Sonntag, Juli 21, 2024

Die Baubranche befindet sich im Umbruch. Für Christian B. Maier, Finanzvorstand der Porr AG, ist die papierlose Baustelle keine Vision mehr, sondern schon bald Realität.

(+) plus: Hat der Finanzbereich in Unternehmen generell an Bedeutung gewonnen?

Christian B. Maier: Auf jeden Fall. Durch die geänderten Rahmenbedingungen an den Finanz- und Refinanzierungsmärkten hat sich die Bedeutung des Finanzvorstandes dramatisch verändert. Seit der Insolvenz der Alpine schauen die Banken mit Argusaugen  auf die Baubranche und unterstützen die Unternehmen nicht mehr so stark. Auch die Porr AG musste neue Refinanzierungskanäle über den Kapitalmarkt aufbauen. Auch die Risikodimension ist vollkommen anders als vor 2008. Der Finanzvorstand wird mehr gehört, er ist der Mahner. Früher hatten in der Bauindustrie vor allem die Techniker das Sagen. Sie ließen oft die länderspezifische Dimension außer Acht. Vor fünf, sechs Jahren waren wir noch in mehr als 50 Ländern tätig, jetzt konzentrieren wir 86 % unserer Bauleistung auf die fünf Heimmärkte im Herz Europas. Russ­land, Ukraine, Türkei, Libyen – das macht keinen Sinn mehr.

(+) plus: Sind Sie auch stärker in solche strategische Entscheidungen eingebunden?

Maier: Wir entwickeln die Strategie im Managementteam. Wir sind alle technisch orientierte Generalisten, aber stark kaufmännisch geprägt. Ein moderner Vorstand setzt sich aus unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen, jeder muss aber das Geschäft verstehen und beispielsweise wissen, warum eine Tunnelbohrmaschine im Gestein hängenbleibt. Wenn ich als Finanzchef nur das Rechnungswesen und Controlling sehe, ist das zu eindimensional. Ich muss auch stark in Richtung IT und Personal einwirken. Die Finanzen sind ein sehr aktiver Bereich geworden. Der CEO vertritt natürlich als »Außenminister« das Unternehmen nach außen. Aber innen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines CEO das Zuhören. Einer allein kann nichts bewirken. Wenn nicht alle in die gleiche Richtung im gleichen Takt rudern, kann es nicht funktionieren.

(+) plus: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Arbeitsweise?

Maier: Die Arbeitswelt des Baukaufmanns verändert sich gerade massiv. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Früher gab es eine Vielzahl von repetitiven Tätigkeiten, das ändert sich durch die Digitalisierung komplett. Allein durch Optimierung der Logistik können wir in den Prozessketten bis zu 80 % Kosten einsparen. Es gibt Bereiche, wo von der Auftragserteilung durchgehend bis zu Fertigstellung alles digital abgewickelt wird. Die papierlose Baustelle kann schon bald Realität werden. In der Forstwirtschaft läuft bereits alles elektronisch – vom Lieferschein, mit dem das Holz im Wald abgeholt wird, bis zur Vermessung des Holzes im Sägewerk. Der Lkw-Fahrer macht von der Holzfuhre ein Foto und das Sägewerk schickt die Vermessungsprotokolle und die Abrechnung direkt aufs iPad.

(+) plus: Wie sieht das in der Baubranche konkret aus?

Maier: In der Bauindustrie wird das auch kommen: Wenn ich einen Betonwagen bestelle, geschieht das via App und »just in time«. Auch für die Dokumentation kleiner Baumängel benutzen wir eine eigene App. Früher fotografierte man mit einer Kamera, füllte ein Formular aus, das wurde kopiert und mit der Hauspost weitergeleitet, der Mangel schließlich behoben, wieder ein Foto gemacht und ein neues Protokoll ausgefüllt – ein aufwendiger und teurer Prozess. Heute macht man mit dem iPhone ein Foto, die App weiß automatisch, in welcher Stadt, in welchem Gebäude und in welchem Raum sich dieser Schaden befindet, routet die Daten in Echtzeit zum zuständigen Departement, das den nächsten Mitarbeiter hinschickt, um den Mangel zu beheben. Das sind Modelle der Zukunft.

