Sonntag, Dezember 22, 2024
Sprung in die Cloud

Europas größter Softwarehersteller SAP hat hohe Wachstumsambitionen. Doch die Konkurrenz schläft nicht: Viele Anbieter haben mit schlanken Strukturen aufgeholt. Die Zukunft liegt in der Cloud, soweit sind sich alle einig – die Kunden müssen noch überzeugt werden. 

Alles begann Anfang der 70er-Jahre mit ERP. Hinter dem Kürzel verbirgt sich »Enterprise Resource Planning« – eine Software, die alle Kernprozesse zur Steuerung betrieblicher Abläufe umfasst. Die Gründer des deutschen Unternehmens SAP erkannten das Potenzial und schickten sich an, mit ihrem ERP-System von Walldorf in Baden-Württemberg ausgehend die Welt zu erobern. Bis heute ist ERP das Hauptprodukt des Konzerns, inzwischen in der vierten Generation in der Version SAP S/4HANA, die durch eine ganze Reihe spezialisierter Softwarepakete ergänzt wird. 

SAP schaffte es über Jahrzehnte, sich in der schnelllebigen IT-Branche zu behaupten, und drückte unzähligen Unternehmen ihren Stempel auf. Heute dreht sich das Business noch rascher. Künstliche Intelligenz und Algorithmen, die riesige Datenmengen in kürzester Zeit analysieren und daraus Entscheidungen ableiten können, bestimmen künftig die Schlagzahl.

Mit der im Vorjahr gestarteten Cloud-Strategie »Rise with SAP« verfolgt der deutsche Softwarekonzern sehr ambitionierte Wachstumsziele. Die Sparte soll schon heuer um rund ein Viertel zulegen und bis 2025 einen Umsatzsprung auf mehr als 22 Milliarden Euro einbringen. 2021 überraschte SAP mit einem starken Betriebsergebnis von 8,4 Milliarden Euro (Gesamtumsatz: 27,84 Mrd. Euro), nachdem die Gewinnprognose zuvor bereits mehrmals angehoben worden war. Statt das IT-Herzstück im Unternehmen on-premise zu haben, werden nun Standardlösungen als Software-as-a-Service in der Cloud angeboten.



Software im Abo übers Netz – das kommt einem Paradigmenwechsel gleich und stößt viele, langjährige SAP-Kunden vor den Kopf. Entsprechend groß ist die Skepsis. Neben neuen Features für das Monitoring und Reporting von Geschäftsprozessen soll das Cloud-Modell vor allem als Lösung aus einer Hand überzeugen. Besonderes Zuckerl: Mit dem regelmäßig aktualisierten Servicepaket stehen neue Funktionen automatisch als Updates in der Cloud zur Verfügung. Die kontinuierliche Teilhabe an Innovationen könnte angesichts erheblich kürzerer Entwicklungszyklen tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg sein, denn nach zehn Jahren sieht so manche Software recht alt aus. Auch das Thema Nachhaltigkeit – Stichwort »Green IT« - gewinnt zunehmend an Bedeutung. 

Individualisierung als Bremsklotz

SAP strebt die Technologieführerschaft im Cloud Computing an. Doch Mitbewerber wie Oracle, Salesforce, Workday oder UiPath haben nicht geschlafen und mit schlanken Strukturen, flexiblen Anwendungen und ansprechenden Benutzeroberflächen aufgeholt. Wenn es um die detaillierte Abbildung betriebswirtschaftlicher End-to-End-Prozesse in Echtzeit geht, hat SAP noch immer die Nase vorn.

Die Positionierung von SAP als offenes System, an das unterschiedliche Erweiterungen andocken konnten, erweist sich nun jedoch als Bremsklotz: In vielen Unternehmen ist im Laufe der Jahre um den ERP-Kern eine heterogene IT-Landschaft aus Systemen verschiedenster Anbieter gewachsen. Diesen Wildwuchs zu harmonisieren und Schnittstellen zu schaffen, um reibungslose Abläufe zu ermöglichen, ist inzwischen tägliches Geschäft der IT-Dienstleister. Die Migration zu S/4HANA gestaltet sich nicht zuletzt aufgrund des hohen Individualisierungsgrads oftmals schwierig und ist mit großem Aufwand verbunden. Auch den Weg in die digitale Transformation haben manche Unternehmen bereits auf eigene Faust begonnen. Hier stellt SAP jetzt den Fuß in die Tür und verspricht mit der intelligenten Plattform eine einheitliche Lösung für alle Unternehmensbereiche.

