Unternehmertum hat in Österreich viel Potenzial, werde aber von der Bürokratie oft ausgebremst, sagt Peter Lieber, Präsident des Österreichischen Gewerbevereins (ÖGV), im Report(+)PLUS-Interview. Nachhaltigkeit könnte der Gamechanger für Unternehmen werden.
(+) plus: Was hat sich in den letzten 25 Jahren in Österreich für das Unternehmertum verändert?
Peter Lieber: In Österreich gilt noch immer der Dreisatz »Ja«, »Nein« und »Schau ma amal«. Unternehmer*innen gehen also meist sehr blauäugig an die Gründung heran. Das ist auch der Grund, weshalb Betriebe oft die ersten drei Jahre nicht überleben. Es gibt in Österreich inzwischen eine sehr großzügige Förderlandschaft. Wir sind jetzt 25 Jahre EU-Mitglied, dadurch ergeben sich auch international viele Möglichkeiten.
Wenn man die Konkursordnung durchliest – das ist ja ein ganz ansehnlicher Schmöker –, sieht man erst, wofür Geschäftsführer*innen persönlich haften und verantwortlich sind, obwohl sie darauf nur wenig oder keinen Einfluss haben. Diesbezüglich hat sich leider wenig verändert.
(+) plus: Welche Veränderungen wünschen Sie sich?
Lieber: Eines unserer großen Anliegen ist Bürokratieabbau. Beim Gründerservice gibt es inzwischen einen One-Stop-Service für die Unternehmensgründung – so etwas würden wir uns für die laufende Geschäftsgebahrung wünschen. Laut einer Studie fließen 20 Prozent der Lohnkosten in Bürokratie. Dieses Geld könnte man besser in produktive Arbeit investieren. Manche Gesetze reichen ja bis in die Zeit von Maria Theresia zurück. Bei der letzten Reform der Gewerbeordnung wollte man einzelne Gewerbe abschaffen – danach gab es zwei mehr. Alle haben sich gefreut, weil der Hufschmied gerettet wurde.
Die türkis-blaue Regierung hat einen Teil des Gesetzesbuches ausgemistet, tatsächlich aber nur »totes Recht«, also Regelungen, die nicht mehr zur Anwendung kommen. Es gibt im Arbeitsrecht mehr als 1.200 Paragrafen. Welcher Unternehmer kennt die? Eigentlich steht man ständig mit einem Fuß im Kriminal, manche Bestimmungen widersprechen einander sogar. Je länger wir damit warten, desto schmerzhafter wird dieser Prozess.
(+) plus: Werden die Unternehmen ausgebremst?
Lieber: Diese unnötige Komplexität und erbärmliche Langsamkeit sind wirklich zermürbend. Der Formularkrieg während der Pandemie wäre beispielsweise gar nicht notwendig gewesen. Das Finanzamt hatte ja alle Daten und weiß genau, welche Unternehmen in welcher wirtschaftlichen Lage sind. Kurzarbeit, Zuschüsse – das hätte das Finanzamt auf Knopfdruck abwickeln können. Warum das die Wirtschaftskammer übernehmen musste, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Gleichzeitig ist Österreich sehr bestrebt, exportierende Unternehmen zu unterstützen. Die staatliche Förderbank aws verschafft österreichischen Unternehmen mit günstigen Krediten die Möglichkeit, international überhaupt den Markteintritt zu schaffen. Da agiert Österreich extrem schlau. Im Land stellen wir uns viel dümmer an als außerhalb. Viele Unternehmen haben es geschafft, sich mit großen Playern zu arrangieren und Nischen zu finden, in denen sie Weltmeister sind.
(+) plus: Sehen Sie den Mittelstand bei der jüngsten Steuerreform benachteiligt?
Lieber: Nicht die Politik führt Österreich aus der Krise, sondern die Unternehmen. Die Politik schafft nur die Rahmenbedingungen. Und jetzt hat man kleine Gewerbebetriebe, die noch länger keine Gewinne schreiben, vergessen. Da hilft keine Körperschaftssteuersenkung. Eine Senkung der Lohnzusatzkosten aber schon. Mit unserer Petition (https://petition.gewerbeverein.at) fordern wir daher, für Unternehmen mit bis zu 30 Mitarbeiter*innen die Lohnzusatzkosten um 30 Prozent zu senken. Das ist sogar günstiger als die KöSt-Senkung.
(+) plus: Wird in Österreich zu viel reguliert?
Lieber: Das ist ein westeuropäisches Problem. Mit Zertifizierungen wird allen das Leben schwer gemacht, letztlich schadet man sich aber selbst. Das sind künstliche Barrieren, um den Markt zu schützen. Monopole gehören aufgebrochen. Die Gewerbeordnung ist völlig aus der Zeit gefallen. Es sollte doch möglich sein, dass jede*r beruflich tätig sein kann, solange niemand gefährdet oder Schaden angerichtet wird.
Dass manche Berufe geschützt sind, versteht niemand. Vor allem, wenn es in der EU oft ganz anders ist. Es ist zu kompliziert und langsam. Zur Bewilligung meines Lebensmittelladens kamen 18 Leute, vom Marktamt bis zum Arbeitsinspektorat – allerdings erst neun Monate nach der Eröffnung.
(+) plus: Der ÖGV engagiert sich stark im Bildungsbereich. Welchen Beitrag können Unternehmen diesbezüglich leisten?