Bauwerke werden immer intelligenter und vernetzter. Über BIM (Building Information Modelling) kann man Risiko massiv reduzieren – sowohl für den Bauherren als auch für das Bauunternehmen. Hier sind wir klare Vorreiter im europäischen Raum. Das gilt auch für das Reporting: Früher brauchten wir 20 Tage, bis die Zahlen des Vormonats vorlagen. Mittelfristig wollen wir in Echtzeit Berichte liefern, so wie das Banken bei Wertpapiertransaktionen schon schaffen. Das ist meine Vision. Der CFO wird vom Navigator zum Steuermann. Unternehmen, die das schaffen, werden einen signifikanten Wettbewerbsvorteil lukrieren können.

"Es bleibt kein Stein auf dem anderen. von der auftragserteilung durchgehend bis zur fertigstellung wird alles digital abgewickelt."

(+) plus: Ist die Kostenreduktion noch das zentrale Thema?

Maier: In der Bauindustrie haben wir relativ geringe Margen. Mit 3 % sind wir auf der Kosten- und Ertragsseite im vorderen Drittel positioniert. Die Prozessoptimierung bewirkt, dass die Verwaltungskosten dramatisch sinken. Die Investitionen sind so schnell zurück verdient, dass es kaufmännisch einfach Sinn macht. Auch die Transparenz auf den Baustellen nimmt enorm zu. Das hilft, Kos­tenexplosionen zu vermeiden. Die Kosten-ersparnisse durch Standardisierung und Digitalisierung sind enorm. Wir stehen vor einer digitalen Revolution in der Bauindus-trie – ich sehe hier einen Zeithorizont von etwa drei Jahren. Wer nicht dabei ist, wird keine Überlebenschance haben.

(+) plus: Warum verharren viele Unternehmen dann noch in Warteposition?

Maier: Der Zug ist längst abgefahren. Ein Betrieb, der am Land kleine Häuslbauer betreut, kann vielleicht noch Lieferscheine händisch ausstellen, aber große Bauunternehmen müssen digitalisieren. Ein duales System wird es wohl länger geben, man wird also mit zwei Geschwindigkeiten leben müssen. In drei bis fünf Jahren kann die Welt aber schon ganz anders aussehen: Im Bankbereich füllt auch kaum noch jemand einen Zahlschein aus.

Ich halte nichts von der Idee, bei Standardabläufen in unterschiedlichen Systemen zu fahren. Harmonisierung ist einer der zentralen Punkte, um Effizienz ins Unternehmen zu bekommen. Wir achten sehr auf homogene Systemlandschaften. Alle unsere Systeme und Tools sind aufeinander abgestimmt, um möglichst wenig Schnittstellen zu haben. Unsere Mitarbeiter sollen ihre Zeit nicht mit administrativen Tätigkeiten, sondern bei den Kunden verbringen und dadurch das Unternehmen profitabler machen.

(+) plus: An welchen Schrauben kann im Fokus von Innovation und Nachhaltigkeit gedreht werden?

Maier: Wir entwickeln uns im technischen Bereich bei Werkstoffen ständig weiter. Tragdecken können etwa durch bessere Betonqualität und Vorspannsysteme dünner ausgeführt werden. Durch intelligente Logis­tiksysteme versuchen wir, den CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren. Wenn ein Lkw nicht warten muss, sondern »just in time« abgeladen wird, verbraucht er zudem weniger Diesel. Die Bagger laufen nicht im Leerlauf, sondern schalten sich nach zehn Sekunden automatisch ab. Durch eigene Telematikgeräte läuft die Serviceuhr erst dann, wenn die Maschine wirklich in Betrieb ist. Somit sparen wir auch ein Viertel der Servicekosten – ein doppelter Nutzen. Durch elektronische Lieferscheine wird weniger Papier verwendet. Wir brauchen deshalb weniger Stauraum und Bürofläche für Archivierung.

(+) plus: Welche Herausforderungen stehen auf Ihrer Agenda?

Maier: Wir wollen weiterhin eine hohe Cash-Position für Akquisitionen haben. Das intelligente Wachstum, das wir eingeleitet haben, können wir mit selektiven Zukäufen perfekt abrunden. Wir rechnen mit einer Konsolidierung im deutschsprachigen Raum. Die Top 3 in Österreich haben 15 % Marktanteil. In Frankreich hält der Marktführer allein 18 %, auch in Spanien und Skandinavien gibt es wesentlich stärkere Konzentrationen. Wir wollen aktiver Konsolidator sein und ertragsstabil wachsen – mit klarem Fokus, ohne unnötige Risiken einzugehen. Ein einziges schlechtes Projekt kann den ganzen Ertrag vernichten. Mit unserem Risikomanagementsystem sehen wir Probleme frühzeitig und können gegensteuern.

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