Die einen resignieren und kapitulieren, die anderen laufen zur Höchstform auf. Das liegt an der Resilienz, sagen Psychologen, und meinen damit die psychische Widerstandsfähigkeit zur erfolgreichen Krisenbewältigung. Die gute Nachricht: Resilienz lässt sich lernen.
Sonntagfrüh. Endlich Ruhe nach einer anstrengenden Arbeitswoche. Ausgiebiges Frühstück mit der Familie, Entspannung. Soweit die Theorie, die Praxis sieht anders aus, ist deutlich brutaler. Spätestens beim Öffnen der Zeitung, bleibt der Bissen im Hals stecken, hat einen die Arbeitswelt und damit die Krise wieder fest im Griff. Hiobsbotschaften, wohin man schaut. Kurzarbeit in der Automobilindustrie, Aktien weiter im Sinkflug dafür das Frühwarnsystem des AMS auf Rekordkurs und kein Ende in Sicht. Diese düsteren Zukunftsprognosen lassen kaum jemand unbeeindruckt.
Dabei finden sich immer mehr Vertreter aus Politik und Wirtschaft, die dem Ganzen auch positive Seiten abgewinnen können. „Die Krise als Chance“ heißt es dann, klingt aber doch sehr nach Euphemismus und Durchhalteparolen. Wie soll derjenige, dessen Job in Gefahr ist, in der Krise eine Chance sehen? Das ist viel verlangt. Aber auch bei denjenigen, die selbst noch nicht akut gefährdet sind, können Phasen der Unsicherheit zu Ängsten, Depressionen, Demotivation, Frustration und erhöhter Krankheitsanfälligkeit führen.
Karrierefaktor „Resilienz“
Nicht alle Menschen reagieren gleich auf Bedrängnis und Krise. Es gibt jene, die in schwierigen Zeiten resignieren, und solche, die selbst widrigste Situationen unbeschadet überstehen. Die Rückschläge wegstecken, ja sogar gestärkt aus Misserfolgen hervorgehen. Die mit einer konstruktiven „Jetzt–erst-recht-Haltung“ loslegen und auch in turbulenten Zeiten die Fäden in der Hand halten.
Die Wissenschaft nennt diese Fähigkeit „Resilienz“ – die psychische Widerstandsfähigkeit zur erfolgreichen Krisenbewältigung. In zahlreichen Studien wurden die Merkmale resilienter Personen untersucht und überprüft, wie es gelingen kann, auf die Anforderungen wechselnder Situationen flexibel zu reagieren und auch stressreiche, frustrierende oder schwierige Lebenssituationen zu meistern. Die gute Nachricht dabei ist: Resilienz lässt sich lernen. Und sie hilft nicht nur bei den großen Bedrohungen, sondern auch bei den täglichen Herausforderungen.
Ralph Goldschmidt, Geschäftsführer der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklungsagentur Goldschmidt & Friends und Coach für die meisten DAX-30 Unternehmen, hat in seinem „Balance-Modell“ sieben Handlungskompetenzen identifiziert, die auf alle Lebensbereiche einwirken und ein wichtiger Schlüssel sein sollen, um Leistungskraft und Lebensglück auch unter widrigen Bedingungen nicht zu verlieren. Ob Beruf, Finanzen, Gesundheit, Beziehungen oder Freizeit, wer über das richtige Maß an Selbstbewusstsein und Selbstverantwortung verfügt, wer sich selbst akzeptieren und motivieren kann, wer Kontrolle über das eigene Tun hat, wer seinen Alltag gut managen kann und dabei nicht auf die Beziehungen zu anderen vergisst, hat gute Chancen, Krisenzeiten zu überstehen und sogar gestärkt aus ihnen hervor zu gehen.
Selbstbewusstsein & Selbstverantwortung
Unter Selbstbewusstsein versteht Goldschmidt den achtsamen und ungetrübten Blick auf sich selbst, um Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche in jedem Moment zu erkennen. „Damit erkennt man seine Werte, seine Stärken und Schwächen und weiß, wie man auf seine Umwelt wirkt“, sagt Goldschmidt. Wichtig sei vor allem der Glaube an die eigene Kompetenz, um aus den eigenen Stärken und Erfolgen Kraft zu ziehen.
