Samstag, Dezember 21, 2024

Im Gespräch mit dem Bau & Immobilien Report spricht Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, über eine verfehlte Klimapolitik der EU, geht hart mit Kritikern des neues Vergaberechts ins Gericht und gewährt einen Einblick, was sich hinter den Kulissen in Sachen zusätzliche Kriterien für das Bestbieterprinzip und die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen tut. 

Report: Wie geht es der heimischen Baubranche aus Sicht des Gewerkschafters?

Josef Muchitsch: Das erste Quartal 2016 hat eine positive Trendumkehr gebracht. Wir haben gegenüber dem Vorjahr mehr Aufträge, mehr Beschäftigte und weniger Arbeitslose. Im Jänner ist die Zahl der Arbeitslosen um 0,3 Prozent gesunken, im Februar um 9,7 Prozent und im März um 6,9 Prozent. Das liegt natürlich am milden Winter, ich glaube aber auch, dass die eine oder andere Maßnahme, die wir als Bausozialpartner initiiert haben, Wirkung zeigt. Viele Unternehmen beginnen wieder mehr Eigenpersonal aufzubauen, weil das im Rahmen des Bestbieterprinzips ein wichtiges Kriterium ist.
Ein Wermutstropfen im ersten Quartal ist, dass wir heute um 307 Betriebe mehr am Markt haben. Und das bedeutet mehr Wettbewerb und schärfere Preise. Wir sind aber generell sehr gut unterwegs. Und für 2017 erwarten wir aufgrund des konjunkturellen Aufschwungs noch bessere Zahlen.

Report: Große Hoffnungen wurden von den Sozialpartnern in das Vergaberecht gesetzt, viele Branchenvertreter sehen aber vor allem das Bestbieterprinzip kritisch. Nachdem es keine Obergrenze für die Preisgewichtung und keine Untergrenze für qualitative Kriterien gibt: Wie groß ist die Gefahr eines Feigenblatts?

Muchitsch: Wir haben mit dem Bestbieterprinzip die öffentlichen Auftraggeber per Gesetz verpflichtet, nicht mehr nur nach dem Preis zu vergeben, sondern auch wirtschaftliche, soziale und ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Österreich ist das einzige Land Europas, in dem es gelungen ist, ein verpflichtendes Bestbieterprinzip umzusetzen. Alle anderen Länder sind bei der Freiwilligkeit des Bestbieterprinzips verblieben. Darum beneiden uns alle 27 EU-Ländern. Aber natürlich geht es jetzt darum, das Gesetz auch richtig zu leben. Viele haben ja bis zuletzt gehofft, dass das Gesetz doch nicht kommt. Vielerorts wurde abgewartet. Deshalb beginnen die öffentlichen Auftraggeber erst jetzt, dieses Bestbieterprinzip zu lernen und zu verstehen. Das betrifft alle, von der kleinsten Gemeinde bis zur größten Landes-Abteilung.

Report: Was passiert mit Institutionen, die sich am Bestbieterprinzip vorbeischummeln wollen?

Muchitsch: Wir werden ganz genau hinschauen und das auch schonungslos aufzeigen. Ich habe im Moment aber schon den Eindruck, dass alle bemüht sind, das Gesetz sinnvoll umzusetzen. Die Initiative»Faire Vergaben« wird auch bei der Umsetzung helfen. Dafür wird es einen Bestbieterkatalog geben, der die einfachsten und effizientesten Zuschlagskriterien in den Bereichen Wirtschaftlichkeit, Soziales und Ökologie auflistet. Es wird vorgefertigte Texte für die Ausschreibungen geben.

Report: Aber das Risiko, dass der Preis nach wie vor unverhältnismäßig stark gewichtet wird, ist gegeben.

Muchitsch: Das ist möglich. Aber die ausschreibenden Stellen sind gut beraten, das zu unterlassen. Denn im Gesetz ist die geringere Gewichtung des Preises eindeutig verankert. Das ideale Mindestverhältnis ist 80 Prozent Preis, 20 Prozent Qualitätskriterien. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat genau dieses Verhältnis auch bereits beschlossen. Und diese 20 Prozent müssen sich aus zumindest drei Kriterien zusammensetzen, gesetzlich vorgeschrieben ist nur ein Kriterium.

Report: Viele Betriebe klagen dennoch, dass die enormen Dumpingpreise einzelner Unternehmen mit Qualitätskriterien niemals kompensiert werden können.

