Mittwoch, November 20, 2024

Im Interview mit Report(+)PLUS spricht die Geschäftsführerin des Forum mineralische Rohstoffe, Petra Gradischnig, über Preissteigerungen, Versorgungssicherheit und das weitverbreitete Floriani-Prinzip. Außerdem stellt sie inhaltliche Schwerpunkte des Forums dar, darunter die Bewusstseinsbildung zur Notwendigkeit der Rohstoffgewinnung in der Bevölkerung. »Die Gesellschaft muss verstehen, wie wichtig regionale Gewinnung und Erzeugung von Rohstoffen ist«, sagt Gradischnig.

Titelbild: Petra Gradischnig, Geschäftsführerin des Forum mineralische Rohstoffe. (Credit: FV Steine-Keramik/ Lukas Lorenz)

(+) plus: Welchen Stellenwert, welche Bedeutung haben mineralische Rohstoffe für den Wirtschaftsstandort Österreich?

Petra Gradischnig: Mineralische Rohstoffe haben eine sehr große Bedeutung, denn sie sind eng mit der österreichischen Bauwirtschaft verknüpft. In Österreich leben derzeit rund 9 Mio. Einwohner, die jährlich etwa 100 Mio. Tonnen Sand, Kies und Schotter benötigen. Das sind pro Kopf und Tag rund 33 Kilogramm. Diese Rohstoffe werden u. a. für Hoch- und Tiefbau, Erhalt von Gebäuden, Verkehrswege, Kanalisation, Denkmäler, Schienenverkehr, Sportstätten und in der Landwirtschaft genutzt.

Auch Wohnraumschaffung ist ein Thema. Allein in Wien werden dieses Jahr knapp 20.000 Wohnungen fertiggestellt. Als Nahversorger unterstützen unsere Rohstoffe gewinnenden Unternehmen diese Projekte der heimischen Wirtschaft. Gerade in ländlichen Regionen, in denen Jobs Mangelware sind, sichert die Baurohstoffwirtschaft ca. 5.000 Arbeitsplätze. In der indirekt mit der Branche zusammenhängenden Bauwirtschaft sind dies dann über 150.000 Arbeitsplätze.

(+) plus: Nicht erst durch die aktuellen Krisen hat der sichere Zugang zu Rohstoffen eine hohe wirtschaftliche und strategische Bedeutung. Wie ist es um das mineralische Rohstoffvorkommen und die Versorgungssicherheit in Österreich bestellt?

Gradischnig: Wir haben in Österreich keine Ressourcenknappheit, sondern eine Genehmigungsknappheit. Österreich ist ein rohstoffreiches Land und die vor allem für die Bauwirtschaft wichtigen Vorkommen an Sand, Kies und Naturstein reichen noch für viele Jahrzehnte. Gänzlich unwahrscheinlich ist jedoch ein Versorgungsengpass dennoch nicht: Rohstoffe gewinnende Unternehmen sind zunehmend mit langjährigen, kostspieligen Verfahren konfrontiert, die aus unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen und Zuständigkeiten resultieren. Rohstoffunternehmen haben es immer schwerer, die vorhandenen Flächen für die Gewinnung zu sichern, um damit die für den Bau benötigten mineralischen Rohstoffe – in entsprechender Qualität und auf kurzem Weg – zu liefern.

(+) plus: Mineralische Rohstoffe sind weitgehend regionale Produkte. Inwieweit wirkt sich der Ukraine-Krieg auf die Branche aus. Mit welchen preislichen Entwicklungen ist zu rechnen?

Gradischnig: Unsere größte Herausforderung liegt aktuell in der steigenden Kostenstruktur. Nur durch ständige Innovationen und Optimierungen können wir einen geringen Teil davon abfedern, leider sind viele Faktoren von uns nicht beeinflussbar und führen zu einer Verteuerung. Darüber hinaus wirken sich aber auch langwierige Verfahren und die Gefahr, Rohstoffe nicht mehr in der Region für die Region gewinnen zu können, auf die preislichen Entwicklungen aus.

Die gesamte Branche fokussiert sich darauf, mineralische Baurohstoffe in der nahen Umgebung zu gewinnen, um diese den Menschen möglichst ohne langen Transport zur Verfügung zu stellen. Fakt ist, dass ein Transport von einem Großteil der Baurohstoffe wie Schüttmaterialien über 40 Kilometer nicht nur Bürger, Straßen und Umwelt belastet, sondern schlichtweg nicht wirtschaftlich ist, weil der Transport die Kosten des Rohstoffs überschreitet. Gerade auch die letzten zwei Jahre haben uns gezeigt, wie wichtig diese regionale Versorgung für unsere Gesellschaft ist. 

(+) plus: Trotz der großen Bedeutung mineralischer Rohstoffe zählen Rohstoffgewinnungsstätten nicht zu den beliebtesten Nachbarn. Fehlt der Bevölkerung das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Rohstoffe?

