Samstag, Dezember 21, 2024
"Strategisch für Österreich und Europa wichtig"

Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender der ABB AG in Österreich, im großen Interview über smarte Infrastrukturen und den jüngsten ­Megadeal in Österreich.

(+) plus: Vor welchen Herausforderungen stehen Städteplaner und Stadtinfrastrukturen derzeit? Was wird dort Technologie leisten können?

Franz Chalupecky: Die Hauptaufgabe der Politik ist, die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Die Konzepte dazu mögen unterschiedlich aussehen, die Herausforderungen sind aber für Städte und Gemeinden sehr ähnlich. Lebensqualität hat nun einmal direkt etwas mit Infrastruktur zu tun – vom Bildungsangebot über Parkraumbewirtschaftung bis zur Wärmeversorgung. Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, was man seit Jahren auch an der stark wachsenden Stadt Wien sehen kann. Mit der Bevölkerungszahl steigt auch die Herausforderung, den Bewohnern eine angemessene Versorgung mit Wohnungen, Arbeitsplätzen, Energie, Wasser und Verkehrsmitteln bereitzustellen. Für jeden dieser Punkte, um Städte zu Smart Cities weiterzuentwickeln, bietet ABB digitale Lösungen und Technologien –bis hin zur Automatisierung von Fabriken und Wohngebäuden sowie zur Elektrifizierung des Nahverkehrs.

Diese Entwicklungen sind nicht mehr umkehrbar, die alten Zeiten der Analogtechnik sind endgültig vorbei. So liefert ABB der Stadt Wien etwa Fernwirkanlagen für die Steuerung, das Messen und Regeln von Netzbereichen. Die Basis dafür bieten Sensoren, die eine wesentliche Säule der Digitalisierung und von smarten Infrastrukturen sind. Tritt ein Fehler im Netz auf, kann dieser punktgenau angesteuert und behoben werden – früher mussten sich die Techniker erst einmal auf die Fehlersuche begeben.

Mit einer modernen Gebäudeleittechnik sind ebenfalls hohe Effizienzsteigerungen erzielbar. Die Systeme erkennen, ob sich Menschen in Räumen und Bauteilen aufhalten und regeln automatisch Licht- und Wärmeanlagen. Gleichzeitig ist Automatisierung ein Bestandteil der Gebäudesicherheit geworden.

(+) plus: Werden Lösungen zur Sektorkopplung von Energieerzeugung, Speicherung und Verbrauchern auch in den Städten zu finden sein – und was bietet ABB dazu?

Chalupecky: Das digitale Angebot ABB Ability umfasst ein Leistungsportfolio, das Städte zu Smart Cities macht. Beispielsweise hilft unsere Energiemanagementlösung dabei, den Übergang zu neuen Geschäftsmodellen zu erleichtern, indem es einen transparenten Einblick in den Energieverbrauch von Industrie-, Handels- und Versorgungsunternehmen bietet und gleichzeitig dabei unterstützt, Umweltbelastung und Kosten zu reduzieren. Das Smart City Cockpit von ABB schafft dafür eine gemeinsame Betriebsumgebung. So lassen sich beispielsweise das Fernwärmenetz, die Wärme- und die Strom­erzeugung, die Wasserversorgung inklusive der Pumpen in einem Modell bündeln, das kontinuierlich den kostenoptimalen Betriebspunkt des Gesamtsystems berechnet. Hinsichtlich der Energieversorgung kann die Software Smart City Virtual Power Pool Erzeugungseinheiten, Energiespeicher und steuerbare Lasten automatisch kontrollieren – wenn etwa das Laden der städtischen Elektro-Bus-Flotte zum jeweils günstigsten Zeitpunkt erfolgt, wird der Eigenverbrauch der erneuerbaren Energien optimiert. Eine kontinuierliche Datenanalyse verkürzt die Reaktionszeiten bei unvorhergesehenen Ereignissen.

Allen ist klar, dass wir hinsichtlich Vermeidung von CO2-Emissionen unsere Wirtschaft und Gesellschaft verändern müssen. Oft wird dabei vergessen, dass die Energiewende vor allem auf der Straße gelingen muss. Wir legen mit unserem E-Mobilitäts-Portfolio den Grundstein für eine Zukunft intelligenter und emissionsfreier Mobilität, die für jedermann zugänglich ist. Hier bietet ABB Wandladestationen und Schnellladestationen bis hin zu High-Power-Chargern, die mit bis zu 350 kW Ladungen innerhalb von zehn Minuten ermöglichen, wie auch Ladesysteme für Elektrobusse und ­E-LKWs.

(+) plus: Welche Faktoren sind für den Erfolg von Elektromobilität ausschlaggebend?