Muchitsch: Es steht mir nicht zu, über die Dummheit einzelner Unternehmen zu urteilen. Aber diese Dummheit gibt es leider. Ein aktuelles Beispiel: Eine Baubezirksleitung hat aufgrund des neuen Gesetzes ein Projekt zur Straßenerhaltung nur regional ausgeschrieben und ausschließlich regionale Unternehmen zur Anbotslegung eingeladen. Und der Preis war tiefer als vor einem Jahr. Wenn sich regionale, österreichische Tiefbaufirmen dermaßen bekriegen und unterbieten, dann ist das Dummheit der Wirtschaft. Das kann nur zu Lasten der Arbeitnehmer oder der Qualität gehen.
Wir haben das umgesetzt, was die Wirtschaft immer verlangt hat. Wenn es jetzt immer noch Skepsis gibt, dann erwarte ich mir konkrete Vorschläge, was man besser machen kann. 

Report: Seitens der Baustoffindustrie gab es die Bestrebung, auch die Baustoffe in den Kriterienkatalog aufzunehmen. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Muchitsch: Es ist möglich, regionalen Baustoffen unter ökologischen Kriterien einen Vorteil zu verschaffen. Aber die Baustoffindustrie spricht mit gespaltener Zunge. Die international agierenden Unternehmen haben ganz andere Interessen als lokale Unternehmen.

Report: Die Sozialpartner-Initiative »Faire Vergaben« hat schon die nächsten Schritte angekündigt. Welche Kriterien sollen noch aufgenommen werden?

Muchitsch: Wir versuchen mit der Novelle zum Bundesvergabegesetz 2016 noch heuer drei weitere wesentliche Verbesserungen zu verankern. Erstens das Inkrafttreten einer Baustellendatenbank über die BUAK, wo alle öffentlichen Auftraggeber per Gesetz verpflichtet werden, diese Datenbank mit ihren Baustellen zu befüllen. Das beinhaltet unter anderem die beauftragten Unternehmen, den Preis, die geplante Bauzeit oder die Anzahl der Beschäftigten.

Zweitens wollen wir die Wirtschaftlichkeit verpflichtend angeführt haben um frühzeitig zu erkennen, ob eine Firma überhaupt im Stande ist, einen Auftrag zu bewältigen. Und schließlich geht es um die finanzielle Ausstattung eines Unternehmens und die Frage, ob ein Unternehmen überhaupt fähig ist, einen Auftrag vorzufinanzieren und abzuarbeiten. Das Spekulieren mit Aufträgen muss ein Ende habe. 

Report:  Wie laufen die Gespräche?

Muchitsch: Generell ist die Bereitschaft vorhanden, aber besonders aus den Ländern ist Widerstand gegenüber weiteren Maßnahmen im Bundesvergabegesetz zu spüren. Auch in Bezug auf das neue Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ist diese Skepsis spürbar. Dieses LSD-BG hat nichts mit dem bestehenden Gesetz zu tun und beinhaltet eine Auftraggeberhaftung für Bauherren. Da ist der Widerstand enorm. Sozialminister Stöger hat dieses Gesetz in Begutachtung geschickt. Die Stellungsnahmen der Länder sind wie erwartet durch die Bank negativ. Das heißt, die Länder weigern sich, Verantwortung dafür zu übernehmen, was sich auf ihren Baustellen an Unterentlohung abspielt. Aber solange die EU in der Vollziehung von Strafen über die Grenzen hinweg nicht funktioniert, werden wir jene strafen müssen, die Unterentlohung in diesem Land zulassen.

Report:  An der Umsetzung des Durchgriffsrechts ist man aber dran.

Muchitsch:  Ja, aber bis es so weit ist und wir einen fairen Wettbewerb haben, wo die Sozialversicherungsbeiträge nicht nach dem Heimat-, sondern dem Beschäftigerland gezahlt werden, so lange brauchen wir andere Maßnahmen.

Report: Der Vorschlag der EU-Kommission zur neuen Entsenderichtlinie liegt auf dem Tisch, geht vielen aber nicht weit genug – Stichwort: 24-Monate-Frist. Was am Vorschlag gefällt Ihnen, was nicht?

