Bei einem runden Tisch mit Fachpublikum diskutierten VertreterInnen aus der Wirtschaft und Organisationsberatung über die Herausforderungen in den vergangenen Monaten – und wie flexibel Unternehmen für die Zukunft aufgestellt sein sollten. (Mit Video)
Die digitale Transformation stellt Anforderungen an Unternehmen, die in den letzten Jahren exponentiell gestiegen sind. Ob nun Extremsituationen wie verordnetes Homeoffice in der Pandemie oder der Fachkräftemangel in Teilen der Wirtschaft: In Organisationen ist eine neue Art der Unternehmensführung notwendig. Welche Firmenkulturen heute ein Problem haben, wie Organisationen widerstandsfähiger werden können – und warum die Digitalisierung an allem schuld und gleichzeitig Hebel für neue Möglichkeiten ist, diskutierten am 7. Oktober in einer Webkonferenz Expertinnen und Experten aus verschiedenen IT-Bereichen, Arbeitsmarkt und Unternehmensentwicklung. Das Fachgespräch moderierte Martin Szelgrad, Report Verlag.
Videoschnitt unter https://www.youtube.com/watch?v=JBMEiNrvL6Q
Am Podium:
Mario Buchinger ist „Ökonomie-Physiker“, Querdenker, Musiker und Autor. Der ausgebildete Lean-Manufacturing-Consultant war bei Daimler und Bosch als Führungskraft tätig und berät heute Unternehmen über Wege zur Veränderungsfähigkeit – die auch Gegenstand seines neuen Buches „Das Wasserfall-Paradoxon“ sind.
Priska Altorfer ist Managing Partner von wikima4, einem Schweizer Softwarehersteller und Berater für Compliance und IT-Sicherheit mit österreichischer Niederlassung. Sie ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Informatikverbandes, Mitglied des „DiversIT Charter Team“ des „Council of European Professional Informatics Societies (CEPIS)“ und Präsidentin der Working Moms Schweiz.
Johann Martin Schachner ist seit 2013 CEO von Atos Österreich. Davor war er viele Jahre Senior Vice President in der Region CEE. Atos ist ein weltweit tätiger Anbieter für die digitale Transformation mit Standorten in 73 Ländern und einem Jahresumsatz von 12 Milliarden Euro – mit dem Fokus auf Hybrid-Cloud-Services, Big Data, Business Applications, Digital Workplace, Cybersecurity und High Performance Computing.
Mario Zimmermann ist seit sechs Jahren Country Manager Austria von Veeam Software. Veeam ist ein weltweit führender Anbieter von Backup-Lösungen für Cloud-Datenmanagement und stellt eine einheitliche Plattform bereit, mit der Kunden ihre Datensicherung modernisieren, den Einsatz von Hybrid Cloud beschleunigen und ihre Daten schützen können.
Anton Leitner ist seit 2006 CIO der NÖM AG und wurde 2015 von Confare und EY mit dem „CIO Award“ ausgezeichnet. Seine Karriere begann im SAP-Bereich bei Capgemini International. Nach der Rückkehr nach Österreich hatte er fünf Jahre die Rolle des CIO bei Eduscho/Tchibo inne.
Manuela Vollmann ist Geschäftsführerin von abz*austria, einem Non-Profit-Unternehmen für Gleichstellung am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft. Sie ist Vorstandsvorsitzende von „arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich“ und Vorstandsmitglied des European Network for Social Integration Enterprises.
Mario Buchinger, Buchinger Kuduz
Report: Unternehmen mit welchen Organisationsformen und welchen Führungsprinzipien haben die Krisensituation in den letzten Monaten tendenziell besser bewältigen können? Und wer hat ein Problem?
Mario Buchinger: Die Krise hat einem Brennglas gleich jene Schwächen in Organisationen aufgezeigt, die schon vorhanden waren. Man hat erkannt, welche Firmen von Unternehmern und welche von Managern geführt worden sind. Ich merke das auch in meinem Umfeld: Als kleines Unternehmen können wir mit einem internationalen Kundennetzwerk überleben. Es sind unternehmergeführte Firmen, die sich in der Krise teilweise neu erfinden und gemeinsam mit ihrer Belegschaft und teils auch den Kunden Neues ausprobieren. Es kommt weder zu einer Schockstarre, noch wird rein an Kennzahlen orientiert agiert. Diese Unternehmen können die Ungewissheit ertragen und sie investieren in ihre Zukunft.
