Dank der brummenden Konjunktur wird für heuer ein kräftiger Rückgang der Arbeitslosigkeit erwartet. Die Zahl der arbeitssuchenden Personen könnte dauerhaft unter die 400.000er-Marke rutschen. Wirtschaftsforscher sehen die derzeitige Rate von 7,7 % dennoch auf zu hohem Niveau. Besonders ältere Langzeitarbeitslose und Geflüchtete gelten als Problemgruppen, gerade in diesem Bereich sollen aber Leistungen gekürzt werden. Welche Maßnahmen für die Herausforderungen des Arbeitsmarktes notwendig wären, hat Report(+)PLUS bei Experten nachgefragt.
1. Trotz der aktuellen Rückgänge liegt die Arbeitslosigkeit in Österreich auf hohem Niveau. Welche Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach erforderlich?
Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich
Grundsätzlich gilt: Je besser die Qualifikation, desto geringer das Risiko, arbeitslos zu werden. Das derzeitige System weist jedoch Lücken auf für jene, bei denen es mit der Erstausbildung nicht geklappt hat. Es ist Zeit für Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung. Diese muss an die Lebenswelt der Menschen angepasst werden und darf nicht erst nach einer längeren Dauer der Arbeitslosigkeit beginnen. Denn eine lange Arbeitslosigkeit führt zu Dequalifizierung, gesundheitlicher Beeinträchtigung und Demotivation, was letztlich die Wiedereingliederungschancen dramatisch senkt. Es gilt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit, Wirtschaftskammer Österreich
Wir haben derzeit eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit mit vielen arbeitslosen Menschen im Osten und gleichzeitig einer starken Nachfrage nach Arbeitskräften, besonders von Betrieben im Westen. Gerade der ländliche Raum bietet derzeit gute Arbeitsmarktmöglichkeiten. Überregionale Arbeitssuche darf nicht an fehlender Infrastruktur (Unterkünfte, öffentlicher Verkehr) scheitern. Wenn nötig, braucht es dazu einfache und rasche Lösungen. Mobilität kann neue Chancen und Perspektiven eröffnen. Schließlich gibt Arbeit den Menschen Sinn im Leben!
Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO)
Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist immer noch ökonomisch und sozial inakzeptabel. Die Rückgänge, die an sich natürlich erfreulich sind, zeigen zugleich eines der großen Probleme auf dem heimischen Arbeitsmarkt auf: Vor allem einzelne Gruppen sind besonders stark und anhaltend von Arbeitslosigkeit betroffen. Neben Älteren sind das schlecht oder nicht qualifizierte Menschen. Ein Schwerpunkt muss daher auf Qualifizierungsmaßnahmen liegen. Dabei ist nicht nur das Schulsystem gefordert. Auch die berufliche Weiterbildung muss gestärkt werden.
2. Wurde die »Aktion 20.000« für ältere Langzeitarbeitslose zu früh gestoppt?
Erich Fenninger
Eindeutig. Die Aktion 20.000 hat trotz ihrer kurzen Lebenszeit zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den Über-50-Jährigen geführt – wenngleich der Rückgang bei der erwähnten Personengruppe niedriger ist als insgesamt. Zudem wissen wir von Personen, die nach jahrelangem Bewerben endlich Antworten auf ihre zahlreichen Bewerbungsschreiben erhalten haben. Das steigert das Selbstwertgefühl immens und führt auf der Makro-Ebene zu einer stärkeren Gesellschaft, da vermittelt wird, dass niemand ausgeschlossen wird. Gleichzeitig dürfen die Investitionen in Maßnahmen für ältere Menschen nicht zulasten der Jugendförderung gehen.
Martin Gleitsmann
Die Arbeitslosigkeit unter Älteren entwickelt sich parallel zur Lage am Arbeitsmarkt und damit erfreulich. Ganz allgemein: Ältere werden seltener arbeitslos, haben aber größere Schwierigkeiten bei der Jobsuche. Die Eingliederungsbeihilfe ist das beste Mittel, damit die Reintegration gelingt. Mit der Aktion 20.000 wurden künstliche Jobs geschaffen. Die Wirtschaft hat die Maßnahme daher sehr kritisch gesehen. Mit Ende der Aktion werden auch die Jobs wieder weg sein. Jobs in der Wirtschaft schaffen nachhaltige Perspektiven!
Christoph Badelt
Über die Aktion 20.000 haben rund 4.400 Menschen einen Job gefunden. Ich glaube, man hätte sie durchaus noch etwas weiterlaufen lassen können, aber das ist aus heutiger Sicht nicht das zentrale Thema. Vielmehr ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Regierung die Aktion nicht gestoppt, sondern nur ausgesetzt hat. Sollte die Arbeitslosigkeit der Über-50-Jährigen wieder steigen, wäre es also überlegenswert, die Maßnahme wieder aufleben zu lassen. Wie treffsicher und nachhaltig sie ist, das werden wir erst nach einer abschließenden Evaluierung wissen. Dafür ist es noch zu früh.
3. Wie wird sich der Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung verändern?
Erich Fenninger
Studien zur Digitalisierung schätzen das Ausmaß der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vollkommen unterschiedlich ein. Fakt ist, es wird Auswirkungen geben. Hier stellt sich ganz klar die Frage nach einer Schaffung von sozialer und materieller Absicherung für alle Menschen. Auch über eine Arbeitszeitverkürzung im Sinne einer Umverteilung von Arbeit muss nachgedacht werden.
Martin Gleitsmann
Die Angst vor massiven Jobverlusten ist unbegründet. Produktionsfortschritte und Beschäftigungsanstieg gingen in den letzten 50 Jahren Hand in Hand. Gerade wegen der seit Jahrzehnten stattfindenden Digitalisierung herrscht in Österreich Rekordbeschäftigung. Die Bereitschaft zum Lernen und die Offenheit für neue Aufgaben wird immer wichtiger. Es braucht neue Ausbildungsformen, die der zunehmend komplexeren Arbeitswelt gerecht werden. Die duale Bildung, die im Rahmen der Lehrausbildung einen zentralen Stellenwert einnimmt, wird auch in der Weiterbildung an Bedeutung gewinnen müssen.
Christoph Badelt
Die Digitalisierung wird vor allem viele Jobprofile verändern. Manche Berufsbilder werden wohl auch verschwinden, dafür entstehen andere neu. Tendenziell verändern sich die Arbeitsinhalte der Menschen schon seit Jahren. Sie gehen weg von manuellen Routinetätigkeiten – hin zu analytischen, kognitiven und interaktiven Arbeitsinhalten. Diese Entwicklung wird sich weiter beschleunigen. Wenn wir dem aktiv begegnen, ist das eine große Chance.