Samstag, November 23, 2024
»Wollen auf Augenhöhe mit den Herstellern sprechen«

Von der »Old Economy« zur »New Economy«: Mit dem Ende der Kohleverstromung bündelt der Verbund Forschungsinitiativen inklusive ­»Cyber Range« am Standort Mellach. Thomas Zapf, Holding-Bereichsleiter Digitalisierung der Verbund AG, über Sicherheits­themen, Krisenszenarien und das Rollenverständnis des größten Energieerzeugers Österreichs.

Report: Was ist Ihr Resümee der technischen und organisatorischen Umstellung auf Homeoffice zu Beginn des Lockdowns?

Thomas Zapf: Mitte März sind an einem Wochenende in einem ersten Schwung 1.500 Mitarbeiter, später dann noch einmal einige hundert technisch ins Homeoffice gewechselt. Wir haben dank unserer Firmenkultur sehr gut zusammengehalten und behielten mit entsprechend getesteten Systemen auch in dieser kritischen Situation die Abläufe im Unternehmen gut im Griff. Bereits einige Wochen davor hatten wir ein Ausrollen der Videokonferenzlösung im gesamten Konzern veranlasst. Trotz der schnellen Hochskalierung im Homeoffice haben wir die Zwei-Faktor-Authentifizierung beibehalten.

Report: Als Betreiber einer kritischen Infrastruktur müssen Sie für Kraftwerksausfälle, Leitungsstörungen oder Hackerattacken vorsorgen. Wie aber antizipiert man eine Pandemie wie Covid-19?

Zapf: Als kritische Infrastruktur hat Verbund ein etabliertes Krisenmanagement. Auch IT-Infrastruktur-bezogene Themen und Ausfallsszenarien sind in der Vergangenheit in Form von Krisenübungen trainiert worden. Anfang 2020 wurde für Juni noch eine große Übung mit einer Pandemie als Hintergrund geplant – hier hat uns die Realität eingeholt. Klar ist ein Livebetrieb in einer Krise, noch dazu, wenn diese mehrere Monate dauert, etwas anderes als Simulationen. Doch wir haben jetzt gesehen: Unser Krisenmanagement ist eingespielt. Auch die Informationspolitik intern hat sehr gut funktioniert, um wirklich alle Mitarbeiter, die zu Hause sitzen, abzuholen.

Für die Standorte von Verbund gibt es individuelle Pläne, an den Bürostandorten ist die Höchstzahl der anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geregelt. An den Kraftwerksstandorten und Warten arbeiten wir mit gesplitteten Teams und komplett getrennten Mannschaften. Für den Hauptlastverteiler in Wien haben wir beispielsweise einen Ausweichstandort in Niederösterreich.

Report: Wie ist es Revitalisierungs- und Instandhaltungsprojekten in den vergangenen Monaten ergangen?

Zapf: Die wichtigen Projekte, die man nicht verschieben konnte, sind weitergelaufen. Die Koordination auch mit externen Lieferanten und Partnern war während des Lockdowns sicherlich eine große Herausforderung für alle und insbesondere für die Werksgruppenleiter an den Standorten, die ebenfalls mit geteilten Teams gearbeitet haben.

Report: Ein Thema seit vielen Jahren ist die Digitalisierung auch in der Energiebranche. Was bedeutet dieser Begriff für den Verbund?

Zapf: Wir haben dazu in unserer Konzernstrategie klar einige Missionen, wie wir es nennen. Zum einen werden die Abläufe und Prozesse im Bereich der Erzeugung und Produktion mithilfe der Digitalisierung effizient gestaltet und unterstützt. 70 bis 80 % unseres Geschäfts kommen aus der Erzeugung, daher ist dieser Bereich ein sehr großer Hebel. Sämtliche Projekte werden auch an den Möglichkeiten der Digitalisierung ausgerichtet. Automatisiert wird in der Kraftwerkssparte schon sehr lange – seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Die Kraftwerkssteuerung erfolgt automatisiert über Zentralwarten.

Die zweite große Mission ist Customer Experience, die Kundenerfahrung. Es gilt auch auf dieser Ebene effizient zu sein: mit Portalen für den Handel und Stromeinkauf für Geschäftskunden und um ebenso attraktiv unsere Produkte für Konsumenten anzubieten und diese digital verwaltbar und änderbar zu gestalten.

Drittens unterstützen wir mit der Digitalisierung die Sektorkopplung – von Energiedatenmanagement angefangen bis zur Verknüpfung von Technik und unterschiedlichsten Bereichen in ein Gesamtsystem. IT-Themen durchdringen alle unsere Projekte.

