Donnerstag, Juli 18, 2024

Helmut Leopold ist Head of Digital Safety & Security Department beim AIT Austrian Institute of Technology. Mit dem Report spricht er über Marketing in der Forschung und Ethikfragen – und warum es wichtig für eine Gesellschaft ist, im eigenen Land Technologie zu entwickeln.

(+) plus: Herr Leopold, was ist Ihre Agenda in der Technologieforschung in Österreich?

Helmut Leopold: Einfach gesagt: Wir arbeiten in unserem Department Digital Safety and Security an der weltweiten Technologieführerschaft im IT-Segment. Wir wollen den Beweis antreten, das Zentrum der weltweiten IT-Forschung und Entwicklung hier in Österreich bilden zu können.

(+) plus: In einer Technologie führend zu sein – das kann schnell behauptet werden. Was macht Sie sicher, es zu schaffen?

Leopold: Wir sprechen hier bereits von einem vielfach bewiesenen Vorsprung am Markt. Technologieführerschaft heißt, dass wir als Einzige oder einer der Ersten unsere Entwicklungen auch an Kunden verkaufen können. Wenn zum Beispiel ein Konzern wie Apple unsere Lösungen einkauft, wenn größere Millionenbeträge in unsere Arbeit investiert werden – dann können wir sagen: Die Welt schaut nach Österreich. Dies gilt auch für größere heimische Unternehmen, die global tätig sind, die auf Know-how vom AIT setzen.

(+) plus: Seit Jahren dominieren große Namen aus den USA wie etwa Google die IT-Welt. Gibt es da noch Chancen für Marktspieler aus einem kleinen Heimmarkt wie Österreich?

Leopold: Natürlich gibt es diese Möglichkeit. Das AIT ist kein Milliardenunternehmen wie Google, muss sich mit seinen Erfindungen und Entwicklungen aber keineswegs verstecken. In einem bestimmten Hightech-Umfeld, und das sind stets schmale Bereiche, trauen wir uns eine Marktführerschaft weltweit zu – sei es mit unserem Consulting, Lösungs-Knowhow oder mit Technologie­lizenzen.

(+) plus: Was ist Ihr Rezept, als Forschungsunternehmen Aufmerksamkeit am Weltmarkt zu erlangen?

Leopold: Natürlich wartet niemand speziell auf den Anbieter aus Österreich. Für eine größere Aufmerksamkeit im Forschungsbereich sind auch die Faktoren Vertrieb und Marketing wichtig. Man muss nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Szene bekannt sein. Einem Unternehmen mit einer bekannten Marke wie Google wird sofort zugestanden, ein Auto bauen zu können – unabhängig davon, ob sie es tatsächlich tun. Es gibt in der Psychologie den sogenannten Halo-Effekt, in dem Menschen oder Dinge mit bestimmten Eigenschaften verknüpft werden. Im Ersten Weltkrieg wurde dies von einem amerikanischen Psychologen analysiert: Treten Soldaten sauber und gepflegt auf, vermitteln sie dem Gegner Stärke. Auch ein gut angezogener Kellner vermittelt Res-taurantgästen, dass die Küche hervorragend ist. Diesen Effekt gibt es natürlich auch in der IT-Wirtschaft. Wenn wir in Österreich keinen Brand von Weltrang haben, vermittelt das den Eindruck, wir können wenig. Doch ist das Gegenteil der Fall. Es fehlt vielen nur das Selbstvertrauen.

(+) plus: Das ist das Problem vieler kleinerer Forschungsinstitute. Was macht das AIT besser?

Leopold: Im Kleinen, wenn persönliche Kontakte für eine Zusammenarbeit in einem Projekt ausreichen, mag eine Zusammenarbeit schon schnell einmal funktionieren. Bei komplexeren Themen, die mehr Menschen, mehr Zeit und mehrere Ebenen etwa in einem Industriebetrieb umfassen, braucht es schon potentere Partner mit einer gewissen Masse und Organisationsform. Hier kommen das AIT oder andere Kompetenzzentren ins Spiel. Wir können dies größer liefern.

