Donnerstag, Dezember 26, 2024
»Führung braucht ein waches Auge«

Corona hat auch die Prioritäten in der Arbeitswelt verändert. Welche Führungsaufgaben jetzt und nach der Pandemie im Mittelpunkt stehen, erklärt Susanna Achleitner, Beraterin und Gesellschafterin der Unternehmensberatung trainconsulting, im Report(+)PLUS-Interview. 

(+) plus: Welche Herausforderungen brachte die Pandemie für Führungskräfte?

Susanna Achleitner: Zunächst ging es darum, die Bedeutung der Krise für die eigene Organisation zu erfassen. Wir haben in den Unternehmen völlig unterschiedliche Auswirkungen erlebt. Manche Bereiche kamen völlig zum Stillstand, andere konnten sich vor lauter Arbeit kaum retten und waren völlig überlastet, wie zum Beispiel HR oder IT. In dieser ersten Phase waren Führungskräfte gefordert, den Mitarbeiter*innen im Homeoffice die nötige Hardware zur Verfügung zu stellen.

Es mussten Regelungen für die neue Situation geschaffen, Testungen organisiert, getrennt arbeitende Gruppen gesteuert, tägliches Krisenmanagement mit infizierten Kolleg*innen und Erkrankten, Abläufe und Geschäftsprozesse digitalisiert, gleichzeitig aber das Geschäft mit Dienstleistungen und Produktion aufrechterhalten werden.

(+) plus: Welche Aufgaben hat Führung in der Krise?

Achleitner: Die Hauptaufgaben von Führung sind immer, sich und andere zu führen, Entscheidungen zu treffen und die Organisation zu steuern. In einer Krisensituation hat Führung mit hoher Komplexität zu tun. Dafür braucht es unterschiedliche Methoden und Zugänge. Im Schatten der Pandemie stellt sich zum Beispiel die Frage nach Resilienz vollkommen neu. Führungskräften, die bis jetzt gut durch die Krise gekommen sind, ist das sehr bewusst. Corona brachte zunächst die Erkenntnis, dass Planbarkeit zum Teil eine Illusion ist. Gleichzeitig brachte es Remote Work und einen Technikboost.

Führungskräfte sollten sich unbedingt einen persönlichen Digitalisierungsschub verpassen. Am Beginn steht die Frage: Wie kann in der digitalen Welt Kommunikation gelingen? Wie schaffe ich Formate, in denen Austausch, Feedback, Dialog, der Austausch zu kritischen Themen möglich wird? Break-outs, Chat und Audience Response Tools sind Werkzeuge, mit denen Führungskräfte sich vertraut machen können.

(+) plus: Welche Kompetenzen braucht es dafür?

Achleitner: Besonders wichtig für Remote Work sind außerdem klare Vereinbarungen, sowie Vertrauen statt Kontrolle. Es ist extrem beeindruckend, wie viel Selbstorganisation im vergangenen Jahr sichtbar wurde. Führungskräfte sollten das wertschätzen und in Zukunft für Rahmenbedingungen sorgen, die Selbstorganisation besser als bisher ermöglichen. Das wäre ein wichtiges Learning, um zukünftige Herausforderungen meistern zu können.

Was im Office sichtbar ist, bleibt bei Remote Work oft verborgen. Wie kann es Führung trotzdem gelingen, wahrzunehmen, wenn ihre Mitarbeiter*innen in einen gesundheitsschädlichen Arbeitsrhythmus gezogen werden? Wie nehmen sie wahr, wenn Mitarbeiter*innen in eine psychische Krise schlittern? Und was ist dann zu tun? Diese Fragen waren immer schon wichtig – heute sind sie erfolgsentscheidend.

In Phasen so grundlegender Veränderung braucht es einen Mix aus klaren Ansagen und mehr Dialog. Entscheidungsprozesse, die bisher in Präsenzmeetings stattfanden, brauchen im virtuellen Raum ein anderes Setting. Die Kernaufgabe von Führungskräften ist, diesen Rahmen zu gestalten und diese Prozesse zu steuern.

(+) plus: Führung basiert auf sozialer Interaktion. Kommt diese im Homeoffice zu kurz?

Achleitner: Wir sehen bereits einen großen Wunsch nach Präsenz und Kontakt. Viele Unternehmen forcieren deshalb die internen Sicherheitsmaßnahmen, um die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu ermöglichen. Im virtuellen Raum geht in der Kommunikation viel an Wahrnehmungspotenzial verloren. Führungskräfte sollten jedes Meeting genau planen, sich eine Einstiegsfrage überlegen oder auch einmal ein virtuelles Event initiieren.