Public Cloud bedeutet jedoch nicht bloß Software-as-a-Service mit Adaptionsmöglichkeiten, sondern einen generellen Wechsel zu standardisierten Angeboten. SAP-Anwender müssen sich von ihren individuellen Lösungen verabschieden. Das erfordert auch andere Skills in der Beratung. Das Wiener Softwarehaus Phoron Consulting hat mit Phoron Cloud eine eigenes Tochterunternehmen gegründet, um die Cloud-Strategie proaktiv voranzutreiben. »Wir sind sehr früh auf den Cloud-Zug aufgesprungen«, bestätigt Phoron-Geschäftsführer Friedrich Lammer.

»Man muss Kunden dazu bringen, Standardsoftware anzunehmen – und zwar nicht als Entwicklungsplattform, um darauf eine eigene Welt zu bauen. Wir haben Mitarbeiter*innen, die genau dafür affin sind, um den Marktauftritt entsprechend forcieren zu können.« Lammer ortet eine Rückbesinnung in der Branche: »Individualisierung ja, aber nur dort, wo sie unbedingt notwendig ist. Das ist ein Mind Change im Business.«



Friedrich Lammer, Phoron: »Individualisierung ja, aber nur dort, wo sie unbedingt notwendig ist. Das ist ein Mind Change im Business.«

Potenzial durch Monitoring

Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass die kommenden zehn Jahre mehr technologischen Fortschritt bringen werden als das gesamte letzte Jahrhundert. Effizientes Prozessmanagement ist für Unternehmen der entscheidende Faktor, um im Wettbewerb bestehen zu können. Ob Lockdowns, Rohstoffengpässe, stockende Lieferketten – die letzten beiden Jahre überstanden jene Unternehmen am besten, die ihre Abläufe rasch an die veränderten Marktanforderungen und Kundenbedürfnisse anpassen konnten.

Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen, die wiederkehrende Prozesse noch nicht automatisiert haben, profitieren von der digitalen Transformation ungleich mehr. Falsch ausgeführte Kundenaufträge, liegengebliebene Reklamationen oder zu spät bezahlte Rechnungen verursachen nicht nur zusätzliche Kosten, sondern beeinträchtigen auch die Beziehung zu Kunden und Lieferanten. Dem Aufwand für die Transformation steht eine erhebliche Verbesserung der Prozesseffizienz und Qualität gegenüber, die auch für KMU relevant ist. Das Monitoring geschäftskritischer Daten ermöglicht zudem, klare Ziele zu definieren und konsequent anzupeilen.



Hürden der Transformation. Die Mehrheit der SAP-Anwender beurteilt S/4HANA positiv, auch wenn die Umsetzung bisweilen stockt. Die USA und deutschsprachige Länder kämpfen mit ähnlichen Problemen.

Bei Unternehmen, die digital bereits gut aufgestellt sind, ist es ratsam, die Anforderungen einer genauen Überprüfung zu unterziehen, zumal allein die Überlegung, das gesamte IT-System komplett zu erneuern, in der Regel veritable Albträume auslöst. Allerdings bietet sich Organisationen mit sehr heterogenen Strukturen die einmalige Chance, mit der Transformation in die Cloud gleich auch eine Harmonisierung vorzunehmen.

Die IT in Unternehmen hat durch die intelligenten Steuerungsmechanismen eine Aufwertung erfahren und ist heute deutlich stärker in strategische Entscheidungen eingebunden. Da die Auswahl des Betriebssystems bei Cloud-Systemen de facto wegfällt, liegt der Fokus auf passenden Applikationen. »Im Zuge der Umstellung auf S/4HANA führen unsere Kunden häufig einen Relaunch der Formulare durch, auch die Datenbeschaffung wird besser strukturiert. Wir legen Wert auf Wiederverwendbarkeit sowie eine möglichst hohe und einfache Wartbarkeit«, erklärt Markus Gösweiner, Geschäftsführer des auf SAP-Output spezialisierten Unternehmens client4u mit Standorten in Linz, Dornbirn, Graz und Windischgarsten.



Markus Gösweiner, client4u: »Wir legen Wert auf Wiederverwendbarkeit sowie möglichst hohe und einfache Wartbarkeit.«

Zu den langfristig betreuten Kunden von client4u zählen zahlreiche österreichische Energieversorger, die aktuell z.B. beim Thema Energiekostenausgleich unterstützt werden. Für einen Kärntner Energieversorger implementierte client4u im Vorjahr »ein hochdynamisches Rechnungsformular«, so Gösweiner, »das sämtliche Steuerungsmöglichkeiten über das Customizing bietet«. 