Wir sind in unseren Bereichen absolute Weltspitze. Um unsere Vertriebsleistung zu verbessern und zu unterstützen, müssen wir trotzdem einen guten Markennamen aufbauen. Bis wir so bekannt wie Google oder Amazon sind, müssen wir verstärkt auf Unternehmen und mögliche Partner zugehen und sie einladen, mit uns ins Gespräch zu kommen. Wenn wir diese Chance bekommen und unsere Fähigkeiten und Know-how zeigen konnten, kommen in der Regel die Aufträge.

(+) plus: Gerade bei amerikanischen Forschungseinrichtungen zeigt sich, dass auch die Größe ein Faktor ist, wie erfolgreich ein Unternehmen am Markt ist.

Leopold: Hier befinden wir uns in einer Grundsatzdiskussion. Mehr Volumen ist nicht automatisch auch besser. Das ist auch Thema der Innovationsforschung, dass hier ab einer bestimmten Größe niemand vor Stillstand und einer negativen Entwicklung seiner Innovationskraft gefeit ist. »The Innovator’s Dilemma« von Clayton Christensen beschreibt dies auch gut: Große Unternehmen sind aufgrund ihrer Organisation und der bestehenden Kundenbindungen oft nicht in der Lage, sich selbst neu zu erfinden.

(+) plus: Wie können sich nun Unternehmen mit mehreren Hundert Mitarbeitern dieser Gefahr des Stillstands, des Bewahrens von Bewährtem entziehen und agil bleiben? Sie haben ja selbst diese Unternehmensgröße.

Leopold: Egal, ob dies nun den Bereich Forschung oder Innovation betrifft – ich habe die Erfahrung gemacht, dass es rund sieben Jahre braucht, damit sich aus einem Team mit einer kritischen Masse von zehn bis 15 Mitarbeitern eine stimmige, funktionierende Einheit entwickelt, welche die Kraft hat, ein Unternehmen in eine neue Richtung zu führen. Je nach Technologieaufwand braucht es dann auch entsprechende Ingenieursarbeit und Ressourcen. Das Problem in vielen Forschungseinrichtungen und auch Kompetenzzentren sind aber die kürzeren Zeiträume von maximal fünf Jahren, die für Entwicklungen und Veränderungen zu Verfügung stehen. Man macht sich da etwas vor – steuert etwas an, ohne zu wissen, was es ist.

Auch muss nicht jeder Mitarbeiter alles erfüllen, was man idealerweise in der Forschung benötigt. Gleichzeitig exzellent in der wissenschaftlichen Arbeit, in der Technologieentwicklung, im operativen Vertrieb, beim Publizieren zu sein – das schafft kein einziger Mensch. Große Einrichtungen wie das MIT funktionieren deswegen gut, weil dort Wissenschaftler, Künstler, im positiven Sinne Verrückte ebenso wie langweilige Ingenieure ein geniales System bilden. Ähnlich interdisziplinär muss es in jeder Firma funktionieren – damit innen etwas entsteht und nach außen geleistet werden kann. Ich denke, das machen wir auch am AIT ganz gut. Den einzelnen Departments wird sehr viel Freiheit gegeben, sowohl für exzellente internationale Spitzenforschung als auch für Hightech-Technologieentwicklung.

Dies ist stets ergebnisorientiert und immer auf den Nutzen der Gesellschaft, also bedarfsorientiert, ausgerichtet. Denn wir haben natürlich Indikatoren, die uns zeigen, wie gut wir arbeiten und Strategieprozesse an denen wir uns orientieren. Und es braucht ein Management, das im Zwiespalt zwischen Zielorientierung und Vision agiert – und das eine Mischung aus Chaos und Kreativität, Top-down und Bottom-up, Steuerung und Selbstbestimmung ermöglicht.

(+) plus: Ist das eine allgemein gültige Regel für eine erfolgreiche Unternehmensführung: loslassen zu können?

