lösungen. SAP arbeitet mit rund 22.800 Partnern weltweit und entwickelt Lösungen für 25 Branchen. Die 440.000 Unternehmenskunden wickeln 87 Prozent des weltweiten Handelsvolumens ab, 99 der 100 größten Unternehmen sind SAP-Kunden.

Österreich zweiter Auslandsmarkt

Historisch gesehen war Österreich der zweite Auslandsmarkt nach der Schweiz und wuchs ebenso schnell wie die Konzernmutter. Nachdem die deutsche SAP-Zentrale 1985 bereits 30 österreichische Kunden zählte, nahm die österreichische SAP GmbH im Februar 1986 mit sechs Mitarbeitern und zwei Standorten in Wien und Linz ihre Arbeit auf. 35 Jahre später zählt SAP hierzulande 450 Beschäftigte und betreut gemeinsam mit seinem Partnernetzwerk 1.900 Kunden, 80 Prozent davon sind KMU, Umsätze werden nicht bekannt gegeben.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. SAP selbst verkauft vor allem Software-Lizenzen, betreut und schult seine (externen) Berater*innen, verarbeitet Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge, delegiert Probleme an die Entwicklungsabteilungen, organisiert Messen und Workshops zum Know-how-Austausch. Den eigentlichen Vertriebsjob – also Kundenkontakt, Beratung, Verkauf bis hin zur Implementierung und dem Roll-out – machen SAP-Berater, die gar nicht bei SAP selbst angestellt sind; und hier ist das Gerangel groß.

International einzigartig

Branchenkennern zufolge ist das österreichische SAP-Beraternetzwerk international einzigartig, weil a) von hoher Dichte und Qualität gekennzeichnet, b) extrem wettbewerbsgeprägt und c) eine Art Elitetruppe für international relevante Vorzeigeprojekte. Das hat auch seinen Preis. Die Beraterfirmen stöhnen unter dem Auftragsdruck, dem Preisdruck und dem fehlenden Personal. Nicht jeder Berater ist nämlich bereit, sein Know-how im Rahmen eines Beratungsunternehmens zu verkaufen, daher gibt es auch viele selbstständige SAP-Berater, die auf eigene Rechnung arbeiten.

Schätzungen zufolge gibt es in Österreich rund 3.000 bis 4.000 SAP-Berater, die entweder für einen der 70 bis 120 (die Zahlen divergieren) heimischen SAP Service-, Verkaufs- oder Entwicklungspartner tätig sind oder eben als EPU agieren. Der Bedarf an qualifiziertem Beratungspersonal ist jedoch viel höher. Aktuell werden etwa zusätzlich 2.000 SAP-Berater allein in Österreich benötigt. Das sagt auch SAP-Geschäftsführerin Christina Wilfinger ganz offen.

Obwohl die Gehälter durchaus üppig und die Arbeitskonditionen erfreulich sind – mit viel Flexibilität bei Zeit- und Ortseinteilung sowie Homeoffice und Family-Bonus – gelingt es nur schwer, die vielen Jobs zu besetzen. Praktisch alle SAP-Firmen haben eigene Trainee-Programme laufen und suchen händeringend nach neuen Leuten, egal ob vom Mitbewerb, aus anderen Branchen zum Einschulen oder Absolvent*innen der Fachhochschulen und Universitäten.

IT übertrifft Tourismus

Betrachtet man die Situation makroökonomisch, wird schnell klar, wie bedeutsam der ganze Sektor mittlerweile für die Volkswirtschaft ist. Der österreichische IT-Markt generiert eine Bruttowertschöpfung von 11 Mrd. Euro (VOESI-Branchenstudie 2021), das entspricht einem Anteil von 3,1 Prozent des BIP. Zählt man die indirekten und induzierten Effekte (durch Lieferanten, Zulieferer, Konsumenten) hinzu, erhöht sich die Wertschöpfung auf 14,5 Mrd. Euro oder 4,1 Prozent der Gesamtwirtschaft. Fast die Hälfte davon (47,2 %) konzentriert sich dabei auf Wien, gefolgt von Oberösterreich, wo auch ein Großteil der IT-Dienstleister sitzt.

Laut der französischen teknowlogy Group nimmt der Dienstleistungssektor den größten Anteil am österreichischen IT-Markt ein, er ist etwa 1,65-mal so groß ist wie der heimische Softwaremarkt. So gaben 2020 heimische Firmen rund 3,6 Mrd. Euro für IT-Dienstleistungen aus, für Software etwa 2,2 Mrd. Euro. Die Erwartungen für 2021 und 2022 sind unverändert positiv: 5,1 % Wachstum. Dabei dominiert der Bereich Cloud-Anwendungen mit einem Wachstum von 30,5 % pro Jahr, während alle anderen Bereiche zwischen 0,7 und 5,2 % zulegen.

