Donnerstag, Juli 18, 2024

Alexander Passer ist Inhaber der Professur »Nachhaltiges Bauen« an der TU Graz. Im Fokus stehen die lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung sowie emissionsarme, klimarobuste Bauweisen. Im Report-Interview erklärt er, was für ihn nachhaltiges Bauen bedeutet, wo er die Vorteile massiver Baustoffe sieht und wo die Schwerpunkte seiner Forschungsaktivitäten liegen werden. (Bild: Lunghammer/TU Graz)


(+) plus: Sie sind Inhaber der Professur »Nachhaltiges Bauen« an der TU Graz. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird oft sehr inflationär verwendet. Was bedeutet für Sie nachhaltiges Bauen?

Alexander Passer: Meinen Studierenden erkläre ich immer, dass es zwei Wortursprünge gibt. Das eine ist das alte deutsche Wort, wonach alles nachhaltig ist, mit einer Wirkung, die lange andauert. Daneben gibt es das englisch Wort sustainable, das »langfristig verträglich« meint. Damit geht es bei einem sustainable development etwa darum, auch die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen zu berücksichtigen. Inflationär wird der Begriff vor allem dahingehend verwendet, dass Entscheidungen, die man heute trifft, langfristig wirken. Das muss nicht immer positiv sein.

Nachhaltiges Bauen hat für mich einen Anspruch auf Ganzheitlichkeit, in ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Hinsicht. Ein Gebäude wirkt ja nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Menschen. Dazu kommt für uns Techniker die funktionale und technische Qualität. Ein ganz zentraler Punkt des nachhaltigen Bauens ist die Lebenszyklusbetrachtung. Man darf sich nicht nur die Errichtungskosten ansehen, sondern auch den Betrieb. Und man muss von Anfang an die Demontierbarkeit und Recyclingfähigkeit mitdenken. Nur dann kann Bauen wirklich nachhaltig sein. 

(+) plus: Wie nachhaltig wird aktuell gebaut?

Passer: Das entspricht in etwa der Gaußschen Glockenkurve (lacht). Es gibt die Guten und die Schlechten. Es gibt zwar einige innovative Vorzeigeprojekte, aber die große Mehrheit richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben. Mit freiwilligen nachhaltigen Zertifizierungsinstrumenten versucht man, die Best Practices sichtbarer zu machen und ihren Anteil zu erhöhen. Damit können sich auch Menschen ohne bautechnisches Verständnis ein Bild davon machen, wie gut oder schlecht das von ihnen gemietete oder gekaufte Gebäude ist. 

(+) plus: Wodurch zeichnen sich diese Vorzeigeprojekte besonders aus?

Passer: Das ist zum einen eine extrem gute energetische Qualität. Ein gutes Gebäude ist energieeffizient, hat geringe Betriebs- und Wartungskosten und einen kleinen CO2-Abdruck. Dazu kommt eine hohe Flexibilität und entsprechend lange Nutzungsdauer.

(+) plus: Rund 40 Prozent des EU-weiten Energieverbrauchs und etwa 36 Prozent der CO2-Emissionen können dem Bausektor zugerechnet werden. Was sind die wichtigstes Hebel, um das Bauwesen klimaneutral(er) zu machen?

Passer: Im Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), dem zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen, ist das Ziel der Netto-Null-Emissionen formuliert. Dafür gibt es mehrere wichtige Hebel. Das eine ist, den Verbrauch zu reduzieren und auf erneuerbare Energieträger umzusteigen. Ganz wesentlich ist auch die Sanierung, um den Bestand, dessen Errichtung bereits CO2 verursacht hat, möglichst lange zu nutzen. Wenn uns ein annähernd CO2-neutraler Betrieb gelingt, rücken die Baustoffe in den Vordergrund. Auch hier gilt es, Baustoffe mit einem möglichst geringen CO2 Fußabdruck zu verwenden.  

(+) plus: In der allgemeinen Wahrnehmung gelten Zement und Beton oft als »Klimakiller«, »nachhaltiges Bauen« wird oft mit dem Baustoff Holz assoziiert. Die Professur »Nachhaltiges Bauen« wird vom Fachverband Steine-Keramik gestiftet. Warum ist das kein Widerspruch?

