Dienstag, November 26, 2024

Spektakuläre Pleiten, ungewöhnliche Allianzen, politische Sündenfälle und der eine oder andere Paradigmenwechsel. Es war einiges los in den letzten 20 Jahren. Ein Streifzug durch zwei Jahrzehnte Bauwirtschaft in Österreich.

Die nackten Zahlen der heimischen Bauwirtschaft können sich durchaus sehen lassen: Mit rund 33.000 Unternehmen schafft sie Arbeit für mehr als 280.000 Menschen und erlöst pro Jahr laut Statistik Austria über 40 Milliarden Euro Umsatz. Damit ist die Baubranche eine der wichtigsten Säulen der österreichischen Wirtschaft. 

Diese Säule ist in den letzten 20 Jahren aber immer wieder gehörig ins Wanken gekommen. Der EU-Beitritt Österreichs war auch für die Bauwirtschaft ein großer Schritt. Für viele Unternehmen ist er sogar etwas zu groß ausgefallen. Die neue Konkurrenzsituation in Verbindung mit einer rückläufigen Baunachfrage in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre war etlichen Unternehmen dann doch zu viel. Es folgten große Fusionen und einige Pleiten. Dazu gab es die in der Branche fast unvermeidlichen Skandale und Skandälchen. Die Shootingstars von gestern sahen sich plötzlich der Justiz gegenüber, vermeintliche Kavaliersdelikte wie die monetäre Argumentation bei Auftragsvergaben waren plötzlich gar nicht mehr so harmlos und auch über explodierende Baukosten wollte plötzlich keiner mehr hinwegsehen.

Mit dem Anfang des neuen Jahrtausends ging es auch für die Bauwirtschaft aufwärts. Zahlreiche Unternehmen lebten mal mehr, mal weniger erfolgreich ihre Ostfantasien aus. Einen tiefen Einschnitt brachten die für die Branche desaströsen Finanzausgleichsverhandlungen Ende 2007. Mit der Aufhebung der Zweckbindung kam die Abwärtsspirale beim Wohnungsneubau so richtig in Fahrt. In den Landesbudgets gab es schließlich genug Löcher zu stopfen. Nur allzu gerne bedienten sich die Landeskaiser in den Geldtöpfen, die plötzlich kein Mascherl mehr hatten. Die Folge: Wurden im Jahr 2006 noch 47.400 neue Wohneinheiten in Österreich bewilligt, waren es laut Wifo im Jahr 2010 nur noch 39.100 Einheiten.

Das entspricht einem Rückgang von fast 18 Prozent in nur vier Jahren. Und 2011 ging es weiter abwärts, um rund sechs Prozent auf 37.000 Einheiten.  Ähnliches gilt übrigens auch für die Sanierung der 2002 »verländerten« Bundesstraßen. Für die Finanzierung der übertragenen Straßen gewährte der Bund bis 2007 einen Zuschuss von rund 530 Millionen Euro pro Jahr. Auch hier wurde die Zweckbindung aufgehoben und die Zuschüsse in Ertragsanteile umgewandelt – mit dem Ergebnis, dass heute ein Drittel aller Landesstraßen laut einer aktuellen Studie in einem schlechten bis sehr schlechten Zustand sind. 

Krise? Ohne uns...

Eine interessante Eigenheit der Baubranche brachte die Wirtschafts- und Finanzkrise ans Tageslicht. Einmal mehr bestätigte sich der Ruf des „Nachläufers“. Während spätestens ab 2009 fast über alle Branchen hinweg der große Katzenjammer ausbrach, arbeitete die Bauwirtschaft brav ihre Aufträge ab und erfreute sich an kurzfristig geschnürten Konjunkturpaketen. Der allgemeinen Tristesse konnte man so gar nichts abgewinnen. Sätze wie »Wenn Krise ist, gehen wir einfach nicht hin« war von nicht wenigen Unternehmenskapitänen, die teilweise heute noch im Amt sind, zu hören.    

Aber die Krise war hinterhältig und es kam, was kommen musste und nur die hartnäckigsten Realitätsverweigerer nicht wahrhaben wollten. Nachdem viele Aufträge abgearbeitet und die Konjunkturpakete ausgelaufen waren, traf die Krise mit zwei Jahren Verspätung die Branche mit voller Wucht. Einige Teilbereiche der Bauwirtschaft wie etwa die Baumaschinenhersteller verloren 50 Prozent ihres Umsatzes, anderen ging es nicht viel besser. Vom Vorkrisenniveau sind die meisten Unternehmen auch heute noch ein gutes Stück entfernt.