Muchitsch: Was auf europäischer Ebene jetzt vorgelegt wurde, ist in Österreich schon umgesetzt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt. Was fehlt sind die gleichen Lohnnebenkosten. Solange dieser Punkt nicht vollzogen ist, sind die 24 Monate Entsendefristen eine Verhöhnung. 24 Monate hat mit Entsendung oder Montage nichts mehr zu tun.

Report: Was wäre eine angemessene Frist?

Muchitsch: Je kürzer, desto besser. Aus meiner Sicht ist eine Montage oder Entsendung nach vier Wochen beendet. Aktuell wird die Entsenderichtlinie für einen unfairen Wettbewerb missbraucht. Und alle schauen zu. Aber solange die Profiteure dieser langen Entsendefristen in der Kommission eine Mehrheit besitzen, wird es kein Umdenken geben.

Report: Sind Sie ein Gegner des Einstimmigkeitsprinzips in der EU?

Muchitsch: Ja, weil wir uns damit immer mehr am Stand bewegen. Solange die Wirtschaft wächst, ist alles in Ordnung. Aber sobald Krisen aufziehen, macht das die EU handlungsunfähig.

Report: Aktuell laufen die Finanzausgleichsverhandlungen. Ein wesentlicher Punkt sind Förderungen. Was tut sich hinter den Kulissen in Sachen Zweckbindung der Wohnbauförderung?

Muchitsch: Die Verhandlungen haben gerade erst begonnen. Aber dadurch, dass einer der größten Kritiker der Zweckbindung jetzt in der Bundesregierung ist, sind die Chancen wahrscheinlich gestiegen (lacht). Seitens der Regierung gehe ich davon aus, dass versucht wird, das, was im Koalitionspapier steht, auch umzusetzen. Und da steht die Zweckbindung aller Wohnbaufördermittel Schwarz auf Weiß drinnen. Aber so weit sind die Verhandlungen noch nicht.

Report: Immer wieder heftig diskutiert wird auch die EU-Klimapolitik: Kos­tet oder bringt die EU-Klimapolitik Arbeitsplätze?

Muchitsch: Die aktuelle Klimapolitik, die bis 2020 festgeschrieben ist, darf es danach nicht mehr geben. Es ist unverständlich, dass jene Länder, die mit einem hohen Arbeitnehmerschutz und hohen Umweltauflagen Baustoffe produzieren, gegenüber anderen Ländern wie Polen benachteiligt werden, die Kohlekraftwerke errichten und damit 80 Prozent des Strombedarfs decken. Ich vermisse die Versuche, alle Länder auf ein gleiches Level zu bringen. Fakt ist, die aktuelle Klimapolitik kos­tet Arbeitskräfte.

Report: Wie sollte eine Klimapolitik aussehen, die Arbeitsplätze schafft?

Muchitsch: Es müssen Anreize geschaffen werden, mehr grüne Energie in die Baustoffindustrie zu investieren. Mittels EU-Programmen sollte die thermische Sanierung forciert werden. Denn das ist in Wahrheit echte Klimapolitik.

Report: Ist für Sie als Mitglied einer Regierungspartei die Kürzung des Sanierschecks auf 43 Millionen Euro in irgendeiner Form nachvollziehbar?

Muchitsch: Überhaupt nicht. Zwei Ressorts wie dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium muss es möglich sein, die fehlenden 57 Millionen Euro aufzustellen bzw. umzuschichten. Nach zusätzlichem Geld vom Finanzminister zu rufen, ist weder vom Wirtschafts- noch vom Umweltminister fair. Es liegt an den beiden, eine Lösung zu finden. Dass es möglich ist, Gelder aufzustellen, zeigen die zusätzlichen Mittel für das Bundesheer. Aber die Vorteile der Sanierung sind halt nicht so plakativ darstellbar. 

Report: Wird das Thema Re-Industrialisierung Europas und Österreichs konsequent genug umgesetzt?

Muchitsch: In Österreich haben wir mittlerweile die EU-Vorgabe, dass 20 Prozent des BIP aus der Industrie kommen, erreicht. Jetzt geht es darum, die Industrie zu halten. Und da ist die eben erwähnte Klimapolitik Brüssels leider nicht hilfreich. 

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, am Weltmarkt ein Gegenpol zu den USA und Asien zu sein. Aber das Absurde ist, dass wir uns intern bekämpfen und jeder versucht, sich die Rosinen rauszupicken. Das ist kontraproduktiv.

Log in or Sign up