Die Wirtschaft brummt, doch der Fachkräftemangel dämpft das Wachstum der heimischen Unternehmen. Im Westen Österreichs sowie in den Bereichen Produktion und Technik gestaltet sich die Suche nach geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am schwierigsten.
Rund 100 Unternehmen der Verpackungsindustrie verarbeiten und veredeln in Österreich pro Jahr mehr als eine Million Tonnen Papier und Karton. Trotz des schwierigen internationalen Umfelds stehen die Zeichen auf Wachstum, die Auftragsbücher sind voll. »Das Jahrzehnt der Digitalisierung ist angebrochen. Wir sind bereit für die digitale Zukunft«, sagt Georg Dieter Fischer, Obmann des Fachverbandes Propak. Mit der Digitalisierung verändern sich Produktionsverfahren und Geschäftsprozesse. Die Aufgaben werden komplexer, neue Technologien bestimmen die Arbeitsabläufe.
Die steigenden Anforderungen führen auch zu höheren Qualifikationsniveaus. Der Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Lehrabschlussprüfung ist stark rückläufig. Ausreichend qualifizierte Fachkräfte sind jedoch nur schwer zu bekommen. »Benötigt werden vor allem Mitarbeiter für die Planung, Simulation und Überwachung komplexer und vernetzter Produktionsprozesse. Aber auch Social Skills, allen voran Flexibilität, Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz, sind vermehrt gefragt«, sagt Herwig Schneider vom Industriewissenschaftlichen Institut IWI, das im Auftrag von Propak eine Studie zum Fachkräftebedarf durchführte. »71 % der Propak-Unternehmen weisen derzeit unbesetzte Stellen auf«, zieht Schneider ein ernüchterndes Fazit.
Bild oben: Herwig Schneider, IWI: »Benötigt werden vor allem Mitarbeiter für komplexe, vernetzte Produktionsprozesse.« (Foto:ÖGV)
Arbeitsmarkt leergefegt
Wie der Verpackungsindustrie geht es gegenwärtig vielen Branchen. Noch nie fiel es Unternehmen in Österreich so schwer, geeignetes Personal zu finden. In einer Umfrage der Unternehmensberatung EY unter 900 mittelständischen Betrieben bestätigten 79 % Probleme bei Suche nach MitarbeiterInnen. Die meisten unbesetzten Stellen gibt es in den Bereichen Technik und Produktion. Vor allem Transport- , Bau- und Industrieunternehmen sind betroffen. 59 % der befragten Unternehmer sehen den Fachkräftemangel bereits als Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs – im Vorjahr waren es noch 48 %.
»Die Situation auf dem Arbeitsmarkt setzt dem Wachstum Grenzen«, sagt Erich Lehner, der als Managing Partner Markets bei EY Österreich für den Mittelstand zuständig ist. »Regional herrscht in Österreich teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst aussuchen. Gerade kleinere Unternehmen, die mit bekannteren, börsennotierten Unternehmen um Arbeitskräfte konkurrieren, können dadurch Stellen oft nur mühsam oder gar nicht besetzen.« Dabei hatten 35 % der Betriebe für das erste Halbjahr 2018 Personalaufstockungen geplant – so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Bild oben: Markus Gratzer, ÖHV: »37 % der Tourismusbetriebe müssen das Angebot aufgrund fehlender Mitarbeiter einschränken.« (Foto: ÖHV)
Der leer gefegte Arbeitsmarkt bereitet den Personalabteilungen nicht nur Kopfzerbrechen, sondern kostet die Unternehmen auch viel Geld. Mehr als die Hälfte der mittelständischen Betriebe beklagt Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels. Stark betroffen ist der Handel. Branchen, die besonders von der guten Konjunktur profitieren, haben auch große Probleme, mit dem eigenen Wachstum Schritt zu halten.
