Ludwig Möhring verantwortet als Geschäftsführer den Vertrieb des europäischen Gashandelsunternehmen Wingas und spricht über Gaspreise, Märkte und Politik.
Report: Wie ist derzeit die Stimmung am Gasmarkt? Welche Trends sehen Sie in nächster Zeit auf den Gaspreis einwirken?
Ludwig Möhring: Auf Verbraucherseite ist die Stimmung aufgrund seit 2014 um 40 Prozent gesunkenen Großhandelspreise sicherlich sehr gut. Gleichzeitig ist Versorgungssicherheit durch zusätzliche Kapazitäten, sei es LNG, sei es Speicher, quasi garantiert. Viel mehr kann man, so denke ich, als Erdgasverbraucher kaum verlangen.
Auf der Seite der Gashändler gibt es heftigen Wettbewerb an allen Fronten, und das in ganz Nordwesteuropa – eine Region, die für mich bis Baumgarten, einem der wichtigen europäischen Erdgasknoten, reicht. Es wird immer schwieriger gutes Geld zu verdienen. Aber wir beklagen das nicht, sondern sehen es als Anreiz, unser Geschäft besser zu betreiben und unsere Mannschaft effizient aufzustellen.
Was aber sowohl für die Verbraucher als auch für die Umwelt insgesamt positiv ist, sind die derzeit im Vergleich zum günstigen Erdgaspreis steigenden Kohlepreise. Dadurch werden in der jüngeren Vergangenheit wieder stärker Gaskraftwerke betrieben. Lag der Kohlepreis Anfang Mai bei 65 Dollar pro Tonne, waren es Anfang September 80 Dollar. Ich sage jetzt aber nicht, dass das in den nächsten fünf Jahren so bleibt. Aber ich freue mich, dass Erdgas im Moment so viel wettbewerbsfähiger ist.
Report: Was sind die Gründe für den Anstieg des Kohlepreises?
Möhring: China muss vor dem Hintergrund geschlossener Minen mehr importieren. Dazu kommen weitere regionale Faktoren und Entwicklungen, die eine Rolle spielen. Wichtig ist zu wissen: Auch in globalen Märkten bleibt die Welt nie so, wie sie gerade ist. Das ist kein stabiles Gefüge. Gas gibt es jedenfalls – auch durch den Schiefergasabbau in Nordamerika – genug. Der Markt ist, wie es so schön heißt »well supplied«. Das wirkt sich auch auf die Preise aus, die eben Gas im Moment gut dastehen lassen.
Report: Ist das ein langfristiger Trend auch in Österreich?
Möhring: Nein, was den Einsatz von Erdgas im Stromsektor angeht, lässt sich das sicherlich nicht langfristig festmachen. Für Österreich gilt das ebenso wie für andere Teile Westeuropas. Natürlich hätten wir alle gerne mehr Gaskraftwerke im Einsatz, gerade auch aus Klimaschutzgründen, aber solange der Emissionshandel bei den niedrigen CO2-Preisen nicht ernsthaft steuert, werden die Kohlekraftwerke ihre Rolle im Markt behalten – es sei denn, die Politik greift ein, wofür ich wenig Anhaltspunkte sehe.
Aber LNG als zusätzliche Lieferoption hat den europäischen Markt verändert: Zum einen garantiert es zusätzliche Versorgungssicherheit, zum anderen zeigt die geringe Auslastung der LNG-Terminals in Nordwesteuropa von aktuell weniger als 30 Prozent, wie wettbewerbsfähig Pipelinegas insbesondere aus Norwegen und Russland ist. Es gibt – insbesondere in Nordwesteuropa – keine Knappheit an LNG-Kapazitäten, die zum Beispiel neue Regasifizierungsanlagen notwendig machen würden In Südosteuropa sind die Marktgegebenheiten bislang noch etwas anders.
Report: Wenn Sie politische Entwicklungen betrachten: Was spricht überhaupt für einen stabilen Gasmarkt in Europa?