Report: Mit dem Einzug der IT in produktive Systeme ist Informationssicherheit eine kritische Säule geworden. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Zapf: In einer kritischen Infrastruktur sind Security-Maßnahmen immer schon an vorderster Stelle zu finden. Wir arbeiten ständig an Verbesserungen des Monitorings, etwa in der Incident-Response – auch in Zusammenarbeit mit externen Security-Spezialisten.  Verbund errichtet aktuell ein »Cyber Security Lab« für den OT-Bereich (Anm. »Operative Technologien«) an unserem Standort Mellach in der Steiermark, um die laufenden Optimierungen der Leittechnik auch auf der Ebene der Sicherheit zu unterstützen. Wir wollen uns künftig nicht nur auf die Aussagen der Hersteller verlassen, sondern selbst Vorgaben für die Sicherheit in unserer Systemarchitektur machen können. Dazu werden wir die am Markt erhältlichen Security-Lösungen selbst testen und prüfen.

Report: Nun ist es trotzdem herausfordernd, selbst Datenplattformen und Lösungen zu bauen. Die Technologiehersteller haben hier den Vorteil, nicht einen Kunden, sondern vielleicht weltweit hunderte mit entsprechender Erfahrung zu haben.

Zapf: Und trotzdem können Ihnen auch die größten Hersteller keine sicheren Systeme garantieren. In der Leittechnik werden seit Jahren Themen wie Datenhoheit, Herstellerabhängigkeiten und Transparenz diskutiert. Keiner will sich hier in die Karten schauen lassen und natürlich sind alle bestrebt, sichere und stabile Systeme zu bauen. Aber man merkt schnell, dass sich hier die Spreu vom Weizen trennt. Das Feld jener, die sich im OT-Bereich von Energieerzeugern in Sicherheitsbelangen auskennen, ist in Wirklichkeit klein.

Mit dem »Security Lab« und der »Cyber Range« wollen wir auch eine Security-Architektur »by design« schaffen, an der sich Lieferanten und Hersteller orientieren müssen. Wir investieren hier, um auf Augenhöhe mit den Herstellern sprechen zu können. Das ist derzeit oft noch nicht der Fall.

Report: An welchen weiteren Technologiethemen wird in Mellach geforscht werden?

Zapf: Wir wollen generell durch Kooperationen mit der TU Graz und unterschiedlichen Herstellern Knowhow in Österreich bündeln – auch bei Datenanalysen und IoT-Themen in der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über den Handel bis zu E-Mobilität und den Netzen. Aktuelle Projekte in Mellach betreffen zukunftsgerichtete Technologien wie den Einsatz von Wasserstoff in Gasturbinen.

In weiterer Folge könnte die Cyber Range sukzessive für andere Industrien angeboten werden. Mellach im Herzen Österreichs eignet sich wunderbar als Forschungsstandort – mit einem Gaskombikraftwerk vor Ort, einem Wasserkraftwerk, der Netzanbindung, Wasserstraßen- und Schienenanbindung in der Region.

Report: Welche Potenziale sehen Sie bei Digitalisierungsthemen noch im Kraftwerksbereich? Hat schon jede Turbine ihren digitalen Zwilling?

Zapf: Wir haben für einige Kraftwerke Digital Twins erstellt und auch versuchsweise Daten aus Scans älterer Kraftwerks­typen überführt. Wirtschaftlich rechnen sich die digitalen Abbilder bei neueren Anlagen. Unser digitales Kraftwerksprojekt in Rabenstein ist der Brutkasten für Ideen, die direkt aus dem Business heraus entstehen. Lösungen daraus, die etwa mehr Effizienz bringen, werden dann in unserem gesamten Kraftwerkspark ausgerollt. Das betrifft etwa die Instandhaltung, indem wir Wartungszyklen, die bislang zum Großteil auf empirischen Erfahrungen basierten, mit Monitoring und Datenanalysen noch weiter strecken oder auch verkürzen können. Ein Bruch eines Generators würde Millionen kosten, entsprechend rechnen sich Investitionen in Predictive Maintenance.

Wir haben uns entschieden, diese Datenplattformen selbst zu bauen und nicht auf Herstellerlösungen zu setzen. Wir wollen unabhängig bleiben und nicht in Wartungszyklen gezwungen werden. Ob dieser Weg hundertprozentig richtig ist, wird sich noch entscheiden. Es ist auch für die Technologiehersteller Neuland. Früher hatte man dem Kunden ein Kraftwerk hingestellt und es 20 Jahre nicht mehr betreten. Durch die Vernetzung und Digitalisierung ändert sich das stark.

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