Samstag, Dezember 21, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Gernot Tritthart, Marketing & Innovation Director bei Lafarge Österreich, die Auswirkungen der nationalen und europäischen Gesetzgebung auf die heimische Zementindustrie, inwieweit das Thema  »Heizen & Kühlen mit Bauteilaktivierung« in der Praxis angekommen ist und warum Beton nachhaltiger ist als Holz.

 

Report: Die Zement und Betonbranche setzt seit einiger Zeit stark auf das Thema »Heizen & Kühlen mit Bauteilaktivierung«. Ist das Thema aus Ihrer Sicht schon in der Praxis angekommen?
Gernot Tritthart: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Im Bürobau ist die Bauteilaktivierung längst Stand der Technik. Das bestätigen auch führende Planungsbüros. Anders sieht es im Wohnbau, speziell bei den Einfamilienhäusern, aus. Es gibt zwar viele Leute, die die Technik aus dem Büro kennen und gerne auch in den eigenen vier Wänden einsetzen möchten, aber trotzdem ist das Thema dort noch nicht angekommen.

Report: Worauf führen Sie das zurück?
Tritthart: Das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es Häuser mit Bauteilaktivierung nicht von der Stange. Es gibt meines Wissens keinen Fertighausanbieter, der die Bauteilaktivierung im Portfolio hat. Auch bei den lokalen Professionisten kann man noch nicht davon ausgehen, dass sie über das nötige Know-how verfügen. Da herrscht oft noch die Meinung vor, dass es ohnehin nur wenig Nachfrage gibt. Und genau da setzen wir den Hebel an. Wir wollen den Leuten zeigen, dass der Baustoff Beton mehr ist als Statik. Die Bauteilaktivierung schafft einen Kachelofeneffekt, der für eine hohe Wohnraumbehaglichkeit sorgt. Das gilt ja nicht nur fürs Heizen, sondern, und das wird in Zukunft noch viel wichtiger, auch für das Kühlen von Wohnräumen.

Report: Die Branche unternimmt derzeit große Anstrengungen, um die Nachfrage zu steigern und das Image zu verbessern. Am bekanntesten sind die Fernsehspots, die im letzten Jahr gesendet wurden und jetzt mit Karl Merkatz als Testimonial neu aufgelegt wurden. Mit welchen Auswirkungen?
Tritthart: Wir haben den ersten Werbespot im letzten Jahr und die dazugehörenden Begleitmaßnahmen wie Expertenforen oder Fachartikel sehr genau analysiert und dabei schon einen positiven Effekt festgestellt. Das Image von Beton wandelt sich. Der Werkstoff ist nicht mehr nur kalt und grau, sondern liefert eben auch Wohnraumbehaglichkeit. Wir sind da auf einem sehr guten Weg, aber noch lange nicht am Ende angekommen.  

Report: Wohnanlagen aus Beton haben aber bei vielen Menschen immer noch einen negativen Beigeschmack, werden als »Betonkasten« oder »Betonbunker« bezeichnet. Zu Recht?
Tritthart: Zum Teil ja. Denn die Probleme in der Vergangenheit sind hausgemacht. Planer und Errichter haben den Werkstoff Beton in den 60er- und 70er-Jahren einfach nicht richtig verstanden. Da wurden kapitale Fehler gemacht.

Report: Haben zu der Zeit die Produzenten selbst den Baustoff verstanden?
Tritthart: Das ist eine gute Frage. Ich glaube schon, dass sie den Baustoff verstanden haben. Es ist ihnen aber nicht gelungen, dessen Vorzüge unters Volk zu bringen. Da hat die Betonindustrie geschlafen. Wir haben uns viel zu lange auf Eigenschaften wie Langlebigkeit und Feuerbeständigkeit verlassen. Dabei kann Beton viel mehr.

Report: Wo steht der Baustoff Beton im Vergleich zu anderen Baustoffen?
Tritthart: Das ist ein heikles Thema. Hier muss auch Fairness eingefordert werden. Fairness in der Darstellung und Beurteilung von Baustoffen. Ich behaupte, dass Holz heute absichtlich besser dargestellt wird, als es ist. Beton hingegen ist ein gläserner Baustoff. Wir werden intensiv analysiert. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Produktion sehr energieintensiv ist und CO2 verursacht. Aber mir kann niemand erzählen, dass Holz ein Baustoff mit einer Minus-CO2-Bilanz ist. Denn das würde bedeuten, wenn ich genug Geld hätte und täglich mein Haus auf- und niederbauen würde, könnte ich das CO2-Problem lösen. Das kann es ja nicht sein.

Report: Sind Sie der Meinung, dass Beton nachhaltiger ist als Holz?
Tritthart: Ja, wenn man nicht nur den ökologischen Aspekt betrachtet, sondern die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – über den gesamten Lebenszyklus analysiert.
Da hat Beton gegenüber Holz die Nase vorn. Holz ist kein schlechter Baustoff, aber Holz ist nicht im Gleichgewicht. Ein betonkernaktiviertes Wohnhaus mit Wärmepumpe schafft dieses Gleichgewicht. Die Wärme, die im Winter der Erde entnommen wird, wird im Sommer wieder rückgeleitet. Das ist Nachhaltigkeit.

Report: Aktuelle Entwicklungen wie das Energieeffizienzgesetz oder die immer strengeren CO2-Auflagen machen der energieintensiven Industrie das Leben schwer. Hat die Zementproduktion in Europa noch Zukunft?
Tritthart: Das ist schwierig zu beantworten. Wir hoffen natürlich, dass die Zementproduktion in Europa Zukunft hat. Uns ist wichtig, dass Fairness herrscht. Es kann nicht sein, dass einzelne Länder, auch innerhalb der EU, andere Vorgaben haben als unmittelbare Nachbarländer. Denn damit werden einzelne Länder als Industriestandorte uninteressant und müssen importieren. Da sind wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit: Denn am Ende des Tages bedeutet Nachhaltigkeit immer auch Regionalität. Wenn die österreichische Zementindustrie stirbt, müssen wir den Zement von irgendwoher importieren, denn es wird ja weiter mit Beton gebaut werden.

Report: Warum treibt die Politik aus Ihrer Sicht das Gesetz trotzdem voran?
Tritthart: Österreich will in vielen Bereichen Vorreiter sein. Und wo gehobelt wird, da fällen Späne. Ich glaube nicht, dass hier mutwillig gegen eine Branche gearbeitet wird, aber dieses Mal sind die Späne in die falsche Richtung gefallen. Deshalb hoffe ich auch, dass es zu einem Einsehen kommt. Denn wenn die österreichische Industrie verloren geht, dann geht der Schuss nach hinten los. Die rechtlichen Vorgaben dürfen gegenüber unseren Nachbarländern zu keinen Wettbewerbsnachteilen führen. Das bringt ja auch umweltpolitisch nichts, wenn wir ausländischen Zement importieren. Das CO2 macht ja an den Grenzen nicht Halt.

Report: Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten: Wie würde der aussehen?
Tritthart: Ich wünsche mir von der Politik, dass sich die verantwortlichen Personen ehrlich und intensiv mit der Materie auseinandersetzen und ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der Industrie haben. Wir gehen derzeit in einer Flut an europäischen und nationalen Reglementierungen regelrecht unter. Wir sind in vielen Bereichen überreglementiert. Da kennt sich kaum noch jemand aus. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann diesen: Weniger ist oft mehr. Wir sollten die Komplexität aus der Materie nehmen. r

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