Lieber: Das beginnt schon beim Thema Lehre. Allein in der Softwareindustrie fehlen 24.000 Fachkräfte. Aber die Erwartungshaltung ist so, dass diese Mitarbeiter*innen fertig ausgebildet aus dem Schulsystem kommen und sofort eingesetzt werden können. An der TU Wien gibt es pro Jahr 80 Absolvent*innen der Fachrichtung Informatik – das kann sich also nicht ausgehen.
Die Betriebe müssen mehr Verantwortung im Bereich der fachspezifischen Ausbildung übernehmen. Die Akzeptanz der Lehre ist leider in der Softwarebranche schlecht. Die Anzahl der Lehrstellen hat sich in den letzten zehn Jahren fast halbiert. In Wien konzentrieren sich zwar 80 Prozent der IT-Umsätze Österreichs, aber nicht einmal 20 Prozent der Ausbildungsplätze.
(+) plus: Warum sind Initiativen wie »Start-up Lehre« notwendig?
Lieber: Es handelt sich dabei um eine Forschungsinitiative, mit der ausgelotet wird, wie das Thema Lehrlingsausbildung auch in junge Unternehmen getragen werden kann. Es ist Teil des Unternehmertums, junge Menschen von Anfang an mitzunehmen – schon allein aus Gründen der Diversität. Davon kann auch ein Start-up profitieren. Junge Gründer*innen, die mit ihrer Idee nicht nur möglichst rasch abcashen wollen, bauen ihr Unternehmen nachhaltig auf.
Im Rahmen der Initiative sollen 20 bis 25 Lehrlinge in Lehrverbünden begleitet werden. Die Ausbildung erfolgt gemeinsam in Leitlehrbetrieben und Start-ups. Unsere These ist, dass Unternehmen, die sich mit innovativen Themen schwer tun, mit Start-ups eine Basis finden, um diese Innovationslücke zu überbrücken.
Gemeinsam können sie Lehrlingen ein stabiles und spannendes Umfeld geben. Der ÖGV übernimmt eine Rolle, die viele Unternehmen allein nicht mehr leisten können. Wir bereiten etwa jedes Jahr in Wien 2.500 Jugendliche auf Vorstellungsgespräche vor. Diese »Interview Challenges« werden wir auf ganz Österreich ausrollen.
(+) plus: Welchen Stellenwert hat Innovation in der heutigen Zeit?
Lieber: Der Kreislauf der Innovation muss in Gang bleiben – früher oder später macht es ein anderer schneller, besser oder billiger, dann ist der eigene Marktvorteil weg. Ein Thema, das wir momentan stark antreiben, ist der »Innovation Circle«. Die Parameter haben sich ja nicht geändert: Wenn du selbst kein besseres Produkt auf den Markt bringst, macht es der Mitbewerber. Dazu kommt jetzt noch das Ressourcen-Dilemma.
(+) plus: Gibt es eine Lösung für das Personalproblem?
Lieber: Der Mangel an Mitarbeiter*innen ist ein Problem, das wir demografisch nicht mehr lösen können und das alle Branchen trifft. Bei der Generation Y ist der Antrieb zur Arbeit recht schwach ausgeprägt. Ich setze aber große Hoffnungen auf die nachfolgende Generation. Bei unseren Interview-Challenges sehen wir jedes Jahr sehr motivierte und neugierige Schüler*innen, die aus eigenem Interesse etwas ausprobieren möchten.
Für die Gastronomie wird es trotzdem schwierig. Für zehn Euro pro Stunde den ganzen Tag Gemüse schneiden, das will niemand machen. Selbst Köch*innen können bei den geringen Löhnen ihr wirtschaftliches Auskommen mit 40 Stunden nicht finanzieren. Erhöht man die Kollektivverträge, müsste das Menü aber das Doppelte kosten. Viele Arbeitnehmer*innen sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt und bauen dort Unternehmen auf. Bosnien verzeichnet derzeit einen starken Wirtschaftsaufschwung.
(+) plus: Ist Nachhaltigkeit das Thema der Zukunft?
Lieber: Ich glaube, das ist tatsächlich der Gamechanger. Von Seite der Investoren wurde längst erkannt, dass es auch wirtschaftlich sinnvoll ist, diesen Nachhaltigkeitszielen zu folgen. Unternehmen bekommen dadurch enorme Wachstumschancen. Investoren finanzieren lieber »Green Deals« und Mitarbeiter*innen zieht es zu Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften. Diese Effekte wirken sich ganz konkret auf die Lieferketten aus.
Wer selbst nichts tut, ist aus dem internationalen Geschäft ganz schnell draußen. Unternehmen müssen ökologisch und ökonomisch effizienter werden. Momentan sind die Kriterien noch relativ weich. Die Einhaltung der »Sustainable Development Goals« werden aber ein wesentliches Steuerungsinstrument der Zukunft sein, darauf sollten sich alle Unternehmen einstellen.
Zur Person
Peter Lieber ist Eigentümer der »LieberLieber Software GmbH« und Gründer 13 weiterer Software-Unternehmen sowie des Bioladens kredenz.me. Seit 2014 steht er ehrenamtlich dem Verband der Österreichischen Softwareindustrie vor.
Seit 2020 ist Lieber Präsident des Österreichischen Gewerbevereins. Der ÖGV ist ein unabhängiger und überparteilicher Verein für Unternehmer*innen mit freiwilliger Mitgliedschaft, der 1839 gegründet wurde und Unternehmen aus Industrie, Gewerbe, Handel und den freien Berufen vertritt.