Blick in die Zukunft

»ERP-Systeme bleiben wichtig«, ist Noëmi Schmutzer, Managing Director CFO & Enterprise Value bei Accenture, überzeugt. Diese werden jedoch »schlanker« und durch spezifische Satellit-Plattformen ergänzt, die für diese Themen eine eigenständige Geschwindigkeit und Spezifizierung mitbringen, z. B. in den Bereichen Finanzen, Einkauf und Personal oder in Disziplinen wie Prozessmanagement, Automatisierung und Orchestrierung. Generell nehme die Bedeutung von Daten und Analysen zu, meint die Accenture-Expertin: »Plattformen, die interne und externe Datenquellen intelligent verknüpfen und damit differenzierende Insights generieren, sind stark im Kommen.«

Neben dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, etwa bei der prediktiven Analyse, zeichnet sich im Bereich der integrierten Planung ein weiterer Trend ab, so Schmutzer: »Planungssoftware, die in der Lage ist, die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg intelligent zu verknüpfen und den Planungsprozess zu integrieren und zu vereinfachen, gehört die Zukunft.«



Noëmi Schmutzer, Accenture: »Plattformen, die interne und externe Datenquellen verknüpfen, sind stark im Kommen.«

Die Anbindung von Data Analytics oder künstlicher Intelligenz bildet die Basis für ein völlig neugestaltetes Ökosystem. Prozesse aufzuräumen, um sie optimieren und standardisieren zu können – daran führt kein Weg vorbei, auch wenn viele Unternehmen dieses aufwendige, manchmal auch schmerzhafte, Unterfangen so lange wie möglich aufschieben. Es lohnt sich jedoch, über ERP hinaus einen Blick auf die Kunden- und Produktionsprozesse zu werfen. Hier liegt der Mehrwert für den Geschäftserfolg. Mittels Process Mining werden oftmals Schwachstellen offengelegt, die bislang unentdeckt blieben.

Insofern ist die Transformation kein reines IT-Projekt, sondern eine strategische Richtungsentscheidung für die Zukunft. Dafür braucht es Berater*innen, die das Unternehmen, die Prozesse, aber auch IT verstehen. Doch nicht nur bei den Systemen, auch am Beratermarkt selbst kündigt sich ein Wandel an. Der heimische SAP-Markt ist »alt« – in Österreich siedelte SAP 1986 nach der Schweiz die zweite Auslandstochter an. »Die meisten der heute tätigen Beratungs-unternehmen wurden Ende der 90er-Jahre von jungen Leuten gegründet und stehen vor einem Generationenwechsel«, sagt Phoron-Chef Lammer, der in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine massive Marktkonsolidierung erwartet: »International agierende Berater werden letztlich den Ton angeben.«

Ein interessantes Interview zum Thema mit Iris Konrad, Vice President SAP Transformation bei Capgemini Austria, finden Sie unter folgendem Link: Die IT ist der zentrale Treiber der Wertschöpfung - Interview.


Vier Säulen eines intelligenten Unternehmens

1. Resilienz: Märkte können sich über Nacht verändern. Intelligente Unternehmen sind in der Lage, den Herausforderungen eines volatilen Marktes standzuhalten. Mit Hilfe intelligent verknüpfter Daten können sie Risiken frühzeitig erkennen und auf Veränderungen schnell reagieren. Dank ihrer Analysetools bekommen Entscheidungsträger*innen die für sie relevanten Informationen nahezu in Echtzeit, um fundierte Anpassungen umzusetzen.

2. Rentabilität: Die Sammlung und smarte Vernetzung von Daten schafft jederzeit Transparenz über sämtliche Geschäftsprozesse. Optimierungs- und Einsparpotenziale werden offengelegt, sodass Finanzverantwortliche Ausgaben kontrollieren und gezielt steuern können. Fehler werden aufgedeckt, bevor sie passieren und die Compliance wird erhöht. Zudem setzen Intelligent Enterprises auf die Automatisierung manueller Aufgaben.

3. Employee Experience: Werden alltägliche, nicht wertschöpfende Prozesse, wie z. B. administrative Aufgaben, automatisiert, erhöht sich nicht nur die Produktivität sondern auch die Mitarbeiter*innenzufriedenheit deutlich. Denn die smarten, benutzerfreundlichen Tools erleichtern und beschleunigen die Arbeit. Mitarbeiter*innen bleibt mehr Zeit für die wichtigen Aufgaben und es werden kreative Freiräume geschaffen.

4. Nachhaltigkeit: Intelligente Unternehmen setzen auf Digitalisierung – der Papierkrieg ist hier längst gewonnen. Wer nachhaltiger wirtschaften möchte, muss aber auch vom CO2-Fußabdruck bis zum Ressourcenverbrauch seine Umweltbelastung messen und im Blick behalten. Nur so können Prozesse aktiv gesteuert und hin zu mehr Nachhaltigkeit optimiert werden. 

Quelle: SAP Concur

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