Wie können Innovation und Veränderung in Unternehmen optimiert und unterstützt werden? Ein Podiumsgespräch zum Thema »Gamechanger« lieferte Antworten aus Blickwinkeln der Biologie, IT und Psychologie.
Agil auf neue Herausforderungen reagieren und dabei bislang gültige Regeln und Mechanismen hinterfragen, war das Motto einer Fachtagung Ende Jänner von »Agile Circle Online«. Gastgeber Alexander Weichselberger und SprecherInnen aus unterschiedlichsten Disziplinen boten einen breiten inhaltlichen Rahmen zum Thema Veränderung und Innovation. Den Abschluss der Fachtagung bildete eine Podiumsrunde mit Markus Hengstschläger, Medizinische Universität Wien, Mirjana Čović, ÖBB Infrastruktur AG, Forscher und Berater Christian Rammel und Hemma Bieser, avantsmart.
Report: Wie findet sich der Mensch in einer sich unaufhörlich verändernden Welt zurecht? Und von Unternehmen gesprochen: In welcher Weise sind Anpassung und Veränderungen vor allem eine Führungsaufgabe?
Markus Hengstschläger: Wir alle sind persönlich und beruflich mit weit mehr Fragestellungen konfrontiert als je zuvor. Und waren Veränderungen früher mehr linearer Natur, haben wir es jetzt oft mit einem exponentiellen Wandel zu tun. Wir brauchen eine permanent aktive Lösungsbegabung, um diese neuen Herausforderungen zu meistern. Nun sind Begabungen etwas, das nur bedingt in unseren Genen steckt. Viel entscheidender ist unsere Umgebung, sind Förderungen von außen und ob ich meine Begabung auch anwende und laufend dazu Wissen erwerbe.
Während sich nun das klassische Management in einer Organisation natürlich mit Personalentscheidungen, Finanzen und einfach dem Tagesgeschäft beschäftigen muss, braucht es für unvorhersehbare Dinge mehr aktives »Leadership«. Die Arbeit an Innovationen bedeutet, Risiken einzugehen – schließlich kann man auch scheitern. In der Praxis haben wir oft keine scharfe Trennung zwischen Management und Leadership. Generell muss eine Unternehmensführung aber stets das Verhältnis Sicherheit zu Flexibilität, Vorhersehbaren zu Unvorhersehbaren auf einen aktuellen Stand bringen. Man sollte sich dabei unaufhörlich selbst hinterfragen. Es sind oft äußere Umstände, wie jetzt gerade die Pandemie, die Menschen zwingen, entweder sicherer oder im Gegenteil auch riskanter zu handeln.
Bild: Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. (Foto: Anna Mayerhofer)
Report: Wie können Begabungen und Talente von Menschen eingeschätzt werden?
Hengstschläger: Was oft nicht gut funktioniert, ist die Selbsteinschätzung der Menschen. Man spricht hier gerne von »blind spots«. Wichtig ist es, seine Umgebung zu den eigenen Stärken und Schwächen zu befragen. Spiegeln Sie die Meinung, die Sie über sich haben, mit der Meinung Ihrer KollegInnen über Sie. Da kommt mitunter Überraschendes zutage.
Unternehmen tun prinzipiell gut daran, Teams möglichst heterogen zusammenzusetzen. Je diverser, individueller und flexibler ein Team aufgestellt ist, desto mehr Antworten wird man generieren können – auch auf Fragen, die man heute noch gar nicht kennt. Das ist auch das Wesen der Grundlagenwissenschaft. Wozu forscht man in diesem Bereich, ist oft die Frage. Um Wissen zu schaffen, auch wenn eventuelle Anwendungen vielleicht erst viel später kommen. So ist es auch mit herausragenden Innovationen, die nicht nur etwas verbessern, sondern einen völlig neuen Markt schaffen.
Report: Was unternimmt die ÖBB Infrastruktur AG, um Innovation und Veränderung zu unterstützen?
Mirjana Čović: Wir schaffen hier Räume, insbesondere um ungerichtete, offene kreative Prozesse wie Design Thinking zu ermöglichen. Dazu stellen wir seit Jahren mit dem »Open Innovation Lab« einen Raum zur Verfügung, der eine kreative Atmosphäre schafft, der sich frei gestalten lässt und entsprechende Tools bereithält. Mit einem weiteren Programm für die digitale Fitness unterstützen wir unsere MitarbeiterInnen, aktiv an der digitalen Transformation teilzunehmen. Wir wissen, wie wichtig es ist, bei dieser Reise alle im Team – über unterschiedliche Altersstufen, Aufgaben und Berufe hinweg – mitzunehmen. Nur dann entstehen auch die besten Ideen. Auch wir sind überzeugt, dass große Lösungen aus den Begabungen vieler Einzelner entstehen.
Ein Teil der digitalen Fitness ist auch, mit den vielen Veränderungen und Belastungen in der digitalen Welt zurecht zu kommen. Für Organisationen gehört dazu, nicht zu viel gleichzeitig zu verändern. Gerade ein Wechsel von starren Hierarchien zu agilen Arbeitsformen sollte fokussiert angegangen werden – parallel dann etwa ein Shared-Desk-Konzept einzuführen, kann manche überfordern.
Bild: Mirjana Čović hat den Service Lead Innovation im Stab Informationstechnologie bei ÖBB Infrastruktur AG inne. (Foto: Michael Fritscher)
Report: In welchen Technologien sehen Sie das größte Potential für Innovationen derzeit – auch branchenübergreifend?