Bei der Rekrutierung von MitarbeiterInnen zeigt sich allerdings ein starkes Ost-West-Gefälle: Während die Situation in den östlichen Bundesländern noch vergleichsweise gut ist, bleiben in Salzburg, Tirol und Vorarlberg viele Stellen unbesetzt. »Es gibt innerhalb Österreichs keine Branche und keinen Ort mehr, der vom Fachkräftemangel verschont bleibt«, analysiert Lehner. »Die Unternehmen müssen erfinderischer werden, um wirklich auch jedes Potenzial zu nutzen.«
Bild oben: Fast vier von fünf Unternehmen in Österreich haben nach eigenen Angaben Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden, 30 Prozent der Unternehmen sogar erhebliche. Nur sieben Prozent der Betriebe geben an, keine Schwierigkeiten bei der Rekrutierung zu haben. Damit hat sich die Situation aus Sicht der Unternehmen erneut spürbar verschärft. (c) EY
Bildungsoffensive
Der Fachverband Propak hat sich mit dem Bildungsforum einen kompetenten Partner für Aus- und Weiterbildung an die Seite geholt. Jährlich werden über 600 Stunden Kurse und Lehrgänge angeboten. 2015 initiierte der Fachverband das Bachelor-Studium »Packaging Technology and Sustainability« an der FH Campus Wien. Im Herbst 2018 startet ein berufsbegleitendes Masterstudium – das erste in der DACH-Region, das sich mit der Querschnittmaterie Verpackungstechnologie befasst.
Bild oben: Magna Steyr bewältigt gegenwärtig »das vielleicht größte Personalprojekt Österreichs« - 3.000 neue Jobs müssen bis Ende 2018 besetzt werden.
In der Steiermark steckt der Magna-Konzern gegenwärtig in der größten Joboffensive der Unternehmensgeschichte. Sechs Fahrzeuganläufe, darunter der BMW 5er, der BMW Z4, Jaguar I-Pace und Jaguar E-Pace sowie der neue Mercedes G-Klasse, sind parallel zu bewältigen. Rund 3.000 neue Jobs müssen bis Ende 2018 besetzt werden. Etwa 1.700 MitarbeiterInnen kommen aus einer 2015 gemeinsam mit dem AMS eingerichteten Automotive-Stiftung. Magna-Personalchef Hansjörg Tutner führte 15.000 Bewerbungsgespräche: »Wir haben das vielleicht größte Personalprojekt Österreichs zum Abschluss gebracht.«
Auch Infineon benötigt für das neue Chipwerk, das 2021 am Standort Villach die Produktion aufnehmen soll, 400 Fachkräfte. IT-ExpertInnen, ProzessingenieurInnen und SystemtechnikerInnen – gesucht wird weltweit, denn AbsolventInnen von naturwissenschaftlich-technischen Fächern gibt es hierzulande zu wenige. Aber auch das bestehende Team will man weiter qualifizieren; die Kooperation mit der FH Kärnten wird ausgebaut. Die Lehrlingsausbildung wird ebenfalls forciert.
Bürokratische Hürden
Während die IT-Branche unter Imageproblemen leidet, gelten in der Gastronomie vor allem die Arbeitszeiten und die schlechte Bezahlung als wenig attraktiv. Betriebe, die ihre MitarbeiterInnen gut behandeln, haben seltener Probleme, Personal zu gewinnen und für längere Zeit zu halten. Für den Pinzgauer Hotelier Stefan Kraker ist Wertschätzung das beste Rezept gegen Fachkräftemangel: »Wir sind stolz auf alle Mitarbeiter – vom Zimmermadl bis zum Küchenchef.«
Bild oben: Andreas Gerstenmayer, AT&S: »Verfahrensdauern von sechs bis acht Wochen beeinträchtigen den Produktsablauf.« (Foto: AT&S)
Gerade der Tourismus kämpft mit personellen Engpässen. Knapp ein Drittel der Betriebe musste heuer bereits das Angebot reduzieren oder einen Teil des Betriebes schließen. »In 37 % der heimischen Tourismusbetriebe stehen weitere Arbeitsplätze auf dem Spiel«, warnt Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Dabei lässt die Buchungslage nach der guten Wintersaison auch für den Sommer Zuwächse erwarten.
Neben regulatorischen Erleichterungen bezüglich der Steuer- und Abgabenlast fordern viele Unternehmen auch eine Ausnahmeregelung für Asylwerber, die sich in einer Lehrausbildung befinden oder in einem Mangelberuf tätig sind. Bereits im Vorjahr gründete der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober gemeinsam mit UnternehmerInnen die Initiative »Ausbildung statt Abschiebung«. Zuletzt wagte der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer einen neuerlichen Vorstoß. 949 Asylwerber werden derzeit in heimischen Betrieben als Köche, Spengler oder Elektriker ausgebildet – sie alle sind gut integriert und werden in der Wirtschaft händeringend gebraucht, sind aber wegen eines negativen Bescheids von der Abschiebung bedroht. In Deutschland gibt es für diese Fälle bereits eine Lösung. Während der dreijährigen Ausbildung haben die Lehrlinge ein befristetes Bleiberecht. Finden sie nach dem Abschluss eine Arbeit, wird die Schonfrist um zwei Jahre verlängert. Danach geht der Rechtsstatus in eine reguläre Aufenthaltsbewilligung über.