Und dann gibt es die anderen: Sie fokussieren auf gute KPIs am Ende des Jahres und achten auf die Einhaltung des Cashflows ihrer Zielvereinbarung. Mitunter wird diese Starre noch verschärft – ich erlebe das bei einigen Herstellern in Deutschland –, indem krampfhaft das Alte bewahrt und dafür kräftig lobbyiert wird. Klassisch tayloristisch geprägte Organisationen haben momentan große Schwierigkeiten.
Report: Wie sollte eine Unternehmensführung gestaltet sein, um ein Unternehmen resilienter gegenüber schlagartigen, großen Veränderungen zu machen?
Buchinger: Pauschal lässt sich das nicht sagen – es kommt immer auf die Menschen an, die eine Organisation ausmachen. Trotzdem sind prinzipiell Unternehmen veränderungsfähiger, die Neues in Erwägung ziehen können und Mut haben, etwas zu wagen. Das müssen auch nicht immer Eigentümer sein: Es gibt auch gute Geschäftsführer und CEOs mit engagierten Kolleginnen und Kollegen in den Vorstandsetagen. In Tirol gibt es beispielsweise derzeit ein krasses Gegenbeispiel, wie Eigentümer für ein Unternehmen überhaupt nicht gut sind. Die Frage ist: Wie ticken die Leute in der Verantwortung? Wenn diese in der Lage sind, Dinge zu hinterfragen und dabei auch die Belegschaft mitzunehmen, indem sie die Menschen auch als Quelle der Verbesserung sehen, dann sind sie flexibler und agiler in ihrer Veränderungsfähigkeit.
Report: Nun ist eine Veränderung auf dem Papier einfach durchführbar. Was aber muss auch tatsächlich begriffen werden, um sich zu verändern?
Buchinger: Der schreckliche Begriff „Change-Management“ suggeriert, man könne den Wandel planen – das ist schon der erste Fehler. Unternehmen müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass eine Veränderung planbar und implementierbar ist. Es gibt eine Sache, die können einem auch nicht die Berater mit ihren Zehn-Punkte-Plänen abnehmen: die eigene Kreativität. Diese lässt sich nur dann triggern, indem ich verstehe, was die Kunden wirklich wollen. Dabei geht es vor allem auch darum, vorausschauend zu denken, denn meine Kunden befinden sich im Heute und Jetzt – sie können mir also nur begrenzt über ihren künftigen Bedarf Auskunft geben. Es gilt, die Kunden von morgen zu verstehen. Dafür gibt es keinen allgemeinen Handlungsleitfaden. Als Musiker würde ich sagen: Da muss eine Jam-Session her, ich muss ausprobieren können. Ich werde dabei auch auf die Nase fallen, aber das muss ich wagen.
Die Unternehmen, die darin gut sind, haben kreative Köpfe – sie sind keine Spezialisten einer bestimmten Methodik. Dazu gehört das Wagnis, alte Modelle und Ideen einzureißen. Das betrifft nicht nur Unternehmensprozesse, die mit einer Digitalisierung per se noch nicht besser werden, sondern auch soziale und gesellschaftliche Normen. Schon Henry Ford hat gezeigt, dass mit neuen technischen Möglichkeiten auch die Normarbeitszeit verändert werden kann. Kaizen etwa bietet dazu die richtigen Fragestellungen: Ist das, was ich heute tue, morgen noch das Richtige? Ich muss mich selbst hinterfragen, wenn es mir gut geht. Tue ich das erst in einer Krise, kann es zu spät sein. Man sollte dazu den eigenen Erfolg stets wieder vergessen – denn dieser ist der größte Feind von Veränderungsfähigkeit.
Priska Altorfer, Managing Partner, wikima4 AG
Report: Unsicherheit, Angst vor Stellenverlust macht Menschen schwer zu schaffen. Viele geraten in eine Art Überlebensmodus, der aber für längere Zeit auch für Unternehmen nicht gesund ist. Welche Wege gibt aus dieser Falle?
