Sonntag, Dezember 22, 2024

Peter Brezinschek: 'Vier bis fünf Prozent Wachstum sind heuer möglich.'Die Rezession fiel in Osteuropa tiefer aus als bisher angenommen. Die Talsohle scheint aber durchschritten, das Stimmungsbarometer steigt. Wachstum wird spätestens für 2012 erwartet – jedoch auf geringerem Niveau. Auch österreichische Firmen schraubten ihre Investitionen im CEE-Raum deutlich zurück.

Das Schlimmste ist vorbei, aber leider auch das Beste«, kommentiert Peter Havlik, CEE-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), die wirtschaftliche Entwicklung in Mittel- und Osteuropa nach der Krise. Insgesamt wurde die Region von der Rezession stärker gebeutelt als angenommen. Am schlimmsten traf es Ungarn und das Baltikum. In allen drei baltischen Staaten brach das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009 zweistellig ein, in Lettland etwa um 19 Prozent. Auch heuer wird die Wirtschaft im Baltikum weiter schrumpfen, wenn auch in geringerem Ausmaß – Lettland minus 4,5 Prozent, Litauen minus 3 Prozent, Estland 1,5 Prozent.

Ungarn will den Rückgang des BIP im Vorjahr (minus 6,5 Prozent) mit einem rigorosen Sparkurs auffangen und eine Stagnation erreichen. Einzig Polen überstand die Durststrecke unbeschadet und verzeichnete 2009 als einziges EU-Land eine positive Wirtschaftsentwicklung. »In den meisten anderen Ländern wurde der Aufholprozess unterbrochen. Insbesondere das Baltikum wurde um einige Jahre zurückgeworfen – noch mehr als Russland oder die Ukraine«, zeichnet Havlik ein nur bedingt erfreuliches Bild vom Osten. Für heuer erwarten die Wirtschaftsforscher in der Region eine Stagnation, erst 2012 soll wieder Wachstum einsetzen – allerdings auf niedrigerem Niveau als vor der Krise.

Moderate Verschuldung

Im Vergleich mit Westeuropa stehen die CEE-Länder dennoch auf recht festem Boden. Während Griechenland in den etablierten EU-Staaten für massive Unruhe sorgte, zeigten sich die Ostmärkte davon unbeeindruckt. Auch die Staatsverschuldung ist durchaus »moderat«, meint Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank (RZB): »Selbst das am stärksten verschuldete CEE-Land Ungarn steht besser da als der Durchschnitt der Eurozone.« Die Staatsschulden von Ungarn, Tschechien, Polen, der Slowakei, Rumänien und Kroatien, die gemeinsam rund 90 Millionen Einwohner zählen, belaufen sich auf insgesamt rund 347 Milliarden Euro – nur wenig mehr als der Schuldenberg Griechenlands von rund 300 Milliarden Euro bei nur elf Millionen Einwohnern.

Nach Einschätzung von Juraj Kotian, Analyst der Erste Group, mache sich bezahlt, dass die CEE-Länder früher als die Länder der Eurozone mit Maßnahmen gegen die Krise begonnen hätten. Zudem seien die CEE-Staaten im Gegensatz zu den meisten westeuropäischen Staaten nur zu einem relativ geringen Teil im Ausland verschuldet. In Ungarn, dessen Staatsschulden knapp 80 Prozent des BIP ausmachen, entfallen nur rund ein Viertel davon auf ausländische Geldgeber. Zum Vergleich: In Österreich sind die Schulden des öffentlichen Sektors bereits auf knapp 70 Prozent des BIP angewachsen, die Hälfte des Geldes kommt aus dem Ausland. Alle CEE-Länder außer Ungarn weisen eine Staatsverschuldung von unter 60 Prozent auf, während der Schuldenstand Griechenlands bereits 120 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts übersteigt.

Starke Unterschiede

Musterschüler Polen konnte dagegen die reale Wachstumsrate sogar nach oben revidieren. »Plus 2,7 Prozent sind auch im internationalen Vergleich sehr ansehnlich«, meint RZB-Analyst Brezinschek. Verbesserte BIP-Prognosen dürften auch die öffentlichen Haushalte in Russland und der Ukraine stützen. »Die stark ansteigenden Rohstoffpreise bringen diese beiden Länder an die Spitze der Konjunkturerholung«, so Brezinschek. Er hält angesichts steigender Nettoimporte und Infrastrukturmaßnahmen ein Wachstum von durchschnittlich vier bis fünf Prozent im CEE-Raum schon heuer für möglich.