Leopold: Sicherlich. Es gibt in der Welt einige Negativbeispiele von Managern, die das überhaupt nicht können. Da trifft man auf teils absurde zentrale Steuerungen selbst von Milliardenunternehmen. Wäre Zentralismus ein Erfolgsmodell, hätten wir immer noch Monarchien als vorherrschendes Konzept der Staatsführung. Streng hierarchisch geführte Organisationen haben ein Problem: Sowohl die Vergabe als auch das Einholen von Befehlen ist beliebig fehleranfällig und wird aus einer Eigenlogik heraus oft missbraucht. Ein zentraler Herrscher hat in der Regel ein Fehlbild der Realität. Zum einen verhindern längere Befehlsketten effiziente Lösungswege per se. Zum anderen ist die Kommunikation von unten nach oben von Angst geprägt. Ich sehe im Übrigen auch die Angst vor Fehlentscheidungen als große Herausforderungen bei den Unternehmen. Gerade in der Technologieentwicklung ist das ein Thema, da wir in diesem Bereich eine besondere Verantwortung haben.

(+) plus: Viele Techniker betrachten diese Ethikfrage anders: Wofür ein Produkt eingesetzt wird, wird rein als Verantwortung der Anwender gesehen.

Leopold: Die großen technologischen Veränderungen in unserer Gesellschaft – wie es das Internet war und gegenwärtig etwa autonomes Fahren ist – sind permanent Strömungen und Wandel unterworfen. In welcher Weise und zu welchem Zweck wir Technik letztendlich nutzen, liegt schon in der Verantwortung der Anwender. Die Gestalter dieser Technik sehe ich aber genauso in dieser Verantwortung. Die Techniker und die Physiker – wie schon Friedrich Dürrenmatt in seinem Stück »Die Physiker« die Verantwortung des Technikers einmahnt – können sich nicht der Diskussion entziehen, ob Technologie zum Wohl der Menschheit eingesetzt wird oder einen Schaden verursacht. Damit müssen wir uns auch in Österreich beschäftigen. Wenn wir Entwicklungen und Entscheidungen anderen überlassen, werden wir immer nur reagieren können, werden wir von anderen getrieben.

Als Unternehmen im öffentlichen Auftrag fokussieren wir auf anwendungsorientierte Forschung nicht um der Technikentwicklung willen, sondern für tatsächlich kritische und ethisch geprüfte Anforderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft. In dem österreichischen Förderprogramm für Sicherheitsforschung, KIRAS, beispielsweise werden mit Proof-of-Concepts auch Nichttechnikern die vorstellbaren positiven und auch negativen Auswirkungen von Technik demonstriert. Durch die breite Diskussion über den Einsatz von Systemen werden auch Themen wie Usability, Ausbildungsfragen, Regulierung und auch Gesetzgebung betrachtet. Den oder die Wissenschaftlerin oder Technikerin, die alleine all diese Fragen beantworten kann, gibt es nicht.

Wir können bei den Entwicklungen, die unsere Welt heute massiv verändern, nur mitreden, wenn wir wissen, was wir tun. Hätten wir nur eine vage Vorstellung von autonom gesteuerten Fahrzeugen, droht eine polarisierte Diskussion. Die einen sind dann aus Prinzip dagegen, die anderen heißen jede Art von Technologie gut. Aber nur Technik abzulehnen, ist gleichzusetzen mit einer Nichtentscheidung – damit liefern wir uns Strömungen von außen aus, die wir nicht beeinflussen können.

Das AIT und das Thema Sicherheit

Das AIT Austrian Institute of Technology ist mit rund 1.260 Mitarbeitern an mehreren Standorten und mit zahlreichen Kooperationen Österreichs größte außeruniversitäre Research and Technology Organisation. Im Department »Digital Safety & Security« des AIT werden Informations- und Kommunikationstechnologien entwickelt, um kritische Infrastrukturen sicher und zuverlässig zu gestalten. Das betrifft Bereiche wie öffentliche Verwaltung, Stromversorgung, Gesundheit, Übertragungsnetze, Zahlungssysteme und Telekommunikation. Die Forschungs­aktivitäten beziehen sich auf Themen wie Datenschutz, Erkennung und Abwehr von unberechtigtem Zugriff auf Systeme oder videobasierte Sicherungstechniken. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der persönlichen Sicherheit von Personen durch ordnungsgemäß funktionierende und zuverlässig verfügbare Systeme. Der Forschungs­fokus basiert auf gängigen IKT-Trends: Internet der Dinge und Machine-to-Machine-(M2M)-Kommunikation, Smart Grids, Smart City, E-Mobility, ­E-Government, E-Health und etwa E-Environment.

www.ait.ac.at

 

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