In vielen Unternehmen bleibt neben dem Tagesgeschäft kaum Zeit für die Entwicklung von Innovationen. Die Zusammenarbeit mit Start-ups kann den steinigen Weg abkürzen. Das gelingt aber nur, wenn sie auf Augenhöhe stattfindet.
Beim Einsatz neuer Technologien spielt der Zeitpunkt eine entscheidende Rolle. Das Business wird immer schnelllebiger, die Entwicklungszyklen kürzer. Um im Wettbewerb am Ball zu bleiben, müssen Unternehmen wissen, was die Zukunft bringt.
Sind Konzerne meist zu behäbig, hapert es bei mittelständischen Betrieben oft an der nötigen Offenheit. Start-ups sind aufgrund ihrer Größe und Struktur wendiger als etablierte Unternehmen. Ideen werden rasch ausprobiert, wieder verworfen oder weiter gesponnen.
Zudem haben die meist jungen Unternehmer*innen einen unkonventionellen Blick und Spürsinn für Produkte und Dienstleistungen, die der Markt braucht. Ihnen fehlt aber oft das nötige Know-how und Kapital, um Prototypen zu testen und vielversprechende Ansätze zur Marktreife zu bringen – das ist jener Punkt, an dem sich die Interessen der beiden potenziellen Partner treffen.
Die kulturellen Unterschiede können jedoch den Erfolg einer Kooperation untergraben. Ebenso wichtig wie wirtschaftliche Synergien ist deshalb die sprichwörtliche »Chemie« zwischen den Partnern. Eine vertrauensvolle Basis kann nur dann entstehen, wenn ohne Vorbehalte und auf Augenhöhe kommuniziert wird.
Mit der Initiative »inno-up« will die Wirtschaftskammer Österreich vor allem für KMU die Beziehungsanbahnung erleichtern. Unternehmen können ihr Innovationsvorhaben für das Matching nominieren, im Rahmen von fünf Challenges werden passende Start-ups gesucht.
Den umgekehrten Weg geht das vom Verbund initiierte Programm »Verbund X Accelerator«, das sich als Ziel gesetzt hat, innovative Lösungen für Energie und Infrastruktur der Zukunft zu entwickeln. Rund 400 Start-ups und Tech Champions aus mehr als 45 Ländern bewarben sich heuer für einen der begehrten Plätze im Innovation Camp im Oktober. Neben dem Verbund strecken auch andere namhafte Unternehmen wie Andritz, Asfinag, OMV oder voestalpine ihre Fühler nach möglichen Partnern aus.
Unter Zugzwang
Einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom zufolge hat Corona die Zusammenarbeit zunächst eingebremst. Nur 76 Prozent der 200 deutschen Start-ups, die befragt wurden, gingen im Vorjahr Kooperationen mit der »Old Economy« ein. Vor der Pandemie brachten sich rund 90 Prozent der jungen Unternehmen mit der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen oder fachlicher und technologischer Expertise ein. »Kooperationen wurden während Corona vernachlässigt – von beiden Seiten«, kritisiert Bitkom-Präsident Achim Berg. »Dabei gilt es, gerade in Krisenzeiten zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen.«
Während die Mehrheit der befragten Start-ups positive Erfahrungen machte, berichtet jedes Vierte, arrogant behandelt worden zu sein. 27 Prozent sind der Meinung, die etablierten Unternehmen würden mehr profitieren als sie selbst. Fast zwei Drittel erlebten die Prozesse in den Unternehmen als sehr aufwändig und langsam. »Die Zusammenarbeit muss auf Augenhöhe stattfinden«, plädiert Berg dafür, »die eigenen Schwächen und Stärken des Partners zu erkennen und anzunehmen«.
Durch die Pandemie in puncto Digitalisierung in Zugzwang gekommen, könnten Unternehmen nun stärker als bisher auf Kooperationen mit Start-ups setzen. Der deutschen Drogeriekette Müller gelang durch die Partnerschaft mit dem E-Commerce-Start-up Niceshops aus Paldau gerade noch rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft 2020 der Sprung auf den digitalen Zug.
Der steirische »Mister Amazon«, Roland Fink, stellte in wenigen Monaten einen Online-Shop samt digitaler Kundenkarte und Click-and-Collect-Abholung auf die Beine. »Von Anfang an herrschte gegenseitiger Respekt zwischen uns«, berichtet Niceshops-Gründer Fink vom ersten Treffen mit Eigentümer Erwin Müller. Das Ulmer Familienunternehmen hatte die digitale Transformation gründlich verschlafen.
Roland Fink, Niceshops, baute für Müller-Drogerie den Online-Shop auf: »Von Anfang an herrschte gegenseitiger Respekt zwischen uns.«
»Die Covid-19-Krise mit ihren plötzlichen und drastischen Auswirkungen auf das Verbraucher*innenverhalten ändert das Geschäftsumfeld für viele etablierte Unternehmen grundlegend. Diese neue Situation erhöht die Bedeutung von Partnerschaften, da Corporates Zugang zu schnellen Innovationen und Start-ups Zugang zu Wachstum benötigen«, sagt Karel Dörner, Seniorpartner im Münchner Büro der Unternehmensberatung McKinsey.
