Donnerstag, Dezember 26, 2024

Felix Gottwald ist der erfolgreichste österreichische Sportler der Olympia-Geschichte. Nach 18 Jahren an der »Lebensuniversität Spitzensport« tourt er heute als gefragter Motivationstrainer mit Vorträgen und Seminaren durchs Land. Wie wertvoll Stille ist, erklärt er im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Was können sich Manager von Spitzensportlern abschauen?

Felix Gottwald: Es gibt Tugenden, die jeder Sportler mitbringt. Dazu gehört auf jeden Fall Präsenz im Augenblick: Ein Spitzensportler muss in entscheidenden Momenten den Lärm um sich ausblenden und sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Diese Fähigkeit, jederzeit den Schwenk auf die eigene Wahrnehmung und das, was zu tun ist, vollziehen zu können, ist die wichtigste Ressource überhaupt. Jeder trägt sie in sich, sie muss aber trainiert werden, wie ein Muskel. Nur wer guten Kontakt zu sich selbst hat, kann auch gute Kontakte zu anderen haben – gute Führungskräfte leben nach diesem Prinzip.

(+) plus: Ist Spitzensport eine Lebensschule?

Gottwald: Ich sage immer, ich habe 36 Semester an der Lebensuniversität Spitzensport studiert – so lange hat meine sportliche Karriere gedauert. Sport ist ein Lernfeld für Selbst- beobachtung, wenn man über den vordergründigen Selbstzweck von Sieg oder Niederlage hinausblickt. Man lernt, dass Klarheit über eigene Gedanken, Gefühle und Handlungen der erfolgsbestimmende Faktor ist und Ziele eine persönliche Mission als Triebwerk brauchen. Sonst läuft man ständig im Kreis.

(+) plus: Work-Life-Balance ist derzeit ein populäres Schlagwort. Wie kann die Umsetzung in der Praxis gelingen?

Gottwald: Es ist schon ein erster Schritt, zu erkennen, dass man der Hamster im Rad ist, weil man sich dafür entscheidet. Ich kann aus dem Rad aussteigen. Oder mir beim Laufen zuschauen. Es geht gar nicht darum, was ich mache, sondern wie ich es mache. Ich kann beim Ein- und Ausräumen des Geschirrspülers sehr präsent sein. Präsenz bringt Erfüllung. Und schützt vor Irrtümern wie: Ich arbeite drei Jahre Vollgas, dann nehme ich mir Zeit für mich. Das funktioniert nie! Achtsamer Umgang mit eigenen Ressourcen lässt sich weder aufschieben noch delegieren. Wenn du dir heute für deine Vitalität und Gesundheit keine Zeit nimmst, entsteht ein Minus. Heute ist der beste und einzige Zeitpunkt, auf die innere Balance zu achten. Und morgen ist wieder heute. Auf diese Weise entsteht ein Kontinuum, ein festes, inneres Fundament, das wir Selbst-Vertrauen nennen.

(+) plus: Warum ist gerade »Stille« so wichtig?

Gottwald: Viele Menschen halten die Stille gar nicht mehr aus. Der gesunde, vitale Mensch ist wie ein ruhiger, klarer Fluss. Die Realität ist: Viele Menschen lassen zu, dass Lkw voller Giftmüll an die Quelle ihres Flusses fahren und alles dort reinkippen. Oft schon in der Früh – die Negativität von gestern wird durch Nachrichten nachgereicht. Der Fluss kann nur rein werden, wenn die Lkw gestoppt werden. »Es still werden lassen« heißt, sich eine bewusste Pause vom Lärm zu gönnen.

(+) plus: Mir ist aufgefallen, dass viele Wirtschaftsleute im Publikum die kurze Meditationssequenz belächelten, sich aber nach dem Vortrag als Erste zum Signieren des Buches anstellten.

Gottwald: Gute Beobachtung! Oft sind es die größten Skeptiker, die in Vorträgen und Seminaren am meisten profitieren! Ihre Aha-Erlebnisse in der Stille sind so drastisch, dass sie ihre Power, mit der sie sich ansonsten verausgaben, in Balance-Ausgleich umlenken. Das ist auch für mich dann jedes Mal ein toller Moment. Der Spitzensport hat mir sehr schöne Momente bereitet, aber es ist fast berührender und bewegender mitzuerleben, wie andere oft durch minimale Impulse eine wesentliche Steigerung ihrer Lebensqualität bewerkstelligen.

Es ist eben ungewöhnlich, wenn ein Vortrag mit einer »verlängerten Minute der Schweigens« beginnt. Normalerweise sagt man »Herzlich willkommen! Ich freue mich, dass ich hier sein darf…« Aber so kommen Menschen nicht aus ihrem inneren Dialog. Lachen in der Stille ist eine Übersprungshandlung, ein Zeichen, dass man nicht aushält, einfach nur anwesend zu sein. Über das Atmen hat man die Möglichkeit, Präsenz zu üben.