Chalupecky: Erstens brauchen die Kunden ein entsprechendes Angebot an Fahrzeugen. Zweitens ein ausreichend dichtes Netz an öffentlicher Lade- und vor allem Schnellladeinfrastruktur. Denn wenn die Kunden wie auf Nadeln sitzen – in der Sorge, ihr Ziel zu erreichen –,  wird sich Elektromobilität nicht durchsetzen. Der dritte Punkt ist der Preis. Die Autoindustrie bringt in den nächs­ten zwei Jahren eine Vielzahl an neuen E-Autos auf den Markt, was auch mit der Flottenregelung zusammenhängt, wonach ab 2020 der CO2-Ausstoß auf durchschnittlich 95 g/km gesenkt werden soll. Jetzt aber nur auf sinkende Fahrzeugpreise zu warten, wird für viele nicht ausreichend sein. Mit einem Förder- und Anreizsystem könnten zumindest massentaugliche Mittelklasseautos gegenüber den konventionellen Verbrennern auch bei den Anschaffungskosten wettbewerbsfähig werden. Hier braucht es den politischen Willen dazu, denn die Infrastruktur und die Technik gibt es bereits.

Weiters wird es auch Automatisierungs- und Steuerungssysteme im Stromnetz brauchen, um die Ladespitzen – wenn etwa in einer Straße alle E-Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden würden – abzufedern.
Eine wesentlich größere Veränderung bringen natürlich auch junge Menschen, die in der Stadt selbst kein Fahrzeug mehr besitzen müssen und vollständig auf Öffis oder – wenn man wirklich einmal ein Fahrzeug braucht – auf Carsharing setzen. Auch Carsharing könnte und sollte, wie in anderen modernen europäischen Metropolen, auch in Wien auf eine hauptsächlich elektrische Flotte setzen – auch dazu ist aber gerade in unserer Bundeshauptstadt ein Ausbau der öffentlichen Schnell- und High-Power-Ladeinfrastruktur dringend notwendig.
 
(+) plus: Erwarten Sie, dass es künftig auch mehr lokale Energieerzeugung in der Stadt geben wird?

Chalupecky: Auf jeden Fall – auch wenn man die Dächer Wiens nicht zur Gänze mit Photovoltaik verbauen wird. Teilweise wird dies sehr wohl passieren, um kleinere Einheiten – Minigrids – zu versorgen. Es wird nicht das Dach des Rathauses oder des Burgtheaters sein, aber es gibt genügend geeignete Dächer, wo im selben Gebäude vielleicht im Keller auch Stromspeicher stehen werden, um eine begrenzte Autarkie zu erreichen. Auch die PV-Module verändern sich und werden künftig unsichtbar, fassadenintegriert an den Häusern montiert sein – ähnlich wie heute Mobilfunk-Sendeanlagen in der Stadt kreativ verbaut werden. Auch dort hatte man irgendwann gute, quasi unsichtbare Lösungen gefunden, die wenige Jahre davor noch unvorstellbar waren.

(+) plus: ABB verkauft die Stromnetzsparte an Hitachi und fokussiert strategisch auf Automatisierung und Robotik. Was tut sich gerade in dieser Sparte?

Chalupecky: ABB investiert gerade 150 Millionen Dollar in ein Werk in Shanghai, wo ab 2021 auf Basis modernster Automatisierungs- und digitaler Fertigungslösungen Roboter von Robotern gebaut werden. Auch Menschen werden dort beschäftigt sein, die mit kollaborativen Robotern zusammenarbeiten werden.

Auch in Oberösterreich, in Eggelsberg, investiert ABB 100 Millionen Euro in einen hochmodernen Innovations- und Bildungscampus und schafft damit die Grundlage für rund 1.000 neue Hightech -Arbeitsplätze in Österreich. Wenn wir mit dem Millionen-Investment im Laufe des kommenden Jahres fertig sind, wird Eggelsberg zu den größten ABB-Forschungs- und Entwicklungszentren weltweit gehören.
Ich finde, dass dies auch strategisch für Österreich und Europa wichtig ist. Gerade im Wettbewerb mit Asien brauchen wir doch wesentliche Wertschöpfung in Europa. Wenn dagegen alles ausverkauft und ausgelagert wird, werden wir als Wirtschaftsstandort langfristig ein Problem haben.

(+) plus: Was sagt der jüngste Vertrag der APG mit ABB über die Lieferung von Schaltanlagen mit einem Wert von mehr als 100 Millionen Dollar aus? Was macht diesen Deal – abgesehen von seiner Summe – so besonders auch für die Energiewende?

Chalupecky: Durch die gute Entscheidung für ABB setzt APG jedenfalls auf Qualität (lacht). Die Integration von erneuerbaren Energien in das Stromnetz erfordert eine starke, zuverlässige und belastbare Übertragungsinfrastruktur. Das Netz verbindet die Windkraftanlagen im Osten Öster­reichs mit Pumpspeicherkraftwerken im Westen. Dadurch wird überschüssige, aus Wind oder Solar erzeugte Energie zu den Pumpspeicherkraftwerken in den Alpen transportiert, die als grüne Batterien die Energie aus Windkraft und Photovoltaik speichern, die zu Starklastzeiten jederzeit abgerufen werden kann.

Bis 2024 werden die Schaltanlagen von ABB in verschiedenen Umspannwerken im ganzen Land installiert. Die gasisolierten Schaltanlagen reduzieren den Platzbedarf auf 10 bis 15 % des Raums, den eine luftisolierte Schaltanlage brauchen würde. Sie werden zum Rückgrat, zu Stabilisatoren des 400-kV-Netzes und werden Österreich dabei unterstützen, seine Energie- und Klimaziele zu erreichen.

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