Montag, Jänner 06, 2025
Kurswechsel oder Abstieg?
Bild: iStock

Deutschlands Automobilindustrie steht am Scheideweg. Ein Kommentar zu den Fehlern des VW-Konzerns von Dagmar Hebenstreit und Jörk Hebenstreit, Gründer und Geschäftsführer der AGILEUS Consulting.


Noch vor zehn Jahren konnten wir stolz auf die deutsche Wirtschaft sein; heute beobachten wir mit wachsender Sorge, wie die Bundesrepublik Deutschland den Anschluss zu verlieren droht. Das einstige Wirtschaftswunder verblasst, während gleichzeitig immer deutlicher wird, dass Politikentscheider und Wirtschaftslenker an entscheidenden Wendepunkten falsch abgebogen sind. Allen voran die Automobilindustrie – das ehemalige Aushängeschild Deutschlands – ist zum Sinnbild für verpasste Chancen und strukturelle Schwäche geworden. Elektrophobie und Phantomdebatten um Technologieoffenheit treiben sie zunehmend ins Abseits.

Besonders die Krise beim größten Automobilhersteller Deutschlands Volkswagen zeigt, wie fehlende Weitsicht und behäbige Strukturen einen Konzern und mit ihm eine ganze Industrie ins Wanken bringen. Die Entwicklungen bei VW und in der deutschen Automobilindustrie offenbaren ein grundlegendes Versäumnis: Es fehlt die Courage zu radikalen Reformen und einem klaren Plan, wie Wandel hin zu einer innovationsgetriebenen Wirtschaft künftig aussehen kann.

Krisenmanagement mit Augen zu
Der Dieselskandal 2015 hätte Ausgangspunkt für einen knallharten Richtungswechsel bei VW sein können – doch es folgte eine Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen. Auf rückläufige Zahlen reagierte die Konzernspitze mit einem Sparprogramm, allerdings ohne parallel dazu verkrustete Strukturen und Prozesse aufzubrechen. Ein vorhersehbarer Verlauf: Zu langfristig höherer Effizienz, Resilienz und Flexibilität gelangen Organisationen erst durch eine grundlegende Neustrukturierung.

Drei Führungswechsel innerhalb von neun Jahren brachten Unruhe ins Unternehmen, lähmten interne Veränderungsprogramme und Entwicklungsprojekte und führten zu teils widersprüchlichen Richtungsänderungen. An den Erfolg der ewigen Cashcow, des VW Golf, schaffte es der Konzern nicht anzuknüpfen. Im Gegenteil: Es folgten Neuentwicklungen an den Bedürfnissen der Verbraucher vorbei. Den größer werdenden Kleinwagen-Markt bediente der Automobilhersteller nicht, sondern setzte auf Entwicklung und Bau hochpreisiger Fahrzeuge.
Und zu guter Letzt verpasste es Volkswagen auch, seine unternehmensinternen Ausbildungsprogramme zukunftsfest zu machen und in puncto IT- und Elektronikkompetenzen nachzurüsten. Das hat zur Folge, dass der VW-Gruppe in Zukunft Arbeitnehmende mit entsprechendem Know-how fehlen werden – trotz bisher hoher Ausbildungszahlen. Das Resultat: Internationale Wettbewerber wie Tesla oder BYD haben die VW-Gruppe schon heute längst abgehängt und die Marktführung übernommen. Sie erfüllen nun die weltweite Nachfrage nach (teil-)elektrischen Fahrzeugen.

Selbst ist der Konzern!
Es ist fünf vor zwölf – aber das Ruder kann noch herumgerissen werden, wenn VW auf tiefgreifende und konsequente Veränderungsprogramme baut. Dazu gehören eine kritische Analyse der Organisationsstrukturen und gezielte Kürzungen, vor allem in den Führungsetagen und der Verwaltung, anstatt wie bisher Stellen im wertschöpfenden Bereich abzubauen. Volkswagen darf nicht auf politischen Rückhalt hoffen, sondern muss den Karren selber aus dem Dreck ziehen.

 

Über die Autor*innen
Dagmar Hebenstreit gründete 2017 mit ihrem Vater Jörk Hebenstreit die Unternehmensberatung AGILEUS Consulting.

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