Sonntag, Dezember 22, 2024
"Die Nachfrage nach digitalen Baustellen wächst"

"Die jungen Wilden": Teil 2 der Serie über Startups, die die Bauwirtschaft verändern (könnten)

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt PlanRadar-CEO Ibrahim Imam, warum der große Wurf BIM derzeit noch nicht gelingt, was ein digitales Bauprojekt ausmacht und warum die kolportierte Ersparnis von sieben Arbeitsstunden pro Woche durch den Einsatz der PlanRadar-Software mehr als ein hohler Marketing­spruch ist.

Report: Sie sind Ende 2014 unter dem Namen DefectRadar am österreichischen Markt gestartet. In diesen letzten vier Jahren hat die Digitalisierung in der Bauwirtschaft erst so richtig Fahrt aufgenommen. Wie haben Sie die Branche bei der Unternehmensgründung hinsichtlich ihres Digitalisierungsgrades wahrgenommen?

Ibrahim Imam: Im Vergleich zu den vorigen 30 km/h sind die jetzigen 70 km/h, die die Bauwirtschaft in den letzten Jahren bei der Digitalisierung fährt, tatsächlich eine enorme Leistung. Aber mit dem Tempo dürfen Sie trotzdem nicht auf der Autobahn fahren. Das digitale Bauprojekt wird dabei in der Regel mit 3D-Plänen bzw. BIM gleichgesetzt, was weiterhin erst jedes zehnte Planungsbüro nutzt – bei ausführenden Unternehmen geht die Quote gegen Null. Wir sind davon überzeugt, dass sich zunächst intuitive, handliche Lösungen auf dem Markt etablieren müssen, ehe der große digitale Wurf mit BIM geschieht. So führen wir die Akteure der Baubranche Schritt für Schritt an digitale Prozesse heran. Wenn Sie dann noch wie von uns ermittelt ca. sieben Stunden Arbeitszeit pro Woche durch Lösungen wie PlanRadar einsparen, brauchen Sie nicht mehr vom Gewinn durch Digitalisierung überzeugt zu werden.

Report: In welchen Bereichen gab es damals den größten Aufholbedarf?

Imam: Während die Planung bereits digital erfolgte, war und ist die eigentliche Baustelle voll mit Papierplänen, Diktiergeräten und Fotoapparaten. Dann entdecken Sie plötzlich eine Aufgabe oder einen Baumangel, zum Beispiel an einer Außenwand. Möchten Sie den jetzt mit Rotstift im Bauleiterbüro ankreuzen – vorausgesetzt natürlich, Sie finden den Plan sofort? Das war und ist eine gigantische Ineffizienz. Mittlerweile sind wir aber sehr zufrieden, dass wir weltweit Projektleiter, Bauleiter und Poliere mit Tablet sehen, die mittels digitaler Pläne vor Ort und live Änderungen und Anpassungen dokumentieren und nachvollziehbar an andere Projektteilnehmer kommunizieren.

Report: Wie hat sich die Branche aus Ihrer Sicht in den letzten fünf Jahren gewandelt?

Imam: Die Notwendigkeit der Digitalisierung ist mittlerweile bei den meisten Akteuren der Baubranche angekommen. Dafür sorgte beispielsweise die öffentliche Hand in diversen Ländern Europas, die BIM ab einer gewissen Projektgröße zur Pflicht machte – das ist schon mal ein Ansatz, auch wenn es de facto noch in keinem Land Europas flächendeckend und durchgängig eingesetzt wird. Eine Ausnahme ist hierbei Skandinavien. Einige Innovationen sind auch aus der Immobilienwirtschaft herübergeschwappt, wo es zum Beispiel schon lange üblich ist, Schadensmeldungen in der Wohnung per iPad aufzunehmen und auch in bestehende ERPs zurückzuspielen. Ich kann auch offen zugeben, dass wir zunehmend neue Unternehmen im Markt registrieren, die mit vergleichbaren Lösungen punkten wollen – ein gutes Zeichen für uns, da doch offensichtlich mehrere Unternehmen den Bedarf einer digitalen Baustelle erkannt haben. In der Regel kommen die Kunden dann ja auch zu uns (lacht).