Im Ranking der Software-Verkäufe liegt SAP laut teknowlogy ganz vorne, gleich hinter Microsoft auf Platz 2, aber weit vor IBM, Oracle, Knapp, Hitachi u. a. Im Ranking der großen IT-Service-Anbieter dominieren in Österreich nach wie vor ATOS und IBM vor DXC Technology, T-Systems, Kapsch & Co. Hier rangiert SAP zwar unter den Top 10, aber doch eher im hinteren Feld. Der Grund dafür ist einfach: SAP sieht sich als Dienstleister für seine Reseller (SAP-Berater) und Lizenzgeber für Kunden und geht daher eher selten selbst zum Kunden.

Geheime Machenschaften

Doch was macht SAP dann so groß? Ein zentrales Erfolgsrezept ist neben der hohen Innovationskraft und Branchenaffinität der Software wohl die überaus enge Bindung zu seinen externen Beraterfirmen. Während Franchise-Unternehmen wie McDonald’s oder REMAX ihre Partner unter ein Markendach zwingen, fördert SAP sein Berater- und Reseller-Netzwerk mit vielen Zuckerln und klugen Loyalitätsprogrammen, nach innen mit Wettbewerb und nach außen mit wirksamen (sportlichen) Auszeichnungen.

Für die Partnerfirmen wurde ein komplexes System an Goodies und Gifts entwickelt, die nahezu unhinterfragt und seit Jahren für gute Stimmung sorgen. Wer einmal bei einer Auszeichnungsshow dabei war, weiß was damit gemeint ist. Im Wettbewerb um Aufmerksamkeit freut sich jeder Firmenchef wie ein Kind, wenn er zum »SAP-Partner des Jahres« ausgerufen wird – auch wenn es von dieser Auszeichnung gleich Dutzende gibt. Doch das spielt keine Rolle, es macht sich gut beim Kunden.

Das erklärt jedoch nicht das Geheimnis des Erfolgs und das rapide Wachstum der SAP-Beratungshäuser. Hartgesotten, aber nicht blind verteidigen sie ihre Geschäftsfelder und empfehlen Lösungen, die oft deutlich komplexer sind als die anderer Softwarehäuser, aber eben mit dem Qualitätssiegel SAP versehen. Bei SAP ist man sicher, dass die Unternehmensstrategie morgen nicht eine völlig andere ist als heute. Treue und Loyalität ist eine Qualität, die nirgendwo anders so ausgeprägt ist wie bei den heimischen SAP-Beratern. Die Investitionssicherheit bei SAP beruhigt eben nicht nur Kunden, sondern auch Berater.



Was mit ERP begann, ist heute ein komplexes Lösungsangebot für alle Unternehmensprozesse.

SAP hat über die Jahre seine eigene Technologie und Programmiersprache entwickelt, die anderen überlegen war und Beständigkeit bewiesen hat – nicht nur akademisch programmtechnisch, sondern ganz praktisch im Kundeneinsatz – mit dem zentralen Vorteil: SAP hat das Management seiner Software viel besser im Griff als Mitbewerber. Die Support-Schiene sei einzigartig, verrät ein Insider. Das ist es auch, was Berater bindet: »Wenn man sich einmal das Wissen und die Erfahrung angeeignet hat, dann wirft man das nicht mehr so schnell über Bord.« Das ist quasi eine Jobgarantie fürs Leben.

Die Partnerlandschaft setzt auf ein gutes Arbeitsklima in den Projekten. Firmen wie die Atos-Tochter unit-IT in Leonding zählen regelmäßig zu den »Besten Arbeitgebern Österreichs«. Auch Scheer Austria setzt auf die Einbindung der Mitarbeiter: »Wir bieten neben der intellektuellen und beruflichen Herausforderung ein familiäres Umfeld mit Human Touch«, heißt es dort. Und man geht Kundenprojekte bei Bedarf auf gut österreichisch auch hemdsärmelig an. Wenn einmal ein Standard einen Geschäftsprozess nicht genau abdeckt, springen die lokalen Spezialisten ein: snap Consulting zum Beispiel entwickelt Add-ons, die flexibel in den SAP-Kosmos integrierbar sind.