Priska Altorfer: Wir sehen mit der Digitalisierung eine größere Unsicherheit bei den Menschen. In Veränderungsprojekten, die meist von externen Beratern empfohlen werden, bekommen die Beschäftigten etwas übergestülpt, das sie in ihrem Arbeitsalltag ausbaden müssen. Was oft fehlt, ist ein offener Diskurs in den Unternehmen zu einer Verbesserung der Prozesse und auch zu den Werten, die man leben möchte. Ich empfehle, wieder neugierig auf Neues und auf die Aufgaben zu sein, die für eine Kultur im Unternehmen stehen. Das betrifft etwa auch den Wert von Daten, über die ich vielleicht bereits verfüge, und wie diese für ein verändertes Geschäft neu zusammengesetzt werden können. Junge Mitarbeiter haben da oft die Einstellung, auch eine Krisensituation nicht als zu bedrohlich zu empfinden, sondern in den Normalmodus zu gehen. Und Normalmodus kann jetzt gerade auch bedeuten, die Leute aus ihrer Komfortzone im Homeoffice wachzurütteln. Unternehmen sollten gerade jetzt mit einer größeren Aktivität und Aggressivität agieren.
Report: Wie sehen Sie hier Unternehmen in Europa aufgestellt – auch hinsichtlich des Nutzens von technischen Möglichkeiten?
Altorfer: Ich habe den Eindruck, dass wir in Mitteleuropa etwas eingelullt agieren. Wenn ich mit Unternehmen in England und den USA rede, dann haben IT und Digitalisierung einen wesentlich höheren strategischen Stellenwert für die Gestaltung neuer Geschäftsprozesse und auch neuer Geschäftsfelder. Jene, die auch in der Distanz der digital unterstützten Zusammenarbeit über die Stärken ihrer Mitarbeiter Bescheid wissen und diesen auch vertrauen, müssen die Last einer neuen Strategie auch nicht allein über den CIO oder den CDO schütten. Es gilt, sich gemeinsam um die Unternehmenszukunft zu kümmern, anstatt um den eigenen Garten. Das könnte beispielsweise auch einmal eine Zusammenarbeit mit anderen Firmen bedeuten, wenn zeitweise Fachkräfte überlassen werden. Früher war das ganz normal: Wenn auf dem Bauernhof jemand Unterstützung gebraucht hat, ist der Nachbar gekommen und hat geholfen.
Wir haben in der Schweiz das schöne Prinzip in der Politik mit sieben Ministern im Bundesrat. Jedes Jahr darf ein Mitglied Präsident oder Präsidentin spielen – mit ein paar Zusatzaufgaben. Das funktioniert nur mit Vertrauen.
Johann Martin Schachner, CEO Atos Österreich
Report: Welche Firmenkultur in Sachen Teamarbeit und Unternehmensführung herrscht bei Atos in Österreich? Welche Auswirkungen hatten die letzten Monate darauf?
Johann Martin Schachner: Atos hat in Österreich 1.700 Mitarbeiter und weltweit rund 110.000 – wir sind somit ein sehr groß aufgestelltes Unternehmen. Es liegt in unserer Tradition, dass wir in virtuell zusammengesetzten Teams und grundsätzlich projektorientiert arbeiten und organisiert sind. Diese flache Hierarchie hatten wir vor Corona vor allem in den Büros und an den Kundenstandorten, aber es wurden bereits auch internationale Kollegen eingebunden. Das hat sich mit dem Lockdown geändert, indem sich die Arbeit ins Homeoffice verlagert hat und damit auch ein neues Führungsverhalten nötig wurde.
Corona hat das beschleunigt, was für virtuelle Teamstrukturen ohnehin wichtig ist: Es braucht eine flexible Organisation, eine technische Infrastruktur beispielsweise für Videogespräche und eine aktive Kommunikation auf allen Ebenen. Führungskräfte müssen die Menschen direkt bei ihren Fragestellungen und Unsicherheiten abholen. Besonders Familien waren mit der Kinderbetreuung in einer herausfordernden Situation. Hier haben wir reagiert und Familien mit schulpflichtigen Kindern entlastet, indem für jede Urlaubswoche, die konsumiert wurde, eine weitere dazu geschenkt wurde. Mitarbeitern aus Risikogruppen, die ihre Wohnung nicht verlassen wollten, haben wir die nötigen Arbeitswerkzeuge nach Hause geliefert.
