Mittwoch, November 20, 2024
Vertrauenskultur ohne Kontrolle

Die Pandemie hat nicht nur Arbeitsstrukturen geändert, sie stellt auch Führungskräfte vor neue Anforderungen. Im Leadership sind nun Vertrauen und Sicherheit gefragt.

Eine der großen Überraschungen, die Corona uns bescherte, war zweifellos die rasche Umstellung auf Remote Work. So manches Unternehmen hatte sich früher beharrlich geweigert, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die technischen Voraussetzungen gab es längst – die für die Umsetzung nötigen Investitionen wurden vielfach freilich erst getätigt, als dem Business im ersten Lockdown völliger Stillstand drohte. 

Die Befürchtung, das unbeaufsichtigte Werken zu Hause könnte sich negativ auf die Arbeitsmoral auswirken, erwies sich als haltlos. In einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gaben 60 Prozent der befragten Betriebe an, ihnen seien keine Produktivitätsprobleme entstanden. 22 Prozent verzeichneten sogar eine positive Entwicklung. 

Auch die Mehrzahl der Beschäftigten fand – von etwaigen technischen und räumlichen Unzulänglichkeiten oder Betreuungspflichten abgesehen – an der neuen Arbeitsweise Gefallen. Der Spielraum, wann und wo Aufgaben erledigt werden können, und ein größeres Maß an Eigenverantwortung fördern nachweislich die Motivation und führen zu höherer Zufriedenheit. 

Die unterschiedlichen Einschätzungen spalten die Arbeitswelt. Ein Patentrezept gibt es tatsächlich nicht. Bereits vor der Coronapandemie gab der Stanford-Ökonom Nicholas Bloom »Drei Tage Büro – zwei Tage Homeoffice« als Erfolgsformel aus. »Die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen sind viel komplexer und jedes Versäumnis, diese Tatsache präzise zu bewerten und darauf zu reagieren, stellt ein ernsthaftes Risiko für Unternehmen dar«, betont Roman Oberauer, Vice President Go to Market & Innovation bei NTT Ltd. In Österreich. »Wir haben festgestellt, dass die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und die Pendelzeiten die beiden wichtigsten Entscheidungskriterien für die Wahl eines Arbeitsplatzes sind.« Zudem hat sich in Unternehmen, die gemeinsam mit der Belegschaft entwickelte Arbeitsmodelle anwenden, die Arbeitszufriedenheit verdoppelt.



Roman Oberauer, NTT: »Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und die Pendelzeiten sind die wichtigsten Kriterien für den Arbeitsplatz.«


Kommunikation beeinträchtigt

Nicht alle Führungskräfte kommen mit den Veränderungen zurecht: für sie kam die verstärkte Verlagerung ins Homeoffice einem Kontrollverlust gleich. Auch wenn bald nach der gelungenen Feuertaufe im Frühjahr 2020 die Prämisse »Gekommen, um zu bleiben« die Runde machte, wächst in einigen Unternehmen der Wunsch, die Belegschaft wieder ganz ins Haus zu holen. 

Das anfängliche Misstrauen dürfte zwar weitgehend ausgeräumt sein, ganz so flüssig läuft die Abstimmung unter den zwischen Heim und Büro wechselnden Mitarbeiter*innen nämlich nicht. In der IAB-Studie berichteten 70 Prozent der Großbetriebe (250 oder mehr Beschäftigte), das Arbeiten im Homeoffice habe die innerbetriebliche Kommunikation beeinträchtigt. »Betriebe schätzen die persönliche Interaktionen vor Ort als wichtigen Bestandteil der Arbeit, diese lässt sich nicht eins zu eins durch virtuelle Kommunikation ersetzen, vor allem bei neu eingestellten Beschäftigten«, sagt IAB-Direktor Bernd Fitzenberger. Möglicherweise gestaltet sich die Kommunikation in größeren Unternehmen auch schwieriger, weil mehrere Betriebsteile koordiniert und mehr Personen zusammengebracht werden müssen. 

Der Studie des Capgemini Research Institute »Relearning Leadership« zufolge sind 69 Prozent der Führungskräfte überzeugt, ihr Unternehmen habe den Übergang zu Remote- und Hybrid-Arbeitsplätzen reibungslos bewältigt – dem stimmt jedoch nur knapp die Hälfte der Beschäftigten zu. »Während die Technologie die rasche Einführung des hybriden Arbeitens erleichtert hat, haben die Management- und Führungspraktiken in vielen Fällen nicht Schritt gehalten«, erklärt Christoph Holper, Head of Workforce & Organization bei Capgemini Invent Österreich.



Christoph Holper, Capgemini: »Unternehmen müssen ihre Führungskräfte befähigen, empathisch, authentisch und glaubwürdig zu sein.«

»Sie müssen in den Aufbau der notwendigen Infrastruktur für die Entwicklung von Führungskräften investieren sowie die erforderlichen Rahmenbedingungen wie Steuerungsprozesse, Managementpraktiken und -richtlinien zur Unterstützung des erforderlichen Führungsverhaltens schaffen.« 

Eine Vertrauenskultur, in der sich die Mitarbeiter*innen gestärkt fühlen, lässt sich jedoch nicht über Nacht schaffen. Auf Distanz zu führen, erfordert eine Abkehr von klassischen Managementmethoden. Dazu kommt, dass Führungskräfte, die in diesen volatilen Zeiten Stabilität und Stärke vermitteln wollen, selbst verunsichert sind. Unternehmensberater*innen berichten von einem regelrechten Ansturm in den vergangenen Monaten, entsprechende Beratungsangebote auf Onlineplattformen boomen. 


