Die Deutsche Telekom hat mit ihrer Ankündigung, »Vieldownloadern« nach Verbrauch ihres Datenlimits die Bandbreite empfindlich zu drosseln, eine längst fällige Diskussion über Netzneutralität ausgelöst.
Von Rainer Sigl
Wer künftig mit einem Flatrate-Tarif der Deutschen Telekom im Internet surft, sollte auf seine Downloads achten: Wie der deutsche Telekomriese Anfang Mai bekanntgab, plane man, bei künftigen Verträgen nach Verbrauch eines gewissen Datenvolumens die Geschwindigkeiten empfindlich zu drosseln. Das heißt konkret: Wer bei den günstigeren Flatrate-Verträgen das monatliche Downloadlimit von nicht gerade üppigen 75 GB überschreitet, ist bis zum Ende des Monats mit empfindlich langsamen 384 kbit/s im Netz unterwegs – und muss so mit einer Internetverbindung auskommen, wie man sie höchstens noch aus Modemzeiten kennt.
Die treuherzig vorgetragene Begründung der Telekom-Geschäftsführung: Einzelne Internetnutzer würden im Vergleich zur Masse die Flatrate und damit die Datenleitungen über Gebühr mit – wie stillschweigend impliziert wird: illegalen – »Filmdownloads« belasten. Diese angeblichen »drei Prozent« der User wolle man mit der Drosselung treffen. Dass diese künstliche Verknappung wegen ansonsten drohender Engpässe technisch notwendig sei, ist allerdings ein fadenscheiniges Scheinargument, wie auch ein Bericht der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags bestätigte: In der Arbeitsgruppe »Netzneutralität« war man dort erst letztes Jahr zum Schluss gekommen, dass nicht zuletzt aufgrund der zu erwartenden Umstellung auf glasfaserbasierte Infrastruktur bei allen prognostizierten Datenflusszunahmen eher nicht mit Kapazitätsproblemen zu rechnen sei. Und auch der deutsche Peering-Knoten DE-CIX, so bestätigen die offiziellen Statistiken, ist noch meilenweit von Überlastung entfernt. Dessen Topologie ist schon heute für ein Datenaufkommen von bis zu 40 Terabit pro Sekunde gerüstet. Zum Vergleich: Das momentane Datenaufkommen inklusive jenen ominösen »Vielsaugern«, die die Telekom wehleidig als Vorwand für ihre Drosselmaßnahmen nennt, beträgt hingegen noch nicht einmal 2,5 Terabit pro Sekunde.
Doppelt kassieren
Der Schluss liegt also nahe, dass es hier nicht um Technik oder schlicht »faires Verhalten« im Netz geht, sondern – natürlich – um Geld. Und das gleich zweifach, denn die Deutsche Telekom sieht sich durch ihren Vorstoß nicht nur in der Lage, zum einen ihren Nutzern durch die zu niedrigen Limits teurere Tarife samt größeren Paketen schmackhaft zu machen, sondern schielt zum anderen ungeniert auf ganz neue Einkommensquellen: Große Inhalteanbieter wie Google, das mit YouTube zugegeben für großen Traffic sorgt, könnten die Infrastrukturbetreiber ja dann dafür bezahlen, dass die Nutzung ihrer Dienste nicht zum Datenlimit dazugerechnet würde – wer mit der Telekom einen entsprechenden Vertrag abschließt, fällt als »managed service« nicht unter die drakonischen Drosselungsregeln. Video-on-Demand-Anbieter, datenintensive Cloud-Services, finanzstarke e-Learning-Plattformen oder schlicht große Inhalteanbieter könnten sich diese »Premiumleitung« zu ihren Kunden wohl auch leisten – kleinere, innovative Start-ups oder Non-Profit-Unternehmen, wie sie seit Jahrzehnten die rasend schnelle Innovationsspirale in der IT und in den globalen Netzen befruchten, sähen sich so allerdings durch ihre bloße Zahlungskraft bevorteilten Riesen gegenüber. Kleine Mitbewerber hätten durch diese Ungleichbehandlung einen künstlichen Mühlstein um den Hals.
Diese unterschiedliche Behandlung des Datenverkehrs in den Netzen wäre ein klarer Verstoß gegen die vielzitierte Netzneutralität, die von ihren Verfechtern als essentieller Grundpfeiler der Bürgerrechte im Netz, von manchen auf neue Geschäftsmodelle schielenden Kritikern in der Branche hingegen als geschäftshemmende Folklore betrachtet wird. Um deren Festschreibung in Gesetzesform bemühen sich seit einigen Jahren manche Staaten mehr als andere. In Chile, den Niederlanden oder Slowenien wurden bereits Gesetze zum Schutz der Netzneutralität erlassen – auf gesamteuropäischer Ebene hat EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes aber erst jetzt, nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der mit dem Schlagwort »Drosselkom« für Unruhe sorgenden Telekom-Affäre, für eine klarere Linie gesorgt: Die rechtlich derzeit in Europa nur wenig geschützte Netzneutralität soll gestärkt werden – »da muss nachgebessert werden«, bestätigte ein Sprecher der Kommissarin. Noch in diesem Jahr soll eine rechtliche Empfehlung vorgelegt werden, die den uneingeschränkten Zugang der Verbraucher zu allen Internetinhalten schützen soll – eine gute Nachricht für alle Internetnutzer in Europa.