Ich sehe durch die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens schon auch eine Erleichterung, längere Arbeitswege zu vermeiden. Eltern – und hier vor allem Mütter, die nach wie vor den Hauptanteil der Kinderbetreuung tragen – können damit auch früher in den Arbeitsprozess einsteigen. Der Pendlerverkehr wird reduziert, mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt. Mit den technischen Möglichkeiten für den Arbeitsplatz kommen soziale und gesellschaftliche Veränderungen einher, bis hin zu einer Verringerung der Landflucht.
Report: Wie können sich Organisationen nun aufstellen, um für eine künftige Arbeitswelt gewappnet zu sein? Welche Führungsthemen sehen Sie hier?
Schachner: Unternehmen müssen die Rahmenbedingungen für eine moderne Organisationen schaffen und haben dazu aber auch den gesetzlichen Rahmen – Stichwort Arbeitsrecht – zu befolgen. Flexibles Arbeiten bedeutet eine sehr flexible Einteilung, wann und wie bestimmte Leistungen erbracht werden. Ich denke, dass viele das wollen, es ist aber derzeit nicht durchgängig gesetzlich geregelt. Wir haben in Europa mit einem neuen Gesellschaftsmodell am Arbeitsmarkt, unterstützt durch Technologie, auch eine Riesenchance. Anders als in Asien insbesondere China, wo Technologie zur Überwachung genutzt wird, soll in Europa Technik flexibel und in einer freien Art und Weise zum Vorteil der Menschen und ihrer Arbeitsleistung eingesetzt werden.
Es ist eine Integration in alle Lebensbereiche, die – auf Unternehmen umgelegt – auch Bedeutung für alle Business-Prozesse hat. Unternehmensführung bedeutet, den Mitarbeitern zu vertrauen. Und es bedeutet in Krisenzeiten, aktiv die Menschen zu coachen. Ich sehe für die Zukunft eine vielseitige Arbeits- und Bürolandschaft kommen, die technisch unterstützt eine Balance zwischen Kreativräumen, Kommunikation und Zusammenarbeit bietet, ebenso wie Ruhezonen.
Mario Zimmermann, Country Manager Austria Veeam Software
Report: Wie hat Veeam als international aufgestelltes Unternehmen die vergangenen Monate gemeistert? Welchen Anteil hat die Firmenkultur bei Veeam in Sachen Teamarbeit und Unternehmensführung?
Mario Zimmermann: Mit weltweit 2.500 Mitarbeitern haben wir trotz unserer Größe und unseres Alters von 14 Jahren immer noch sehr schlanke Unternehmensprozesse, ähnlich einem Startup. Diese Schnelligkeit ist auch in Krisen wie dem Lockdown von Vorteil gewesen. Alle Mitarbeiter bei Veeam in Österreich haben Homeoffice-Verträge und ich arbeite nun seit neun Jahren, von Beginn an, an meinem Arbeitsplatz zu Hause. Aber auch wir haben zusätzlich ein Büro für regelmäßige persönliche Treffen und den sozialen Austausch. Meine Erfahrung ist: Je internationaler ein Unternehmen war, mit vielen Standorten, desto leichter hat der Umstieg auf VPNs, Webkonferenzen und Firmen-Notebooks zu Hause funktioniert.
IT und Digitalisierung sind immer wichtiger geworden und auch die Awareness dazu ist gewachsen. Wer vor der Pandemie nicht digital aufgestellt war, ist es jetzt. Die Verfügbarkeit von Daten und Information ist unser Kerngeschäft – in den vergangenen sechs Monaten hat sich das noch weiter verstärkt, gerade auch in verteilten Infrastrukturen in der Multicloud. Krisen sind seit jeher eine Zeit, in der es zu Veränderungen kommt. Die Digitalisierung hat auf C-Level in den Organisationen nicht der CEO oder CIO, sondern Covid-19 vorangetrieben.