Čović: Es gibt eine Reihe vielversprechender Technologien, allen voran künstliche Intelligenz. Ich sehe auch Blockchain-Lösungen als den großen Gamechanger schlechthin. Die Blockchain hilft den Menschen, Vertrauen in technologiebasierte Systeme zu bekommen – in einer Welt, die heute von Unsicherheit geprägt ist. Sie hat das Potenzial, Geschäftsmodelle komplett zu verändern.
Report: Was können Organisationen hinsichtlich Innovation von der Evolution lernen?
Christian Rammel: Zunächst einmal zeigt uns die Natur, dass der Beste – salopp gesagt – am schnellsten ins Gras beißt. In einer Welt, die sich weiterdreht und die sich ständig verändert, ist der Erfolg von gestern oft die Bürde von morgen. Es geht nicht darum, der stärkste und fitteste zu sein, sondern anpassungsfähig mit Veränderungen umgehen zu können. Nehmen Sie die Herausforderung Klimawandel im Verkehr: Wir brauchen nicht Innovationen, die Verbrennungsmotoren effizienter machen, sondern eine richtiggehende Transformation des Antriebs zu etwas völlig Neuem, zu einer anderen Technologie. Hier ist Vielfalt wichtig.
Gerade die Vernetzung von Strukturen und das Beschäftigen mit dem Fremden, schafft Neues. Konkurrenz entlang des gleichen Weges schafft vielleicht Effizienz, aber auch Einfalt und Krisenanfälligkeit. Die Natur schafft immer Vielfalt, in der auch die sogenannten «hopeful monsters« Platz haben. Es sind Mechanismen, die im Augenblick recht unangepasst sind – die Freaks der Evolution –, aber in einem neuen, unvorhergesehenen Setting die Erfolgreichen sind. Wir sprechen hier auch von Präadaptionen, von einer Vielfalt an Möglichkeiten, sich für die Zukunft zu entwickeln. Die ersten Landlebewesen sind so ein Beispiel. Es waren Fische mit sehr sonderbaren Flossen. Aber sie waren die Trendsetter für eine erfolgreiche Entwicklung.
Bild: Christian Rammel ist Berater, Autor und Vortragsredner zum Thema »Darwin meets Business«.
Report: Wie sind Unternehmen für Herausforderungen am besten gewappnet? Was sollte man beachten?
Rammel: Neben dem Thema Vielfalt ist ein Faktor auch die Kooperationsfähigkeit von Teams. Große Chöre haben nie fixe Solisten, sondern arbeiten projektweise mit SängerInnen zusammen. Auch in der Basketballliga NBA wechseln die Stars ständig – denn sie können auch Teams zerstören. Wir suchen in der Wirtschaft oft nach den Alphas, den Superstars, ohne genügend darauf zu achten, ob diese in mein Team passen.
Trotzdem braucht es auch radikale Erneuerung, kreative Zerstörung. Es ist viel einfacher, Neues zu lernen, als Altes loszulassen. Um Platz für Neues zu schaffen, brauchen wir auch eine Unternehmenskultur, die das ermöglicht.
Report: Was raten Sie Unternehmen hinsichtlich Innovation und Veränderung?
Hemma Bieser: Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden. Wir haben jahrelang davon gesprochen, dass Digitalisierung der größte Treiber für Veränderung in den Unternehmen ist. Trotzdem erfolgte die Veränderung in vielen Branchen sehr langsam, die Unternehmen waren regelrecht widerstandsfähig gegen Innovation. Mit Corona war das auf einmal alles anders. Pläne und Prozesse haben nicht mehr wie bisher funktioniert. Jeder musste auf einmal innovativ und kreativ in der Bewältigung des Arbeitsalltags und auch seines Privatlebens sein.
Nach fast einem Jahr Erfahrung ist jetzt ein guter Zeitpunkt für Unternehmen und Teams, innezuhalten und gemeinsam zu reflektieren: Was haben wir in den letzten Monaten gelernt? Wie haben sich die einzelnen MitarbeiterInnen entwickelt? Was hat gut funktioniert und soll auf jeden Fall auch in Zukunft beibehalten werden? Was es aber derzeit überhaupt nicht gibt, ist eine Planbarkeit. Unternehmensführungen wurden von der VUCA-Welt – die volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig (engl. ambiguous) ist – voll erwischt. Fünf-Jahres-Pläne können sie vergessen, man kann vielleicht entscheiden, wie die nächsten fünf Tage aussehen werden – und nicht einmal das. Nun gibt es in der Beratung im Bereich Business Agility sehr wohl Methoden und Konzepte, die gerade in diesen neuen Situationen erfolgreich übertragen werden können.
Bild: Hemma Bieser, Geschäftsführerin avantsmart, entwickelt neue Geschäftsmodelle und berät Unternehmen in Digitalisierungsprozessen.
Report: Was bedeutet das für Teams?
Bieser: Organisationen und Teams sollten möglichst agil und flexibel aufgestellt sein. Das bedeutet konkret, dass man Vertrauen braucht. Auch wenn ich remote arbeite und meine Mitarbeiter nicht regelmäßig sehe, sollte ich sie regelmäßig bei Onlinemeetings treffen. Es sind aber auch Strukturen und Abläufe notwendig, die ein rasches Entscheiden möglich machen. Dazu sollten auch Verantwortlichkeiten und Entscheidungsfreiheiten neu definiert werden. Was darf der Einzelne entscheiden, was darf das Team und welche Dinge die Unternehmensführung? All diese Fragen gilt es, immer wieder an die Situation angepasst neu zu verhandeln.
Gamechanger sind Menschen, die gelernt haben, mit Veränderung und Unsicherheit umzugehen. Sie sind erfolgreich, auch wenn die Gesamtsituation schwierig ist.