Passer: Natürlich sind erneuerbare Ressourcen grundsätzlich gut, es geht aber auch um Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit, um die bereits erwähnte Lebenszyklusbetrachtung. Wenn Bauwerke einer starken Witterung ausgesetzt sind, dann muss man Baustoffe verwenden, die eine große Dauerhaftigkeit haben.

Man muss das immer ganzheitlich betrachten. Es gibt in der Wissenschaft kein Perpetuum Mobile. Die einen Baustoffe geben am Ende des Lebenszyklus CO2 ab, die anderen setzen ihn in der Herstellung frei, dienen dann aber als CO2-Senke. Deshalb ist auch die Lebenszyklusbetrachtung so wichtig. Man darf hier nicht falsch bilanzieren. Der Atmosphäre ist es auch egal, woher das CO2 kommt. Natürlich muss fossiles CO2 vermieden werden, aber auch das biogene CO2 dürfen wir nicht außer Acht lassen. 

(+) plus: Wie neutral können Sie Ihre Professur anlegen, wenn eine Interessenvertretung wie der Fachverband Steine-Keramik der Stifter ist?

Passer: Unter dem Dach des Fachverbands Steine-Keramik sind weite Teile der österreichischen Baustoffindustrie vereint, von der Zementindustrie über Beton und Ziegel bis zu Dämmstoffen, Kunststoffen und Gips. Außerdem hat eine Stiftungsprofessur im Gegensatz zur Auftragsforschung eben keinen Auftrag. Das Geld wurde der TU Graz gestiftet und ich bin von Gesetzes wegen in der Lehre und Forschung frei. Das ist eine gute Möglichkeit, gemeinsam mit der Industrie Themen zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

(+) plus: Wo haben massive Baustoffe aus Ihrer Sicht die größten Vorteile?

Passer: Neben der Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit ist ein wesentlicher Aspekt sicherlich die Kreislauffähigkeit. Wir müssen lernen, mit den vorhanden Ressourcen besser umzugehen und die Wiederverwendbarkeit steigern. Da gibt es etwa im Straßenbau schon beachtliche Erfolge. Im Hochbau stehen wir immer noch vor der Herausforderung der sortenreinen Trennung. Es gibt aber bereits gute Ansätze zur Wiederverwendung ganzer Bauteile.

Massive Baustoffe sind in Österreich auch regional mehr als ausreichend verfügbar. Der nachhaltigste Baustoff nutzt wenig, wenn er um die halbe Welt transportiert wird. Das muss man mitbilanzieren.

Und gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel überzeugen massive Baustoffe mit ihrer Speichermasse und der thermischen Aktivierbarkeit. Bauteilaktivierung in Verbindung mit erneuerbaren Energien ist sowohl energetisch als auch exergetisch eine hervorragende Art, um eine Gebäude als Batterie zu verwenden. Massive Baustoffe können auch die Tag-Nacht-Schwankungen besser ausgleichen. 

(+) plus: Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Professur soll die Weiterentwicklung und praxisgerechte Aufbereitung der Ökobilanzierung sein. Wird diesem Aspekt derzeit noch zu wenig Beachtung geschenkt? Wenn ja, worauf führen Sie das zurück?

Passer: Aus meiner Sicht ja, weil es gesetzlich nicht vorgeschrieben und in den Leistungsbildern der Architekten und Planer nicht vorhanden ist. Das wird in einer Überarbeitung der Gebäudeenergierichtlinie jetzt aber auch verpflichtend vorgeschrieben. Leider erst ab 2027 und 2030. Aber zumindest kann man sich darauf jetzt schon vorbereiten. 

(+) plus: Wo liegen Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte?

Passer: Wir haben versucht, unsere Arbeit in zwei große Themenbereiche zu gliedern. Das eine ist die grundlagenorientierte Forschung. Da geht es um innovative Bewertungsmethoden und dynamische Modelle. Der zweite Bereich ist die anwendungsorientierte Forschung, wo wir anhand praktischer Beispiele zeigen, was Forschung alles möglich macht. Damit können wir auch die Sorge nehmen, dass Forschungsergebnisse gerade in der Baubranche zwar schöne Theorie, aber nichts für die Praxis sind. Die Baubranche gilt ja oft als innovationsträge. Das trifft aber eher auf das ausführende Gewerbe zu, die Baustoffindustrie ist sehr innovativ.

Die Stiftungsprofessur ist das ideale Instrument, um gemeinsam mit der Industrie in die Zukunft zu blicken, und zu zeigen, wohin die Reise gehen kann.

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