Wenn die Menschen, die ein Unternehmen ausmachen, motiviert sind, wird auch die Firma erfolgreich sein. Das muss von Führungskräften aber bewusst unterstützt werden, indem sie entsprechend Ressourcen dafür bereitstellen. Für mich bedeutet Firmenkultur, motivierte Leute im Team zu haben, die in dem dezentralen Arbeiten auch Selbstdisziplin mitbringen. Es ist wie im Spitzensport: mit täglichem Training und festgelegten Abläufen.
Report: Wie ist es den Vertriebsabteilungen in der Krise ergangen, als physische Kontakte eingeschränkt wurden? Wie kann man da als Führungskraft unterstützen?
Zimmermann: Es war eine große Herausforderung, denn das Geschäftsleben in Österreich basiert auf sozialen Kontakten. Jemandem die Hand zu schütteln und dem Gegenüber persönlich in die Augen zu schauen, war plötzlich nicht möglich. Essenziell ist, nicht zu hadern, sondern Situationen zu akzeptieren, wie sie sind. Es geht darum, einen Weg zu finden und diesen – mit einer Portion regelmäßigen Feintunings – konsequent zu gehen. Bei uns ist jeder Außendienstmitarbeiter zu einer Innendienstkraft geworden. Telefon und Videotools sind jetzt die wichtigsten Arbeitsinstrumente. Unternehmen können in dieser Situation mit einer starken Infrastruktur unterstützen, wie es auch bei Veeam der Fall war. Wir haben Proofs-of-Concept online durchgeführt, ebenso wie Live-Demos und Meetings.
Ich selbst habe mir einen Arbeitgeber gesucht, der mich nicht jeden Tag ins Büro zwingt, sondern meine Arbeit von jedem Ort in Österreich erlaubt. Ich arbeite mitunter auch am Wochenende. Dafür nehme ich mir unter der Woche auch einmal Zeit für Privates. Meine Mitarbeiter haben ebenfalls die Freiheit, ihren Joballtag flexibel zu gestalten, letztlich zählen die Arbeitsresultate.
Anton Leitner, CIO NÖM AG
Report: Was ist in den vergangenen Monaten in der Führung von Unternehmen mitunter falsch gelaufen? Woran scheitern Organisationen in Führungsfragen heute?
Anton Leitner: Ich sehe einen großen Unterschied zwischen jenen, die gerade in dieser Zeit kreativ geworden sind, und jenen, die sich nur auf KPIs konzentrieren. Ich habe in verschiedenen Unternehmen gesehen, dass das Management in der Krise einen Rückschritt – vom Mindset her – um 20 bis 30 Jahre gemacht hat. Alles, was wir uns in den letzten Jahren hinsichtlich Agilität erarbeitet haben, wurde wieder zurückgeworfen. Auch die Politiker weltweit sind wieder konservativ geprägt. Ich vermute, dass es in schwierigen Zeiten in der Natur des Menschen liegt, erfolgreiche Muster der Vergangenheit zu reaktivieren. Ich habe erlebt, dass Krisenteams verkleinert wurden, dass man Schlüsselkräfte in der IT sogar in Kurzarbeit schicken wollte. Stattdessen hätte man die Zeit nutzen können, um IT-Projekte und Themen, die zu kurz gekommen waren, aufzuholen.
Wenn wir von Digitalisierung sprechen, dann herrschen heuer zwei Begriffe vor: Videokonferenzen und Homeoffice. Damit ist aber noch kein einziger Prozess verändert worden. Ich kenne kein Beispiel, bei dem in den letzten Monaten damit Neues kreiert wurde. Viele haben zwar die technische Ausrüstung fürs Homeoffice, aber keinerlei Unterstützung in Fragen der Zusammenarbeit bekommen. Welcher Manager ist denn auf dieses Szenario geschult worden? Stattdessen gab es Restrukturierungen, man verbessert die Effizienz von Maschinen und kündigt Leute, um ein besseres Jahresergebnis zu bekommen.
Ich stimme Mario Buchinger zu, dass Unternehmen nur überleben werden, wenn sie sich an die steigende Komplexität anpassen. Und ja: Leidtragende der Krise waren die berufstätigen Frauen mit der Dreifachbelastung Job, Kinderbetreuung und Haushalt. Auch hier hat es – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – keinerlei Veränderungen in den Unternehmensorganisationen gegeben.
Report: Was ist Ihr Appell?