Unterschiedliche Zugänge

Ein weiterer Trend und vielleicht auch Erfolgsfaktor ist die Tatsache, dass sich SAP in immer mehr Business-Regionen und Branchen bewegt und mit seiner Cloud-Strategie »Rise with SAP« lückenlos reüssiert. Wenn es um Geschäftsprozesse geht, kommt man an SAP nicht mehr vorbei, schon gar nicht an seinen Cloud-Plattformen wie etwa dem Beschafffungsmanagementsystem Ariba oder dem Personalmanagementsystem SuccessFactors. Das wissen inzwischen auch alle IT-Dienstleister, die bisher wenig bis nichts mit SAP am Hut hatten. IT- und Softwarehäuser wie Axians, Beko, S&T und viele andere sind längst auf den Zug aufgesprungen.

Auf der anderen Seite des Spielfelds stehen die großen Wirtschaftsprüfer und Managementberater, die für die notwendige digitale Transformation und Prozessveränderung in Unternehmen die Strategien, Strukturen und Maßnahmen liefern sollen. Auch sie müssen mit SAP vertraut sein, wenn Sie »Part of the Game« sein wollen. Alle samt und sonders sind inzwischen Teil der mächtigen SAP-Allianz.

Zahlen zu SAP-Umsätzen erhält man bei den einen wie den anderen kaum. Die großen IT- und Software-Dienstleister sprechen von zehn bis 30 Prozent des Geschäfts, das sie mit SAP-relevanten Dienstleistungen erwirtschaften. Bei den großen Managementberatern dürfte es deutlich weniger sein, aber dafür strategisch umso wichtiger. Die eigens geschaffene SAP-Abteilung von KPMG in Österreich macht so etwa 7 Mio. Euro Umsatz mit SAP-Beratung. Auch Horváth Österreich erwirtschaftet einen guten Teil seines Umsatzes von 13,8 Mio. mit SAP-Know-how.

Die führenden SAP-Berater

Im Sport ebenso wie in der Kunst reüssieren jene Kandidaten, die sich spezialisieren und auf eine Aufgabenstellung konzentrieren. Das ist inzwischen selbst bei dezidiert auf SAP fokussierten Beratern nicht mehr so einfach, da der Bauchladen der Produkte und Anwendungen so groß geworden ist. Dennoch verdienen sie höchste Bewunderung, da sie den langen Weg mitgegangen und in ihrer Loyalität zum deutschen Softwarekonzern standhaft geblieben sind.

Im Report-Ranking werden sie gelistet, wenn auch nicht immer im Spitzenfeld, doch ihr Wachstum ist beachtlich, seit Mitte der 1990er-Jahre haben sie sich entwickelt. Meist waren es zuerst ein paar Berater, die sich in einer Partnerschaft zusammengetan und eine eigene Firma gegründet haben. In einer zweiten Phase kamen die Mitarbeiter der Gründer hinzu, in einer dritten Phase des Wachstums die dritte und vierte Hierarchie und die Expansion an Auslandsstandorte.

Ob eigentümergeführt oder angedockt an internationale Strukturen, geblieben ist die geheime Obsession für Businessprozesse und deren optimale Bewältigung. Die besten Beispiele hierzu sind CNT, Phoron, msg Plaut, scc, unit-IT oder Scheer, aber auch kleinere Beratungshäuser wie snap Consulting, SRB, Informatics, Sinn Consulting oder ITSDone. Daneben gab und gibt es einige Ableger von deutschen SAP-Beratern, die sich allerdings etwas schwerer tun, im Markt zu reüssieren.

Macher sind gefragt

Eine kürzlich publizierte KornFerry-Studie zeigte auf, dass in der noch jungen Digitalwirtschaft viele Gründer operativ ihre Konzerne führen. Auch in der etwas älteren SAP-Szene dominieren nach wie vor die Gründer und ihre Partner. Sie sind derzeit vor allem mit der digitalen Transformation der Wirtschaft und Industrie und ihrer eigenen Expansion befasst, da sind Macherqualitäten gefragt.

Wie die Transformation der SAP-Beraterlandschaft in den nächsten zehn Jahren aussehen wird, dazu äußert sich die Branche eher zurückhaltend. Einige werden verkaufen, einige fusionieren, einige wollen weiter wachsen. Sicher ist, dass die Digitalisierung noch am Anfang steht und dass die »Gründergeneration« der Berater irgendwann in Pension gehen wird. Zu hoffen bleibt nur, dass der Treueschwur zu SAP auch in der nächsten Generation hält. Nur dann kann die Sonne im Business-Universum weiter leuchten.

Dr. Wilfried Seywald ist Journalist und ­Kommunikationsberater in Wien.

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