In der Selbstverantwortung sieht Goldschmidt die Wahlfreiheit des Menschens. „Es geht darum die Opferrolle zu verlassen und die Verantwortung für das eigene Denken, das Entscheiden, das Handeln und auch das Nicht-Handeln zu übernehmen.“ Jammern über Wirtschaft, Politik oder die Banken sei absolut kontraproduktiv. Vielmehr gehe es darum, sich auf den eigenen Einfluss-Radius zu konzentrieren. „Schätzen Sie realistisch ein, an welchen Stellschrauben Sie selbst drehen, um Ihre Situation zu verbessern.“ Das ist laut Goldschmidt zwar deutlich aufwendiger als zu jammern, bringt am Ende des Tages aber auch deutlich mehr ein.
Selbstakzeptanz & Selbstmotivation
Als Selbstakzeptanz bezeichnet Goldschmidt die Fähigkeit, sich mit allen Eigenheiten, mit allen Stärken und Erfolgen, aber auch mit allen Schwächen, Macken und Niederlagen selbst zu mögen und wert zu schätzen. Das klingt einfach, ist es aber nicht immer. Deshalb empfiehlt Goldschmidt, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass der Wert eines jeden Einzelnen nicht von den Schwächen beeinträchtigt wird.
Mit der Selbstmotivation wendet sich der Persönlichkeitsentwickler an den inneren Schweineheund. „Wir wissen sehr oft, was wir eigentlich tun sollten, was uns wirklich gut täte und was wir unbedingt ändern müssten, tun es aber nicht.“ Resiliente Menschen verlassen die Opferrolle und werden selbst aktiv, sie schauen nach vorne und suchen nach Lösungen. Sie nehmen eine Langzeitperspektive ein und finden Antworten auf zwei entscheidende Fragen: „War ich schon einmal in einer ähnlich schwierigen Situation und wie habe ich diese bewältigt?“ Und dann legen sie los.
Selbstkontrolle & Selbstmanagement
Mit der Akzeptanz der eigenen Gefühle und Stimmungen ist es aber leider nicht getan. Man muss auch lernen, konstruktiv mit ihnen umzugehen, das gilt vor allem für die negativen Emotionen. Stressphasen sind deutlich leichter zu bewältigen, wenn man überzeugt ist, sie kontrollieren zu können. „Stoppen Sie Ihr Katastrophendenken und gewinnen Sie Kontrolle über Ihre Gedanken.“ Dabei kann es helfen sich immer wieder klar zu machen, dass schlechte Phasen zeitlich begrenzt sind und vorüber gehen.
Um diese schwierigen Balanceakte zu meistern, sollte man sich einige wichtige Tools und Techniken zum Planen, Entscheiden und Organisieren des eigenen Lebens bereit legen. „Entwerfen Sie einen Fahrplan für die Krise, urteilen Sie in kleinen Etappenzielen. Bleiben Sie flexibel und aktiv und suchen Sie nach Alternativen.“
Austausch mit anderen
Ein funktionierendes Netzwerk ist speziell in Krisenzeiten wichtig. Die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und zu pflegen, kann in stürmischen Zeiten zum Rettungsanker werden. „Ziehen Sie sich nicht zurück, suchen Sie Halt in Ihrem stabilen, emotionalen Umfeld, fragen Sie nach Unterstützung in Notzeiten“, rät Goldschmidt.
Mehr als nur Überleben
Resilienz ist mehr als bloßes Durchhalten oder Anpassung an die schlechten Bedingungen. Menschen sind nicht resilient trotz der Krise, sondern gerade wegen ihr. Manche entwickeln eine Stärke, die sie sich selber vorher nicht zugetraut hätten. Die Resilienzforschung macht Mut, denn sie offenbart, dass psychische Widerstandskraft nicht angeboren oder Glückssache ist. Zwar sind manche Menschen in dieser Fähigkeit begünstigt, andere brauchen aber oft nur etwas Unterstützung, um kraftvoll durch die Krise zu gehen. „Das Leben ist ein wilder Fluss mit Untiefen und Stromschnellen. Je mehr wir über die Eigenschaften des Wassers wissen und je besser wir gelernt haben, auf reißende Flüsse zu reagieren, desto sicherer gelangen wir wieder in seichtes Gewässer und ruhiges Fahrwasser“, ist Goldschmidt überzeugt.