Möhring: Ich bin gerade mit Blick auf den Erdgasbedarf heute viel optimistischer als in der Vergangenheit. Wenn wir tatsächlich in Europa den Klimaschutz ernst nehmen, werden wir neben dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren auch verstärkt auf Gas in allen Lebensbereichen setzen müssen. Wenn wir das CO2-Budget für dieses Jahrhundert betrachten, müssen Maßnahmen jetzt kurzfristig, auf der Stelle ergriffen werden – da sind sich alle Experten einig. So viel haben die Staaten in Europa in den vergangenen Jahren in Sachen Klimaschutz ja noch nicht erreicht.
Auch auf den Kraftwerkspark in Europa bezogen wird es in den kommenden Jahren aufgrund des verhandelten Ausstiegs aus der Kernkraft und des zunehmenden politischen Drucks auf die Kohle zu Veränderungen kommen. Das wird zu einer Stärkung der Gaskraftwerke und zu einem Ausbau in diesem Bereich führen. Ich würde mich schon wundern, wenn vor allem die deutsche Politik es erzwingt, alte, abgeschriebene Kohlekraftwerke im Markt zu halten – im diametralen Gegensatz zu den Klimaschutzzielen.
Report: Wie stark ist der Gasmarkt von den Spannungen zwischen der EU und Russland betroffen?
Möhring: Der Handel von Gas, Öl und Kohle, die von dem großen Rohstoffproduzenten Russland nach Europa geliefert werden, basieren auf Weltmarktpreisen. Die Geschäftsbeziehungen laufen nach wie vor gut und die Versorgungssicherheit ist nicht zuletzt durch Investitionen in Infrastruktur gesichert.
Report: Wie innovativ sind gasbetriebene Technologien – wenn wir den Klimawandel betrachten?
Möhring: Im Wärmemarkt ist die Weiterentwicklung der Brennstoffzelle bereits sehr fortgeschritten und im PKW-Sektor bekommt CNG, komprimiertes Erdgas, nun endlich mehr Beachtung. Die Technologie ist etabliert und stößt deutlich weniger CO2 aus als Benzin- oder Diesel-Fahrzeuge. Ich würde mir wünschen, dass wir sie in Europa als gleichwertige Lösung gegenüber anderen Technologien wie etwa der rein batteriebetriebenen Elektromobilität sehen.
Erst recht wird LNG im Schwertransport und Schiffsverkehr eine große Rolle spielen – es ist die einzige wirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Alternative, die skalierbar zur Ablösung von Diesel und Schweröl beitragen kann.
Report: Wie sieht das Engagement von Wingas in Österreich aus?
Möhring: Wir sind seit gut zehn Jahren in Österreich aktiv und befassen uns aufgrund unserer Kundenstruktur hauptsächlich mit Weiterverteilern und großen Industrieunternehmen. Der Endverbraucher wird nicht direkt angesprochen; da setzen wir auf kompetente Weiterverteiler und Stadtwerke. Österreich ist im Geschäftskundenbereich ein sehr kompetitiver Markt mit vielen relevanten Spielern auch auf industrieller Verbrauchsseite – nicht nur bei den Händlern.
Wingas ist in der besonderen Situation auch an großen Speichern wie Haidach in der Nähe von Salzburg beteiligt zu sein. Damit haben wir eine starke physikalische Position in Österreich, die es uns erlaubt, wettbewerbsfähig anzubieten. Wir sind Partner einer Reihe von großen Industriekunden, die es in sehr vielen Fällen schätzen, bei einer Gazprom-Tochter, die Wingas ist, direkt beim Produzenten einzukaufen. Das ist ein Aspekt der Sicherheit und der langfristigen wirtschaftlichen Belieferung, der für viele Unternehmen zunehmend relevant wird.
Report: Aber am Ende des Tages zählt der Preis.
Möhring: Es ist nicht nur der Preis. Gerade bei den großen Industriekunden spielen Versorgungssicherheit und Verlässlichkeit eine große Rolle. Es geht auch um ein Vertrauen in Lösungen, wenn einmal ein Problem aufkommt. Ich glaube, hier hat Wingas auch in Österreich eine sehr gute Reputation am Markt.
Wir gehen davon aus, dass wir weiter organisch wachsen können – nicht nur in der Großindustrie, sondern auch in der mittelgroßen Industrie. Als derzeit Nummer drei in Österreich fühlen wir uns sehr wohl und werden natürlich auch weiter offensiv agieren – aber natürlich nicht um jeden Preis.