Kreativer Hub 

»Führungskräfte sind in der Pandemie doppelt gefordert. Einerseits sind sie ein wesentlicher Faktor, um Mitarbeiter*innen Sicherheit zu geben – insbesondere durch klare Kommunikation von Zielen und Abläufen. Strukturiertes Vorgehen schafft Sicherheit im Alltag, der ohnedies durch die Pandemie von Unsicherheit geprägt ist«, bestätigt Harald Gorucan, Personalchef der Saubermacher Dienstleistungs AG und Vortragender im Masterlehrgang »Human Resource Management« an der Uni Graz.

Was zuvor unbewusst in der persönlichen Interaktion vermittelt wurde, muss jetzt aktiv kommuniziert werden. Die wichtigste Signalwirkung geht dabei von den Führungskräften aus. Von ihnen wird erwartet, dass sie ihre Teams anleiten und inspirieren, indem sie Eigenschaften wie Authentizität und emotionale Intelligenz leben und die erforderliche Autonomie gewähren. Im täglichen Business bleibt dieses Vorhaben oftmals auf der Strecke. Nur 37 Prozent der Mitarbeiter*innen in nicht-leitenden Funktionen geben an, zu eigenen Entscheidungen ermutigt zu werden. Obwohl das körperliche und mentale Wohlbefinden durch die Pandemie stärker in den Fokus rückte, fühlt sich diesbezüglich nur knapp die Hälfte der Beschäftigten wahrgenommen. 


»Ein Job, der glücklich macht« steht auf der Wunschliste der befragten Arbeitnehmer*innen an erster Stelle – ob im Büro oder Homeoffice ist egal.

Vielleicht ist die Diskrepanz, welche Arbeitsform nun das Modell der Zukunft sein soll, auch viel einfacher zu lösen. Wie das XING-Stimmungsbarometer zum Jahreswechsel zeigte, hat die Option einer Viertagewoche das leidige Thema Homeoffice bereits abgelöst. »Menschen suchen nach Tätigkeiten und einem Umfeld, in dem sie ganz sie selbst sein und sich verwirklichen können. Die Sinnfrage wird immer häufiger gestellt«, sagt Sandra Bascha, Sprecherin von XING Österreich.

Büroflächen könnten sich künftig zu einem Hub für Innovation und Kreativität entwickeln, Raum für ruhiges und konzentriertes Arbeiten bieten oder auch eine willkommene Abwechslung zum einsamen Homeoffice sein. Auf der Wunschliste der meisten Arbeitnehmer*innen steht nämlich ganz oben: ein Job, der glücklich macht.


Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte in unsicheren Zeiten?



Manuela Lindlbauer
, Geschäftsführerin der Lindlpower Personalmanagement, LP Experts und LP Digital

»Wir alle wissen inzwischen: Ohne Hybrid Work, Flexibilität und Transparenz geht es nicht mehr. Der wirkliche Erfolgsfaktor und Game Changer sind jedoch die Führungskräfte. Ihnen wird aktuell viel abverlangt. Führungskräfte haben in diesen turbulenten Zeiten eine hohe Verantwortung. Die Führungskraft wird zum Kulturträger und hat die Aufgabe all die unterschiedlichen Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Mitarbeiter*innen professionell zu bedienen. Empathie, Klarheit, Einfühlungsvermögen und Sicherheit sind das ›Must have‹. Nebenbei müssen natürlich auch die Unternehmensziele erreicht werden. Wir wissen: Mitarbeiter*innen kommen wegen des Unternehmens bzw. der Marke und gehen wegen der Führungskraft.«




Lothar Wenzl, Berater und Geschäftsführer der Unternehmensberatung trainconsulting

»Führungskräfte brauchen die Haltung, Unsicherheit und Unwissen als Ressource für Veränderung zu begreifen, sowie die Fähigkeit, Dialoge über oft schwierige, uneindeutige Themen zu gestalten. Ihre Aufgabe ist dabei weniger im System, sondern am System zu arbeiten, also die Rahmenbedingungen zu gestalten, in denen Menschen möglichst gut und verantwortlich arbeiten können. Dafür ist ein profundes Verständnis von Organisationen als lebende Systeme notwendig – als Systeme, die sich stetig verändern, die Widersprüche, widerstreitende Themen und Strömungen als Produktivfaktor und nicht als Störung begreifen. Systemisches Denken hilft dabei.«

Susanne Kolbesen, Parterin bei chvalina & kolbesen 2blickwinkel.

»Ein guter Umgang mit Unsicherheit gehört zu den wichtigsten Kompetenzen für Führungskräfte in einer sich ständig verändernden Welt mit täglich neuen Herausforderungen. Hier braucht es vor allem Entscheidungskraft, Flexibilität, kreatives Denken und Resilienz. Ebenso wichtige Kompetenzen sind Empathie und Kommunikationsstärke. Eine enge, authentische Kommunikation ist essenziell, um die Mitarbeiter*innen bei Entscheidungen, die oft sehr rasch gefällt werden müssen, mitzunehmen.«


Martin Mayer, Managing Partner von Iventa. The Human Management Group

»Eines ist klar in diesen bewegten Zeiten: Die Skills der Führungskräfte werden sich ändern müssen. Bisherige Methoden müssen hinterfragt werden, um als Unternehmen zukunftsfähig zu bleiben. Mittels ›Fahren auf Sicht‹ – durch Planung kürzerer Intervalle – behalten sie ihre Flexibilität. Zudem übernehmen Führungskräfte immer mehr die Rolle von Sinnstiftenden und Zuhörenden: Denn nur wer richtig zuhört und die gemeinsame Richtung klar vorgibt, signalisiert Bedeutung, Orientierung und Sicherheit.«

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