Solche Rituale wie ein gemeinsamer Brunch oder ein After-Work-Happening sind sicher positiv, obwohl ich den Eindruck habe, dass die Leute schon etwas müde werden. Wenn sich jemand gar nicht einbringt oder sehr zurückgezogen wirkt, sollten Führungskräfte ruhig einmal mehr nachfragen. Voraussetzung ist natürlich, dass alle die Kamera aktivieren, sonst geht die persönliche Ebene völlig verloren.

(+) plus: Ist agile Zusammenarbeit in wechselnden Teams trotzdem möglich?

Achleitner: Internationale Unternehmen haben schon vor der Corona-Krise virtuell kooperiert. Diese Zusammenarbeit in wechselnden Teams ist auf jeden Fall möglich. Auch hier zeigt sich, dass die Selbststeuerung großartig funktioniert, sobald die Rahmenbedingungen geklärt sind. Im Moment sind natürlich auch Hybrid-Lösungen eine Variante. Diese Meetings sind aber schwieriger zu leiten und erfordern gute Vorbereitung, damit sie funktionieren.

Von Remote Work wird vieles bleiben, zum Beispiel, weil die Effizienz der Meetings merklich steigt. Auch in Hinblick auf die Klimakrise hinterfragen inzwischen viele Manager, für ein Meeting weite Strecken zu fliegen oder zu fahren –weil so deutlich geworden ist, dass es auch anders geht.

(+) plus: Wie funktioniert das Onboarding neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Achleitner: Diesbezüglich überlegen sich HR-Abteilungen und Führungskräfte in manchen Organisationen sehr viel. Was sich besonders bewährt, sind Buddy- oder Mentoring-Systeme, wo eine Person als enge Kontaktperson und Ansprechpartner zur Verfügung steht. Führung braucht im Moment ein sehr waches Auge darauf, was sich außen und innen tut. Man merkt nicht sofort, dass jemand nicht ins Team integriert wird.

(+) plus: Von Beschäftigten wird mehr Flexibilität und Eigenverantwortung eingefordert. Aber können alle Führungskräfte auch tatsächlich mit diesem Kontrollverlust umgehen?

Achleitner: Wir haben in Österreich eine stark verankerte Präsenzkultur. Die Illusion, zu wissen, was und wie viel die Leute im Büro arbeiten, hatte sich vor Corona gut gehalten. Ich habe nun einige Führungskräfte erlebt, die völlig überrascht und stolz darauf sind, wie gut ihre Teams im letzten Jahr performt haben. Sie erkennen jetzt, dass sie nicht Präsenz, sondern Ergebnisse im Blick haben können. Das ist beeindruckend.

(+) plus: Muss Leadership infolge der Erfahrungen des vergangenen Jahres neu gedacht werden?

Achleitner: Ja, aber ich führe das nicht auf Corona zurück. Die Pandemie hat die Situation nur zugespitzt. Wir haben eine Klimakrise zu bewältigen und stecken mitten in gesellschaftspolitischen Veränderungen, die bisherige Theorien von Ökonomie und Arbeit grundsätzlich in Frage stellen. Kund*innen und Mitarbeiter*innen fordern schon jetzt verstärkt Nachhaltigkeit ein und Unternehmen sind gut beraten, eine Balance zwischen Gewinnstreben und ihrer Verantwortung als Gestalter der Zukunft zu finden.

Die Pandemie hat durch die Notwendigkeit von disloziertem Arbeiten im Homeoffice und Dienstplänen in aufgeteilten Teams zunächst die Technisierung auf breiter Basis gefördert. Die Veränderung von Führungsmustern steht aber auf einem ganz anderen Blatt. Generell ist Unternehmenssteuerung noch von einem linearen, mechanistischen Verständnis geprägt.

Dieses Paradigma wird sich ändern, auch wenn das in den Köpfen noch nicht überall angekommen ist. Was in der Technik richtig ist, gilt nicht für Organisationen und Menschen. Das sind komplexe Systeme, die ganz anderen Logiken folgen. Hier braucht es ein grundlegend anderes Verständnis.

(+) plus: Müssen wir uns von der Planbarkeit verabschieden?

Achleitner: Was uns Corona gezeigt hat: Normales Routine-Business braucht in der Steuerung andere Führungsqualitäten als eine Krise oder komplexe Veränderungs- und Entwicklungsphasen. Der Glaube an Planbarkeit ist radikal zu hinterfragen. Es wird zwar weiterhin Orientierung brauchen, aber einen völlig anderen Umgang mit Abweichungen.

Führung wird dabei nicht obsolet – im Gegenteil: Führungskräfte sind ständig gefordert, den Dialog zu suchen und Rahmen zu gestalten. Unternehmen, die diese Entwicklungen in den Blick nehmen, werden die Nase vorn haben. 

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