Aber selbst in dieser Phase gab es immer noch Unternehmen, die sehenden Auges ins Verderben liefen und einen Expansionskurs wider jeglicher wirtschaftlichen Vernunft fuhren. Auch wenn die Preis- und Unternehmenspolitik der Alpine in der Branche kein Geheimnis war und schon länger über Schwierigkeiten gemunkelt wurde, schlug die Drei-Milliarden-Euro-Pleite im Jahr 2013 ein wie Bombe. Die von vielen erhoffte und erwartete Marktkonsolidierung fand dennoch nicht statt. Die Kapazitäten der Alpine wurden von den Mitbewerbern übernommen, denn das Österreich-Geschäft der Alpine war ja halbwegs gesund, die blutige Nase holte man sich vor allem auf den ausländischen Märkten.  

Gemeinsam an einem Strang

An den Folgen der Krise hat die Bauwirtschaft bis heute zu knabbern, sie hat aber auch die große Zeit der Bau-Sozialpartner eingeläutet. Mit zahlreichen gemeinsamen Initiativen versuchte man der schlechten konjunkturellen Lage gegenzusteuern. In Zeiten, in denen sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter anderer Branchen erst recht gegenseitig die Schädel einschlugen, setzten sich die Bau-Sozialpartner gemeinsam an einen Tisch, um die besten Ergebnisse für die gesamte Branche und nicht nur die eigene Klientel zu finden. Die gemeinsame Nachhaltigkeitsinitiative »Umwelt + Bauen« wurde gegründet und Kampagnen wie »Bau auf A« und »Faire Vergaben« gestartet. Damit schufen die Bau-Sozialpartner die inhaltlichen Grundlagen für die jüngst beschlossene Wohnbauoffensive, die Novelle des Bundesvergabegesetzes und das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. 

Apropos Nachhaltigkeit:  Auch in Sachen Ökologie hat sich in der Bauwirtschaft einiges getan. Ab Mitte der Nuller-Jahre begann plötzlich ein Wort durch die Branche zu geistern, an dem es schon bald kein Vorbeikommen mehr geben sollte. Was früher gut oder effizient, vielleicht sogar zukunftsorientiert war, war jetzt nachhaltig. Nach anfänglichem Zögern entdeckte schließlich die gesamte Branche ihre Liebe zum stark inflationär gebrauchten Schlagwort. Aspekte wie Energieeffizienz, Ressourcenschonung oder Lebenszykluskosten sind heute fester Bestandteil jedes Bauvorhabens. Neubauten, die nicht über irgendein Nachhaltigkeitszertifikat verfügen, gibt es kaum noch.

Alles digital

In letzter Zeit hat die Branche schließlich ihre Liebe zur IT entdeckt. Mit der ihr eigenen Verzögerung springt auch die Bauwirtschaft auf den Industrie-4.0-Zug auf. Verbesserungspotenzial gibt es auch genug. Kritiker bemängeln, dass während in Branchen wie der Anlagen- und Autoindustrie in wenigen Jahrzehnten die Produktivität verdoppelt wurde, in der Bauwirtschaft in den letzten 50 Jahren keine wesentlichen Fortschritte erkennbar sind. Als Ausrede muss dafür oft der Prototypengedanke herhalten. Es stimmt zwar, dass die meisten Bauwerke Einzelstücke sind, dennoch ließen sich viele Prozesse durch die Digitalisierung verbessern. Während sich bei den Big Playern der Branche schon einiges tut, ziehen die Kleinen erst langsam nach.

Als eine Art Aushängeschild der Digitalisierung in der Bauwirtschaft dient das so genannte Building Information Modeling (BIM). Nichts weniger als einen völligen Paradigmenwechsel soll BIM herbeiführen und ein Allheilmittel für optimierte Planung, Ausführung und Betrieb sein. Mit BIM werden alle Gewerke frühzeitig in die Planung eingebunden und sämtliche relevanten Gebäudedaten digital erfasst, kombiniert und vernetzt. Das verlängert zwar die Planungsphase, soll den Bauprozess aber deutlich kürzer und den Betrieb deutlich effektiver machen. Doch während BIM in den USA, Großbritannien oder den skandinavischen Ländern schon weit verbreitet ist und vor allem öffentliche Ausschreibungen den Einsatz von BIM zwingend vorschreiben, ist man hierzulande noch abwartend. Dass BIM auch in Österreich flächendeckend zum Einsatz kommen wird, davon sind aber alle überzeugt, die Frage ist nur wann.

Einen kleinen Paradigmenwechsel gab es auch beim Selbstverständnis vieler Bauzulieferer. Denn die verstehen sich immer weniger als Produktlieferanten, sondern vielmehr als Lösungsanbieter. Das hat zum einen ganz praktische Gründe, schließlich lassen sich zusätzliche Dienstleistungen auch entsprechend einpreisen und können so den weit verbreiteten Margendruck etwas lindern. Es entspricht aber auch der neuen Kultur, die nicht zuletzt durch BIM Einzug in die Bauwirtschaft halten soll: Bauen soll ein gemeinschaftlicher Prozess mit gleichberechtigten Partnern von der Planung über den Bau bis zum Betrieb sein. Man darf gespannt sein.  

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