(+) plus: Wären Sie als Vortragender ebenso gefragt, wenn Ihre Karriere weniger erfolgreich gewesen wäre?

Gottwald: Ein gutes Stück weit profitiere ich vom Status als Spitzensportler. Es würde aber nicht reichen, um meine Seminare in Loipersdorf – wir begrüßen im Herbst den 1.000sten Teilnehmer – zu bespielen. Zu den IM-PULS TAGEN und RE-SOURCE TAGEN kommen Menschen, die ihr Leben selbstbestimmt gestalten wollen, anstatt vom Außen gestaltet zu werden. Coaches aus anderen Bereichen, Lehrer, Unternehmer, Führungskräfte, Arbeiter – die Freude an Entwicklung macht keinen Unterschied. 

(+) plus: Im Bereich Selbstfindung bzw. Selbsterfahrung werden unzählige, zum Teil auch fragwürdige Seminare angeboten. Wie schmal ist der Grat zur Esoterik?

Gottwald: Übersetzt heißt Esoterik ja nur: Innensicht. In sich hinein zu schauen, zu fühlen, zu hören macht Sinn. Aber natürlich gibt es auch viel Hohles, zu Abgehobenes am Markt. Mein Grundsatz ist: Kein Unterschied zwischen Seminar und der Zeit nach dem Seminar – das Leben findet immer statt! Was wir im Seminar entwickeln, muss im alltäglichen Tun, in unserem praktischen Leben von Nutzen sein, sonst ist es nutzlos.

(+) plus: Man kann auch leicht abstürzen. Welche Rolle spielen denn Misserfolge oder Scheitern im Leben?

Gottwald: Für mich waren Misserfolge immer die Basis für Richtungsänderungen. 1999 bin ich bei der Heim-WM kollabiert – aber: Mit dieser Erfahrung begannen meine sportlichen Erfolge. Fehler zu machen, heißt lernen, das ist nichts Verwerfliches. Die Kunst ist, trotz Fehlern mit Geduld, Gelassenheit und Zuversicht seinen Weg zu gehen.

(+) plus: Auch der interessanteste Beruf macht nicht immer Spaß. Was kann man tun, wenn die Motivation sinkt?

Gottwald: Mein Zugang war, große Wegstrecken immer in kleine Einheiten zu zerteilen. Es hat keinen Sinn, sich eine Vorbereitung auf Olympische Spiele für vier Jahre permanent vorzustellen, das wäre erdrückend. Der heutige Tag reicht aus. So habe ich mein großes Ziel verbunden mit meiner persönlichen Mission im Blick, ohne es andauernd anzustarren. Wenn ich meine Aufgaben – angenehme, weniger angenehme – immer auf den heutigen Tag herunterbreche, ist auch der Motivationsbedarf überschaubar.

(+) plus: Mussten Sie auf vieles verzichten?

Gottwald: Nein. Sobald du etwas mit Begeisterung machst, ist es kein Verzicht, sondern ein Geschenk. Ich habe mich nach meinem Karriereende noch einmal mit zwei extra Jahren Spitzensport beschenkt. Vermeintlicher Verzicht – das durfte ich heuer erst wieder erfahren, als ich im Waldviertel zwei Wochen fasten war – gibt mehr, als er nimmt.

(+) plus: Haben Sie nicht jetzt viel mehr Zeit als früher?

Gottwald: Nein, genau gleich viel! Und wie früher ist die Basis, dass ich zuerst meine eigenen Ressourcen pflege, um sie dann im »Teambewerb« mit Teilnehmern zur Verfügung zu haben. Auch in den Seminaren sind gute Vorbereitung und ein aktivierter Grundzustand das Wichtigste: Wir alle haben nur immer nur dieses eine Heute, das wir nützen können.


Zur Person

Felix Gottwald (37) ist mit drei Gold-, einer Silber- und drei Bronzemedaillen Österreichs erfolgreichster Olympiasportler. Insgesamt gewann er in der Nordischen Kombination 18 Olympia- und WM-Medaillen. 2007 beendete er seine aktive Laufbahn und veröffentlichte die Autobiografie »Ein Tag in meinem Leben«. 2009 kehrte er in den Weltcup zurück und krönte sein Comeback 2010 mit Olympiagold und 2011 mit zwei Weltmeistertiteln, jeweils im Teambewerb. Gottwald galt als Vorzeigesportler und war für seine mentale Stärke bekannt. Seit dem endgültigen Karriereende 2011 bietet er als Motivationstrainer Vorträge und Seminare an. Ende 2011 erschien sein Hörbuch »Die Stille zum Erfolg«.

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