Gradischnig: Niemand wird beim Bau des eigenen Hauses oder bei Infrastrukturprojekten die Gewinnung von Rohstoffen grundsätzlich ablehnen – jedoch nur solange dieser Prozess nicht vor der eigenen Haustür stattfindet. Da Rohstoffe aber nur dort gewonnen werden können, wo sie vorkommen, kommt gerade der Sicherung der regionalen Rohstoffversorgung eine große Bedeutung zu. Das öffentliche Interesse steht über persönlichen Befindlichkeiten.

Bei nahezu allen Infrastrukturprojekten führen Gegner soziale, gesundheitliche oder ökologische Argumente ins Treffen. Oft geht es in der Argumentation aber nur um die Verlagerung des Problems. Denn bei vielen Projekten handeln die Menschen, wenn es um Veränderungen und Eingriffe in ihrer nahen Lebensumgebung geht, nach dem Floriani-Prinzip.

Ziel ist die Aufrechterhaltung bzw. Vergrößerung des ausschließlich eigenen Nutzens. Meist geschieht dies auf Kosten der Allgemeinheit. Entscheidend ist immer die persönliche Betroffenheit des Einzelnen. Subjektiv und menschlich gesehen durchaus nachvollziehbar, jedoch für die Wirtschaft und die Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards einfach keine objektive und planungssichere Basis.

(+) plus: Was können Unternehmen tun, um »bessere« Nachbarn zu werden?

Gradischnig: Aus unserer Sicht ist nach wie vor die Einbindung der Betroffenen und Kommunikation auf Augenhöhe das Mittel der Wahl. In unseren Gewinnungsbetrieben passiert unheimlich viel Positives. Das beginnt bei der Nutzung neuer Technologie, über innovative Transportmöglichkeiten bis hin zu Natur- und Artenschutzprojekten in den Unternehmen. Darüber müssen wir reden und auch den Nachbarn zeigen, was alles getan wird, um dieses Leben von der Natur auch mit der Natur in Einklang zu bringen.

Wir müssen uns aber auch mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung auseinandersetzen, um die zum Teil sehr komplexen Sachverhalte nachvollziehbar zu machen, die Betroffenen zu informieren und in das Projekt einzubeziehen. Nur durch faire Kommunikation und Kooperation kann die Akzeptanz für ein neues Projekt erhöht werden, aber vielleicht auch die Einsicht, dass private Einzelinteressen Grenzen haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse nicht immer berücksichtigt werden können.

Gerade weil wir der Meinung sind, dass Kommunikation der zentrale Punkt ist, vergeben wir dieses Jahr auch erstmals im Rahmen unserer Nachhaltigkeitspreise des Forums mineralische Rohstoffe einen Sonderpreis für Kommunikation.

(+) plus: Das Forum mineralische Rohstoffe ist eine Plattform freiwilliger Mitglieder in der Wirtschaftskammer Österreich, die die Interessen von derzeit 117 mineralische Rohstoffe gewinnenden Unternehmen vertritt. Was sind die wichtigsten Ziele des Forums mineralische Rohstoffe?

Gradischnig: Das Forum Rohstoffe verfolgt den Zweck, die gemeinsamen Interessen der österreichischen Sand, Kies und Naturstein abbauenden Unternehmen gegenüber der öffentlichen Hand, internationalen Organisationen und der Öffentlichkeit wahrzunehmen, zu koordinieren und zu vertreten und den Absatz der Produkte der Mitgliedsunternehmen zu fördern. Wir verstehen uns dabei als offene Kommunikationsplattform, die den Dialog mit allen Partnern der Rohstoffwirtschaft sucht. Zentral sind der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen zu Themen wie Rohstoffpolitik, Gewinnungstechnik, Produktion, Vertrieb, Recycling sowie der allgemeine Dialog mit der Umwelt, insbesondere der betroffenen Bevölkerung und den Anrainern.

Als Forum Rohstoffe haben wir schon früh erkannt, dass für die positive Weiterentwicklung der gesamten Branche, neben der Ausbildung von Arbeitskräften vor allem der Umgang mit der Umwelt als auch der Artenschutz ganz zentrale Themen sind. Seit unserem Bestehen arbeiten wir gemeinsam mit diversen Umweltschutzorganisationen am Erhalt der biologischen Vielfalt und an der Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. 

(+) plus: Welche konkreten inhaltlichen Schwerpunkte wird das Forum Rohstoffe kurz- und mittelfristig setzen?

Gradischnig: Die größten Herausforderungen in den kommenden Jahren bleiben die Versorgungssicherheit und der Lagerstättenschutz. In erster Linie betrifft dies sicher die raumordnerische Sicherung und auch die Frage der Entscheidungskompetenzen. Der zweite inhaltliche Schwerpunkt ist die Bewusstseinsbildung zur Notwendigkeit der Rohstoffgewinnung in der Bevölkerung. Die Gesellschaft muss verstehen, wie wichtig regionale Gewinnung und Erzeugung ist. Statt sie als Belastung zu sehen, sollen Hintergründe verstanden werden und Rohstoffgewinnung als Grundlage des Wohlstands einer Region wahrgenommen werden. Aber auch die Themen Kreislaufwirtschaft, Biodiversität sowie Aus- und Weiterbildung bleiben weit oben auf unserer Agenda. 

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