In der Zusammenarbeit wird aber noch viel Potenzial verschenkt. McKinsey hat die größten Stolpersteine identifiziert: Während Start-ups mangelnde Geschwindigkeit, fehlende Abstimmung der Zeitpläne und Zielvorgaben sowie intransparente Entscheidungsprozesse beklagen, empfinden Verantwortliche auf Corporate-Seite die kulturellen und technologischen Unstimmigkeiten und den hohen Verwaltungsaufwand als herausfordernd, zumal die positiven Effekte oftmals hinter den Erwartungen zurückblieben.
Allerdings sollte man auch keine Luftschlösser bauen. Angesichts knapper Ressourcen von Zeit und Kapital müssen sich Unternehmen auf wirklich wertschöpfende Projekte konzentrieren. Was keinen Mehrwert bringt, sollte gestrichen werden – Projekte, die keinen der Partner zufriedenstellen, haben keine Zukunft.
Innovationstreiber
Wie die Zusammenarbeit zwischen Industrieunternehmen und Start-ups funktionieren kann, war Thema bei den »Executive Innovation Talks«, die Ende September im Unicorn Graz stattfanden. Alfred Friedacher, Head of Research & Development bei Christof Industries, verwies auf die wichtige Rolle von Innovationskatalysatoren wie Techhouse, die bei der Kooperation unterstützen und eine Win-win-Situation schaffen:
»Ein Beispiel für einen echten Mehrwert aus der internationalen Kollaboration ist die Geschwindigkeit, mit der wir neue Produkte und Services in den Markt bringen können.« Der steirische Anlagenbauer entwickelte gemeinsam mit den KI-Experten des Münchner Start-ups Unetiq einen datengetriebenen »Green House Gas Calculator«.
Alfred Friedacher, Christof Industries: »Ein echter Mehrwert ist die Geschwindigkeit, mit der wir neue Produkte in den Markt bringen.«
Eine Erfolgsgeschichte ist auch die Kooperation der A1 Telekom Austria mit dem Start-up Invenium, das als Spin-off des Grazer Know-Centers und der TU Graz entstand. A1 unterstützte das junge Unternehmen seit 2017 durch die Bereitstellung von Know-how und Infrastruktur. Anfang 2021 übernahm A1 im Rahmen eines strategischen Investments die Mehrheit an Invenium und baute damit den Bereich der Bewegungsdaten-Analysen aus.
»Das Produkt ›A1 Mobility Insights‹ hat sich bereits bei der Coronakrisenbewältigung als hilfreich erwiesen und kann sich nun im Wettbewerb mit den weltweit größten Anbietern behaupten. Damit ist diese Kooperation auch ein Erfolgsbeispiel für den wichtigen Aufbau einer europäischen Datenökonomie«, erklärt Thomas Arnoldner, CEO der A1 Group.
Invenium-Gründer Michael Cik bleibt an Bord: »Mit der Analyse von Bewegungsdaten haben wir frühzeitig einen ›Need‹ erkannt. Das noch engere Zusammenrücken der beiden Unternehmen gibt uns die Möglichkeit, noch größer zu denken und technologische sowie organisatorische Entwicklungen auch international noch effizienter durchzuführen.«
Wie Partnerschaften funktionieren
Offenheit:
➝ Kooperationen als strategische Option betrachten
➝ Innovationsförderung durch Erprobung neuer Herangehensweisen
➝ Gemeinsame und ausbalancierte Förderung von Strukturen und Prozessen
➝ Tradierte Werte und neuartige Denkweisen ergänzen
➝ Offenheit und Fokussierung auf gemeinsame Zielerreichung
Aktivitäten:
➝ Offenes Mindset und proaktives Verhalten in der Findungsphase
➝ Präsenz gegenüber potenziellen Kooperationspartnern zeigen
➝ Nutzung diverser Kanäle zur Partnerfindung
➝ Digitale Plattformen als Katalysator für Kooperationsvorhaben
Zusammenarbeit:
➝ Begegnung auf Augenhöhe bei der Verfolgung komplementärer Ziele
➝ Wahrung der gegenseitigen Autonomie beider Partner
➝ Entwicklung konkreter Lösungen mit Projektmanagement-Methoden, um die Gleichstellung innerhalb der Kooperation zu gewährleisten
➝ Vertrauen aufbauen durch transparenten Austausch und zweckorientierte Kommunikation
Transparenz:
➝ Funktionierendes Monitoring und Kooperationsmanagement integrieren
➝ Ausstiegs- und Beendigungsszenarien im Vorfeld festlegen
➝ Kulturelle Unterschiede akzeptieren
Quelle: Wolfgang Becker (Hg.): Kooperationen zwischen Mittelstand und Start-up-Unternehmen. Springer Verlag 2018