Die jüngste Länder- und Branchenbewertung der Kreditversicherung Coface fällt durchwachsen aus. Die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft hängt maßgeblich von geopolitischen Entscheidungen ab.
Mehr als 60 nationale Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen im laufenden Jahr an. »2024 wird zum Schlüsseljahr – sowohl in (geo-)politischer Hinsicht mit mehr als als auch in wirtschaftlicher Hinsicht mit zunehmenden Risiken und einer sich immer noch verlangsamenden Weltwirtschaft«, sagt Dagmar Koch, Country Managerin Coface Österreich. Vor diesem Hintergrund hat Coface 13 Länderrisikobewertungen (12 Heraufstufungen und eine Herabstufung) und 22 Branchenrisikobewertungen (17 Heraufstufungen und 5 Herabstufungen) geändert. Belgien, Dänemark und die Schweiz zählen zu jenen Ländern, die in der aktuellen Analyse besser bewertet werden, indessen hat sich die Einschätzung für Israel verschlechtert.
Kaufkraft schwächelt
Die Länderrisikobewertung von Österreich blieb unverändert auf dem Level A3. »Damit liegt Österreich auf demselben Risiko-Niveau wie Frankreich und Deutschland, jedoch deutlich oberhalb der Bewertung von Italien«, erläutert Christiane von Berg, Head of Economic Research BeNeLux & DACH bei Coface. »Hintergrund dieser Bewertung ist unter anderem die stotternde Konjunkturentwicklung. Mit Ausnahme des Pandemie-Jahres 2020, war dies das schlechteste Jahr seit der Finanzmarktkrise 2009.«
Ein Grund dafür ist der rückläufige private Konsum. »Die Kaufkraft schwächelt«, unterstreicht Dagmar Koch. Österreich verzeichnete im vergangenen Jahr mit einer harmonisierten Inflationsrate von 7,7 Prozent im Jahresdurchschnitt, einen stärkeren Preisanstieg als der Euro-Raum. Hier lag der Durchschnitt bei 5,5 Prozent. »Die verringerte Kaufkraft spiegelt sich etwa im Baugewerbe wider. Investitionen sind speziell im privaten Wohnungsbau eingebrochen. Hier macht sich auch das anhaltend hohe Zinsniveau bemerkbar«, erläutert Koch. Für das aktuelle Jahr 2024, wird aufgrund der hohen Lohnabschlüsse eine leichte Konjunkturerholung erwartet. Das BIP sollte um 0,4 Prozent zulegen. »Die Situation der Unternehmen in Österreich hat sich deutlich verschlechtert«, unterstreicht von Berg. Mit 5.343 Unternehmen stieg die Zahl der Insolvenzen gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent und erreichten damit einen Höchststand seit 2014.
Weltwirtschaft ausgebremst
Das dritte Jahr in Folge wird sich das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamen: Während 2023 noch ein Wachstum von 2,6 Prozent verzeichnete, werden für 2024 nur 2,2 Prozent prognostiziert. Haupttreiber der Weltwirtschaft werden 2024 die Schwellenländer sein. »Ein ,Soft Landing' der US-amerikanischen Wirtschaft wird von unseren Expert*innen als wahrscheinlichstes Szenario gesehen. Dabei dürfte sich die Wirtschaftsaktivität in der ersten Jahreshälfte aufgrund rückläufiger Ausgaben der privaten Haushalte weiter abschwächen. Ein Grund: Die während der Pandemie angehäuften und nun weitgehend aufgebrauchten Ersparnisse werden weiter schwinden«, erläutert die Coface-Managerin.
Die chinesische Wirtschaft schien in der zweiten Jahreshälfte 2023 wieder Tritt zu fassen und schloss das Jahr mit einem BIP-Wachstum von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, also leicht über dem offiziellen Wachstumsziel, ab. Zu Jahresbeginn geriet die Wirtschaft der Volksrepublik jedoch abermals ins Stocken. »Der private Konsum erholt sich nur allmählich und die Sorgen über die Korrektur des Immobilienmarktes schwelen weiter. Die erhöhte Verschuldung auf kommunaler Ebene, die unter anderem zur Reduzierung staatlicher Unterstützungsmaßnahmen führt, belastet weiterhin die privaten Investitionen und die Stimmung der Verbraucher«, erläutert Coface-Ökonomin Christiane von Berg.
Südostasien wird voraussichtlich mit einem Wachstum von 4,6 Prozent erneut eine der dynamischsten Regionen sein - nach 4 Prozent im Jahr 2023. In Europa wird in der ersten Jahreshälfte mit einer (Beinahe-)Stagnation gerechnet. Das Verarbeitende Gewerbe wird weiterhin durch anhaltend hohe Kosten und eine schleppende Auslandsnachfrage belastet. »In Österreich ist die Inflationsrate noch weit von den 2 Prozent entfernt. Das belastet unsere Wirtschaft«, unterstreicht von Berg.
Hohe Inflation & Zinsen
Trotz eines Rückgangs der Teuerungsraten im Jahr 2023 liegt die Kerninflation, die Energie- und Nahrungsmittelpreise herausnimmt, in den meisten entwickelten Volkswirtschaften immer noch doppelt so hoch, als es das Ziel der Zentralbanken vorgibt. 2024 werde zeigen, ob die seit über 18 Monaten laufende Straffung bzw. Beibehaltung der restriktiven Geldpolitik ausreicht, um die Inflationsraten wieder auf zwei Prozent zu bringen, meint Country Managerin Koch: »Die nach wie vor angespannte Lage an den Arbeitsmärkten mit einem Fach- und Arbeitskräftemangel, historisch hohen Stellenangebotsquoten und einer anziehenden Lohndynamik deutet darauf hin, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht gewonnen ist.«
In puncto Zinsen gehört das Umfeld, an das sich private Haushalte, Unternehmen und Regierungen in den letzten fünfzehn Jahren gewöhnt haben, nun endgültig der Vergangenheit an. Die Zinssätze dürften in allen entwickelten Volkswirtschaften das ganze Jahr über auf hohem Niveau bleiben. »Die Markterwartungen von bis zu sechs Zinssenkungen zu je 25 Basispunkten im Laufe des Jahres erscheinen uns für beide Seiten des Atlantiks, also sowohl in den USA als auch in Europa, übertrieben«, so Koch. In Europa rechnen die Coface-Expert*innen aufgrund des anhaltenden Kerninflationsdrucks frühestens ab Sommer 2024 mit einer geldpolitischen Lockerung. In diesem ungünstigen wirtschaftlichen Umfeld bleibt für Unternehmen ein Risiko, das auch die Insolvenzzahlen wieder deutlich steigen lassen könnte.