Klares Schlusslicht bei der Wirtschaftserholung bleibt der Balkan, die nach wie vor schwächste Region Europas, wo längst überfällige Strukturmaßnahmen ihre Spuren hinterlassen. Etwas vorsichtiger gibt sich deshalb die UniCredit-Bank Austria mit ihrer Wachstumsprognose von 2,3 Prozent für die CEE-17. Hier sei es notwendig, zu differenzieren: »Die Unterschiede zwischen den Ländern werden auch 2010 deutlich ausfallen.« Nicht alle Staaten seien gleichermaßen in der Lage, ihr Exportwachstum durch einen schwächeren Wechselkurs zu stützen. Auch die geringe Inlandsnachfrage wirke sich negativ aus.

Der deutlich weniger optimistische Ausblick für die Eurozone, die vor allem durch die schlechte Arbeitsmarktsituation belastet ist, schränkt das Potenzial der aufstrebenden CEE-Länder zusätzlich ein. Wichtigste Voraussetzung für einen Aufschwung wären daher nach Einschätzung der WIIW-Experten eine markante Erholung des Welthandels sowie mehr Exporte aus der Region.

Rekordarbeitslosigkeit

Massiv sind in allen Ländern die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Arbeitslosigkeit. Der Arbeitsmarkt in Mittel- und Osteuropa wird regelrecht ausgetrocknet. Die Arbeitslosenrate erreicht heuer voraussichtlich im Durchschnitt die Zehn-Prozent-Marke. WIIW-Ökonom Havlik erwartet den Höhepunkt in der CEE-Region für 2010: »Es wird drei bis fünf Jahre dauern, bis die Arbeitslosenrate das Vorkrisenniveau erreicht.«

In Ungarn, Polen und der Slowakei liegt die Arbeitslosigkeit etwa im Schnitt oder knapp darüber, in Lettland und den meisten südosteuropäischen Ländern mit 20 bis 30 Prozent deutlich höher. Besonders betroffen sind junge Menschen zwischen 20 und 25 Jahren, denen Berufserfahrung oder eine qualifizierte Ausbildung fehlen. Laut OECD ist die Hälfte der Schulabgänger in den CEE-Ländern gefährdet, den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu verlieren und zur »Lost Generation« zu werden. In Polen beispielsweise finden trotz guter Wirtschaftsentwicklung 60 Prozent der Jugendlichen nur vorübergehende Jobs, aber keine festen Anstellungen.

Durch die steigende Arbeitslosigkeit hält sich auch der private Konsum in Grenzen. Bei größeren Konsumgütern wie Autos macht sich zudem die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe bemerkbar.

Investitionen eingebremst

Zu den negativen Folgen der Wirtschaftskrise trug auch der massive Einbruch ausländischer Investitionen bei. In Slowenien, Ungarn und der Slowakei gab es 2009 laut WIIW überhaupt keine Direktinvestitionen aus dem Ausland. Auch Österreich bremste seine Aktivitäten im CEE-Raum drastisch ein. In den ersten drei Quartalen 2009 haben heimische Firmen nur noch 0,7 Milliarden Euro in mittel- und osteuropäischen Ländern investiert. Im Vergleichszeitraum 2008 waren es noch 7,6 Milliarden Euro. Die Investitionstätigkeit fiel damit auf den Wert von 1998 zurück.

Den Großteil des Investitionsvolumens trugen Banken und Versicherungen – gerade der Finanzsektor fror aber sein Engagement völlig ein. Auch auf den Immobilienmärkten schrumpften die Direktinvestitionen von 9,8 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 2,5 Milliarden Euro im Vorjahr. Seit Mitte 2009 orten Immobilienexperten jedoch wieder steigendes Investoreninteresse, vor allem bei Spitzenobjekten im Büro- und Einzelhandelssektor in Polen und Tschechien.
Das Auslaufen diverser stützender Maßnahmen sowie schärfere Budgetrichtlinien seitens der EU könnten den zarten Aufwind im Konjunkturfrühling leicht wieder zunichte machen. Jene Länder, die mittelfristig einen Beitritt zur Europäischen Union oder die Erweiterung der Eurozone angepeilt hatten, werden sich angesichts der griechischen Tragödie wohl noch länger gedulden müssen.

Bulgarien, schon zuvor mit nur geringen Chancen auf die Erfüllung der Maastricht-Kriterien, zog selbst die Notbremse: Nach dem Auffliegen dubioser Bau- und Waffengeschäfte von 13 Ministerien hätte sich das Haushaltsdefizit von 1,9 auf 3,7 Prozent erhöht – die Regierung gab indirekt Ungereimheiten zu, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Bulgarien, das seine Währung Lewa seit Jahren an den Euro bindet, wollte ursprünglich Mitte 2010 den Wechselkursmechanismus der EU übernehmen und 2013 den Euro einführen.

Auch die für 2011 geplante Euro-Einführung in Estland erscheint mehr als fraglich. Eine positive Abwicklung der Beitrittsgespräche könnte dagegen in Kroatien und Serbien auch der Wirtschaft mehr Sicherheit und neuen Schwung geben.

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