Report: Welchen unmittelbaren Mehrwert bietet die Planradar-Software den Kunden?

Imam: Wir bieten unseren Nutzern den durchgängig digitalen Prozess für Dokumentation und Kommunikation direkt auf der Baustelle, beispielsweise für Baudokumentation, Mängel- und Aufgabenmanagement, Abnahmen, Wartungen oder auch Zertifizierungen. Die Basis hierfür ist ein digitaler Gebäudeplan. Als Bauherr oder Generalunternehmer laden Sie nun die beteiligten Subunternehmer per Email ein, die gratis auf PlanRadar zugreifen können. Durch die Ticketvergabe für alle anfallenden Aufträge sind klare Zuständigkeiten und eine lückenlose Dokumentation gegeben – zumal jedes Ticket mit Zusatzinformationen wie Beschreibungen, Fotos oder Audio-Nachrichten versehen werden kann. Nach Erledigung des Auftrags erfolgt eine für alle Parteien sichtbare Statusänderung im Gebäudeplan.

Report: Worin unterscheidet sich PlanRadar von ähnlich gelagerten Baudokumentationslösungen?

Imam: Unser großer USP ist die einfache und schnelle Nutzung: Innerhalb von zehn Minuten kann der Anwender ein neues Projekt anlegen und anfangen zu arbeiten. Deswegen haben wir auch Kunden aus 43 Ländern weltweit. Weiters können wir den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie abdecken, weil sowohl in Planung als auch im Bau und im Bestand immer Dokumentations- und Kommunikationsaufwand anfällt. Diese Funktionsvielfalt verknüpfen wir mit einem transparenten Preissystem: Sie zahlen eine monatliche oder jährliche Lizenzgebühr ohne zusätzliche Kosten. Support, Training und Upgrades sind bereits inkludiert. Das geht schon ab 29 Euro pro Monat für Einzelunternehmer los.

Report: Sie behaupten, dass sich Nutzer durch die Verwendung von PlanRadar durchschnittlich sieben Arbeitsstunden pro Woche ersparen. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Imam: Wir haben in Rahmen einer Anwenderumfrage unsere über 40.000 Benutzer interviewt. Dabei wollten wir unter anderem wissen, wie viel Zeit sie wöchentlich durch die Verwendung von PlanRadar gegenüber der altmodischen Erfassung mit Fotoapparat, Papierplänen, Diktiergerät, Excel-Listen und Email-Ketten einsparen. Unsere Anwender haben zwischen fünf bis elf Arbeitsstunden pro Woche angegeben, im gemittelten Schnitt waren es sieben Arbeitsstunden pro Woche. Das entspricht bei 40 Arbeitsstunden pro Woche fast 18 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit. Stellt man dies dem durchschnittlichen Gehalt eines Bauleiters in Österreich oder Deutschland gegenüber, das sind inklusive Lohnnebenkosten im Schnitt 4.400 Euro pro Monat, so ergibt sich eine jährliche Einsparung von 8.890,- Euro pro Mitarbeiter.

Report: Inwieweit ist PlanRadar mit BIM-Modellen kompatibel?

Imam: Über unsere API kann PlanRadar an beliebige Systeme angebunden werden. Für die Integration mit BIM arbeiten wir an einer IFC-Schnittstelle, über die neue Projekte angelegt und auch Modellinformationen zurückgespielt werden können.

Report: PlanRadar hat im Februar 2019 Töchterunternehmen in Großbritannien und Kroatien eröffnet. Unternehmen aus 43 Ländern nutzen inzwischen bereits Ihre Software. Gibt es weitere Expansionspläne und wie sehen diese aus?

Imam: Für uns sind prosperierende Länder mit entsprechend reger Bautätigkeit interessant. Dazu zählen für uns neben den osteuropäischen Ländern auch Frankreich, die skandinavischen Länder oder Australien. Wir möchten uns fest in diesen Märkten etablieren, eventuell wieder mit eigenen Tochtergesellschaften. Im Gegensatz zu vielen anderen Digitalunternehmen schaffen wir durch die Expansion in andere Länder und einen wachsenden Kundenkreis auch neue Arbeitsplätze. Hier sehe ich uns bereits 2020 auf über 100 Mitarbeiter anwachsen.

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