Leitner: Besonders die arrivierten Unternehmen sollten umdenken, von den alten Macht- und Managementstrukturen wegkommen und neue Wege einschlagen. Wir brauchen Mechanismen, um die Innovation in den Unternehmen wieder zu fördern. Von Methoden wie Holacracy angefangen über soziokratische Ansätze bis zu agilen Organisationsformen und neue Kooperationsmöglichen – das alles passiert derzeit im Fokus auf die Krise viel zu wenig. Letztlich ist das kein Technologiethema und die Veränderung sollte auf jeden Fall von der Unternehmensführung ausgehen.
Manuela Vollmann, Geschäftsführerin abz*austria
Report: Was hat sich in den letzten Jahren in der Führung von Unternehmen geändert? Was wurde durch die Krise beschleunigt?
Manuela Vollmann: Prinzipiell hat es auch in den letzten Jahren den großen Unterschied zwischen lernfähigen, lernenden Organisationen gegeben und jenen Unternehmen, die das nicht waren. Ich denke, dass wir alle aktuell sehr viel in einer unglaublichen Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit lernen – ob Führungskraft oder Mitarbeitende. Das muss man als Mensch schon auch aushalten. Wir erkennen, wie verletzlich und wie verwundbar wir trotz Technologie sind – dass passiert auch, wenn man neben der technischen Innovation nicht die begleitende gesellschaftliche und soziale Innovation dazustellt.
Zumindest im Lockdown gab es viele genderspezifisch gravierende Auswirkungen – Frauen haben den Zugang zur Arbeitswelt verloren oder es wurde dieser stark eingeschränkt, da sie sich vom Homeschooling über die Hausarbeit bis zur Pflege von Angehörigen um alles kümmern mussten. Da bleiben die Arbeitssuche, die Weiterbildung oder die Karriere auf der Strecke. Dies darf kein Normalzustand werden, den wir in die Arbeitswelt und in künftige Krisen mitnehmen, es ist ein Rückschritt für uns alle. Diese Zeit hat auch gezeigt, wie wichtig es ist, Vertrauen zu haben und solidarisch zu agieren.
Wir begleiten bei abz*austria 8.000 Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt und führen Workshops und Beratungen durch. Die technische Komponente war für uns herausfordernd: Viele unserer Kundinnen und Kunden verfügen nicht über die Infrastruktur, die mobiles Arbeiten ermöglicht. Wir reden viel über 5G, haben aber in einigen ländlichen Regionen Österreichs keinen Internetzugang, der ausreichend stabil oder leistbar ist. Vielen Menschen mangelt es auch an leistbarem technischen Equipment.
Report: Welche Führungs- und Managementkonzepte sehen Sie vielversprechend, um Organisationen zukunftsfit aufzustellen? Und wie handhaben Sie das Thema Unternehmensführung selbst?
Manuela Vollmann: Unternehmen, die Führung anders als hierarchisch definieren, haben sich leichter getan und aus meiner Sicht die besseren Karten auch für die Zukunft. Ich selbst lebe mit meiner Kollegin seit mittlerweile zwanzig Jahren ein Top-Job-Sharing der Geschäftsführung. Wir haben unterschiedliche Bereiche über, tragen aber die gemeinsame Verantwortung. Besonders in Krisenzeiten wünsche ich allen Führungskräften eine so verantwortungsvolle Vertrauensperson an ihrer Seite, wie ich sie habe. Gerade im Lockdown haben auch wir unsere Management- und Führungsaufgaben massiv intensiviert. Dazu hat auch gehört, unsere weiteren Führungskräfte zu unterstützen. Wir waren fast jeden Tag mit unseren Projektleiterinnen in Kontakt, in sogenannten DigiCafes konnten unsere Mitarbeiterinnen Erfahrungen auch zu technischen Werkzeugen austauschen. Kommunikation ist heute der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Organisationen.
Wirklich gute Führungskräfte, die auch in Zukunft Gewinne für ihr Unternehmen erwirtschaften wollen, müssen sich noch stärker auf die gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen einstellen. Die Digitalisierung ist in unserer Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr wegzudiskutieren. Nun müssen wir sie so gestalten, dass sie die Menschen unterstützt, aber nicht unter Druck setzt.