Bild oben: Der Fachkräftemangel ist das beherrschende Thema für die Unternehmen. Im Vergleich zu 2017 hat die Personalfrage stark an Relevanz zugenommen. (c)EY
Die Rot-Weiß-Rot-Karte, 2011 für die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten geschaffen, vermag kaum jemanden anzulocken. Pro Jahr wollte man ursprünglich 8.000 Fachkräfte ins Land holen, nur 2.020 kamen im Vorjahr auf diesem Weg zu einer Aufenthaltsbewilligung. Aufgrund der vielen bürokratischen Hürden sei das langwierige Verfahren »nicht praxistauglich und nicht praxisnah«, wie Georg Knill, Präsident der steirischen Landesgruppe der Industriellenvereinigung, kürzlich kritisierte. Auch der Leiterplattenherstellers AT&S scheiterte bereits mehrmals beim Versuch, für dringend benötigte Mitarbeiter eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu erhalten, berichtete Geschäftsführer Andreas Gerstenmayer: »Wenn wir Anlagenstillstände haben, ist es uns sehr schwer möglich, Wartungstechniker aus dem Nicht-EU-Ausland schnell nach Österreich zu bekommen. Bei Verfahrensdauern von sechs bis acht Wochen kann es sein, dass eine Maschine steht und damit unseren Produktionsablauf beeinträchtigt.«
Glossar
Bildungsoffensive
Die FH St. Pölten bietet im Rahmen des Schwerpunktes »Digitalisierung der Wirtschaft« mehrere (Ausbildungs-)Programme an:
Bachelorstudium Data Science and Business Analytics:
Bewerbung bis 14.8. möglich
https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/neu-ab-2018-data-science-and-business-analytics
Summer School Lower Austria: Thema »Zukunft der Produktion: Augmented und Virtual Reality«
https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/weiterbilden-zur-zukunft-der-produktion
IT-Sicherheit und Digitalisierung: Kursreihe für niederösterreichische Unternehmen
https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/kursreihe-zu-it-sicherheit-und-digitalisierung
Forschungsprojekte: Die FH unterstützt Unternehmen am Weg zur Industrie 4.0.
https://www.fhstp.ac.at/de/newsroom/news/unternehmen-fit-fuer-die-digitalisierung-machen
IT-Sicherheit: Mehrere Forschungsprojekte zum Thema »Intelligenz und Sicherheit im Stromnetz«.
https://www.fhstp.ac.at/de/forschung/projekte/
Mangelberufe
♦ SchwarzdeckerInnen
♦ FräserInnen
♦ TechnikerInnen mit höherer Ausbildung (Ing.) und DiplomingenieurInnen für Maschinenbau
♦ TechnikerInnen mit höherer Ausbildung (Ing.) und DiplomingenieurInnen für Starkstromtechnik
♦ Sonstige TechnikerInnen für Starkstromtechnik oder Maschinenbau
♦ TechnikerInnen mit höherer Ausbildung (Ing.) und DiplomingenieurInnen für Datenverarbeitung
♦ Sonstige TechnikerInnen mit höherer Ausbildung
♦ DreherInnen
♦ SpenglerInnen
♦ LandmaschinenbauerInnen
♦ Werkzeug-, Schnitt- und StanzenmacherInnen
♦ DachdeckerInnen
♦ SchweißerInnen, SchneidbrennerInnen
♦ ElektroinstallateurInnen, ElektromonteurInnen
♦ BautischlerInnen
♦ DiplomingenieurInnen für Schwachstrom- und Nachrichtentechnik
♦ BetonbauerInnen
♦ ZimmererInnen
♦ Platten- und FliesenlegerInnen
♦ KraftfahrzeugmechanikerInnen
♦ RohrinstallateurInnen, -monteurInnen
♦ Diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen