Der ABB-Konzern startet ein globales Ausbildungs- und Innovationszentrum bei B&R in Österreich.
Titelbild: Viel Prominenz bei der Eröffnung des neuen Bildungscampus (v. li.): Saami Atiya (Präsident Robotik und Fertigungsautomation ABB), Jörg Theis (Geschäftsführer B&R), Markus Achleitner (Wirtschaftslandesrat OÖ), Thomas Stelzer (Landeshauptmann OÖ), Martin Kocher (Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft), Björn Rosengren (CEO ABB). (Credit: Kalle Singer)
Der kleine, beschauliche Ort Eggelsberg in Oberösterreich ist nur wenigen außerhalb des Bezirks Braunau bekannt. Doch der Standort Eggelsberg des ABB-Konzerns hat mittlerweile Weltruf erlangt. Denn am dortigen Hauptsitz von B&R, einem Unternehmen, das 2017 von ABB übernommen wurde, wird nicht nur international vielbeachtete Maschinen-Automation vorangetrieben, sondern nun auch ein Ausbildungs-Vorzeigeprojekt gestartet. Auf 38.000 Quadratmetern hat B&R einen Campus errichtet, der nicht nur rund 1.000 High-Tech-Arbeitsplätze schafft, sondern auch Ausbildungen im Bereich Robotics, Künstliche Intelligenz und Automation für bis zu 4.000 Menschen – Kund*innen und Mitarbeiter*innen – ermöglicht.
100 Millionen Euro hat ABB in diesen neuen Campus investiert. Doch warum steckt der Konzern so viel Geld in Bildung und Innovation? Zwei Antworten gab es bei der offiziellen Eröffnung des Campus Mitte Juli: »Wir gestalten hier gemeinsam mit unseren Kunden die Maschinen und Fabrik der Zukunft«, erklärte Björn Rosengren, CEO von ABB. Und diese Zukunft liege in Automation und Digitalisierung. Auf diese Weise wird also der Standort Oberösterreich des Konzerns auf lange Zeit gesichert.
Antwort Nummer zwei lautet: »Notwendige Qualifizierung und Fachkräftemangel«. »Es gilt, der in Europa zunehmend spürbaren Qualifizierungslücke entgegenzuwirken, um mit der digitalen Transformation Schritt zu halten«, betonte Wirtschaftsminister Martin Kocher bei der Eröffnung. Österreich verzeichne derzeit einen Rekord an offenen Stellen. Unternehmen müssen sich also mehr denn je bemühen, Talente und Fachkräfte zu finden.
B&R ist das weltweite Zentrum von ABB für Maschinen- und Fabrikautomation. Am neuen Campus entstehen bis zu 1.000 zusätzliche High-Tech-Arbeitsplätze in der Entwicklung integrierter Hard- und Softwarelösungen rund um Steuerung, Robotik, Sensorik und Analytik. (Bild: Kalle Singer)
Suche nach Talenten der Zukunft
Bei der ABB-Division B&R ist die Suche nach qualifizierten Mitarbeiter*innen zu einem Kernthema der Führungsebene geworden. »Wir haben für 70 von all unseren ausgeschriebenen Stellen nicht einmal eine Bewerbung bekommen«, sagt Jörg Theis, Geschäftsführer von B&R im Gespräch mit Report Plus. Und wie geht B&R da vor? »Wir fangen schon bei den Schülern und Schülerinnen an. Wir sponsern Events, bei denen es um Technologien geht. Es ist entscheidend, mit diesem ›Mind Setting‹ schon sehr früh zu beginnen«, ist Theis überzeugt. Dazu komme noch die Zusammenarbeit mit mehr als 100 Hochschulen weltweit. Lokal wird mit der HTL Braunau eng kooperiert. Man müsse sich eben dort mit den Automationsthemen einbringen, wo man Mitarbeiter*innen bekommen könne.
Die Suche ist die eine Seite, die Ausbildung im eigenen Unternehmen die andere. »Wir wollen gerne wieder mit der Lehrlingsausbildung beginnen. Das planen wir ab 2023 sowohl im Bereich der Produktion als auch im Bereich der Entwicklung«, kündigt Theis an. Mechatronik und Softwareentwickler werden die beiden Lehrberufe sein, die B&R anbieten will. Die zweite Schiene ist das duale Studium. B&R diskutiert derzeit mit Fachhochschulen und der geplanten Digital Science University in Linz über Aufbau und Inhalt dieses dualen Studiums.
Student*innen sollen geringfügig für zehn bis 15 Stunden bei B&R angestellt werden. Das hätte den Vorteil, dass die jungen Menschen Geld verdienen und natürlich bei B&R reinkämen, erklärt Geschäftsführer Theis. B&R könne bei diesem dualen Studium die Leute dreieinhalb Jahre begleiten, sehen, wie sie sich entwickeln und dann die geeigneten übernehmen. Das in Österreich neue Modell des dualen Studiums wird laut Theis in Deutschland seit Jahren sehr erfolgreich umgesetzt. »Für Unternehmen ist das natürlich Goldes wert. Wir bekommen genau die Leute, die wir brauchen«, beschreibt der B&R-Geschäftsführer die Vorteile. Beginnen will das Unternehmen damit 2023 mit zunächst zehn bis 20 Studierenden. Die Zahl soll kontinuierlich steigen. B&R müsse nicht nur Stellen von Mitarbeiter*innen, die in Pension gingen, nachbesetzen, sondern auch Mitarbeiter*innen für neue Stellen, die aufgrund des Wachstums entstünden, finden. Das sei in Oberösterreich derzeit besonders schwierig. Der Arbeitsmarkt ist komplett ausgetrocknet. »Selbst Haustechniker finden wir nicht«, beschreibt Theis die Brisanz.
Neben Labors für internationale Spitzenforschung umfasst das ABB-Zentrum auch globale Schulungseinrichtungen für jährlich bis zu 4.000 Menschen. (Bild: Kalle Singer)
Unternehmen attraktiv machen
Der völlig ausgedünnte Arbeitsmarkt ist laut Theis auch der Grund, warum B&R sich dafür entschieden hat, mehr in »Employee Branding« zu investieren. Es sei wichtig, visuell als Unternehmen greifbarer zu werden und mehr Aktivitäten in der Öffentlichkeit zu setzen. Aber auch im Unternehmen müsse man sich bemühen, für die Beschäftigten attraktiv zu bleiben. »Wir haben gefragt: Wo drückt der Schuh? Da hieß es ganz klar: Kinderbetreuung«, erklärt Theis. Also hat B&R einen Betriebskindergarten gegründet. Förderung von Frauen in der Karriere gehört fast selbstverständlich dazu. Ein »Female mentoring-Programm« verpflichtet jede Führungskraft, eine Frau zu »mentoren«, um sie auf Führungspositionen vorzubereiten. Zudem ist ein Fitness-Center geplant. Dazu werden Health-Checks angeboten. »Wir versuchen Bereiche zu eruieren, die für die Mitarbeiter wichtig sind und dort zu investieren«, erklärt Theis. Das fördere die Bindung ans Unternehmen. Auch eine Mitfahr-App wurde entwickelt, damit die Beschäftigten gemeinsam zur Firma fahren können.
Jörg Theis, Geschäftsführer B&R: »Aus- und Weiterbildung haben auf unserem Campus höchste Priorität.« (Bild: B&R)
Zurück nach Europa
Was die Industrie neben dem Mangel an qualifiziertem Personal derzeit noch beschäftigt ist die Re-Industrialisierung, near-shoring. »Ich hätte das niemals gedacht, dass es so viele Industrien gibt, die jetzt das Geschäft von Billiglohnländern zurück nach Europa verlagern«, gibt Theis zu. Das funktioniere aber nicht ohne Automation in der Produktion. »Warum sind denn so viele Unternehmen nach China abgewandert? Weil es dort viele Mitarbeiter*innen gab, die für wenig Geld gearbeitet haben«, beschreibt Theis die Entwicklung. Diese Produktionen könnten nur zurückgeholt werden, wenn Maschinen die Arbeit leiteten – sonst wäre man in einem Hochlohnland niemals wettbewerbsfähig. Weil hierzulande viele Menschen nicht mehr in der Produktion arbeiten wollten, brauche man ebenso die Automatisierung.
Björn Rosengren, CEO ABB: »Die Division B&R ist ein echter Innovations-Hotspot für den Wandel hin zu einer stärker automatisierten Fertigung.« (Bild: ABB)
Für B&R ist diese Entwicklung ein wichtiger Treiber. Das Zusammenwachsen von Robotik und Automation ist ein wichtiger Teil davon. Roboter bedienen Maschinen. »In erster Linie nicht, weil man Menschen ersetzen will, sondern weil man gar kein Personal dafür mehr bekommt«, meint Theis. Die Menschen müssten dann nur noch Maschinen überwachen.
Nachhaltigkeit als Ziel
Digitalisierung, Automation – das braucht enorm viel Energie, vor allem Strom. Entsteht hier nicht eine neue Abhängigkeit von einem Energieträger? Teilweise Selbstversorgung mit Strom ist einer der Lösungswege, den B&R hier einschlägt. 1,8 Megawatt an Photovoltaik sind bisher installiert. Leider sind das nur zehn Prozent des Gesamtbedarfs, ein weiterer Photovoltaik-Ausbau ist daher geplant. Die restlichen 90 Prozent des Stroms stammen ausschließlich aus Wasserkraft. »Wir lassen uns das auch richtig viel Geld kosten«, sagt Theis. Alle Firmenwagen werden zudem auf elektrisch umgestellt und die Gasheizung auf Wärmepumpen. Damit will B&R auch die ABB-Vorgabe, bis 2039 CO2-neutral zu werden, erfüllen.
B&R
Durch die Übernahme von B&R 2017 wurde ABB zur größten Anbieterin von Industrieautomation. (Bild: Kalle Singer)
Die Historie von B&R gleicht einer wahren Bilderbuchgeschichte. In den 1970er-Jahren tüftelten die beiden Ingenieure Erwin Bernecker und Josef Rainer in der Garage der Raiffeisenbank Eggelsberg an Computern, die Maschinen steuern konnten. 1979 gründeten sie ein kleines Unternehmen, das über die Jahre zu einem der bedeutendsten Industrie-Automations-Konzerne Mitteleuropas heranwuchs. 2.300 Menschen arbeiten heute bei B&R. 2017 wurde ABB auf das innovative Unternehmen aufmerksam und kaufte es den beiden Gründern für kolportierte 1,8 Milliarden Euro ab. Heute ist das Unternehmen die Robotics- und Maschinen-Automations-Division von ABB. Eingesetzt wird B&R-Innovation unter anderem in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie – 1.300 Getränkeflaschen und 900 Teebeutel pro Minute werden mit B&R-Hightech in Österreich automatisch befüllt.