Mit den Werkzeugen der Vergangenheit wird der Schritt in die Zukunft nicht gelingen. Für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft braucht es Innovation.
Ein Gastkommentar von Christoph Scharff, Vorstandsvorsitzender der Altstoff Recycling Austria AG (ARA).
Zu keiner Zeit hatte die Kernaufgabe unseres Unternehmens einen derartigen politischen und medialen Stellenwert wie in diesen Tagen. Und dies nicht nur, weil Österreich gerade die Einführung eines Pfandes auf Kunststoff-Getränkeflaschen ab 2025 zu feiern scheint. Kreislaufwirtschaft wird von der EU neben der Energiewende und Digitalisierung als einer der drei technologischen Entwicklungspfade Europas gesehen.
Diese Rohstoffwende und ihr Beitrag zum Klimaschutz ist ein wesentlicher Baustein des New Green Deal der Europäischen Union. Selbst in der COVID-19-Pandemie hat die Kreislaufwirtschaft aus den Gesichtspunkten der Entsorgungssicherheit und dem Aufrechterhalten von Lieferketten durch Sekundärrohstoffe ihre Relevanz bewiesen.
EU fordert Kurswechsel
Die Europäische Union hat klargemacht, dass unsere ökologische Zukunft nur dann gesichert ist, wenn wir unser ökonomisches Handeln einem radikalen Kurswechsel unterziehen. Mit dem Kreislaufwirtschaftspaket wurde 2018 der Grundstein für diese fundamentale Transformation unserer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft gelegt. Das Ziel: maximale Ressourceneffizienz, indem Rohstoffe so lange wie sinnvoll möglich in Nutzung und im Kreislauf gehalten werden.
Auch die Schwerpunktfelder wurden von der Europäischen Kommission genannt: Baurestmassen und Abbruchabfälle der schieren Masse und CO2-Relevanz wegen, Lebensmittelabfälle und Biomasse, Hochtechnologiewerkstoffe und Kunststoff, später kamen auch Textilien hinzu.
Was nicht dazu gesagt wurde: Wo stehen wir heute? Und: Was brauchen wir? Diese Fragen wollten wir für Österreich mit dem Circularity Gap Report Austria beantworten. Der auf den ersten Blick enttäuschende Wert von 9,7% Substitutionsrate ist bei näherem Hinsehen verständlich: Eine Volkswirtschaft, die auf fossile Energieträger setzt, kann ebenso wenig zirkular sein, wie eine wachsende Volkswirtschaft, deren anthropogene Rohstofflager in Bauwerken, Infrastruktur oder Gütern noch in Gebrauch stehen und noch nicht rezykliert werden können. Andererseits: Bereits bei einer Verdoppelung der Substitutionsrate in Europa halten manche die Pariser Klimaziele für erreichbar.
Vom Großen ins vergleichsweise Kleine: Auch bei den Verpackungen liegt eine Verdoppelung vor uns: Bis 2025 muss Österreich die Recyclingquote der jährlich rund 300.000 t Kunststoffverpackungen von heute 25 % um 75.000 t auf 50 % steigern. Bis 2030 sind insgesamt 90.000 t mehr an Recycling erforderlich, um die neuen EU-Ziele zu erreichen. Immerhin: Bei allen anderen Verpackungsmaterialien – Papier, Glas, Metalle – haben wir heute schon die meisten EU-Recyclingziele bis 2030 erfüllt.
Optimierte Verpackungen
Bis 2030 müssen alle Kunststoffverpackungen in der EU recyclingfähig sein. Die Betriebe sind also gefordert, ihre Verpackungen zu optimieren. Ein aufwändiger technischer Prozess, der sich durch Ökomodulation – günstigere Tarife für optimierte Verpackungen – bezahlt machen soll. Was allerdings noch fehlt, ist Rechtssicherheit: Was ist aus Sicht des Gesetzgebers eine »recyclingfähige Verpackung«?
Wie sehen rechtliche und technische Vorgaben genau aus? Darf eine Lebensmittelverpackung etwa aus PE oder PP künftig Recyclingkunststoff enthalten? Welchen Stellenwert hat chemisches oder rohstoffliches Recycling? Und gelten in unseren Exportländern dieselben Kriterien? Circular Design als Design for Recycling und Design from Recycling stellt den Gamechanger für die Verpackungs- und Markenartikelindustrie dar, und sie arbeitet bereits mit Hochdruck daran.
Das digitale Incentive-System digi-Cycle soll Mülltrennung belohnen.
Neue Logistik
Auch die Sammellogistik steht vor einem Aufbruch: Die Planungen der ARA sehen eine Steigerung der getrennten Sammlung von Kunststoffverpackungen aus Haushalten, Gewerbe und Industrie um 40 % vor. Der durch Evidenz gesicherte Erfolgsfaktor dazu ist Convenience. Wer auf dem Handy im Handumdrehen Einkäufe erledigt oder seinen Urlaub bucht, will sich nicht am Samstag im Supermarkt beim Pfandautomaten anstellen.
Deshalb haben wir gemeinsam mit unserem Partner Saubermacher mit digi-Cycle ein digitales Incentive-System entwickelt, das Mülltrennung an den über 2 Millionen Sammelpunkten mit Gelber Tonne und Gelbem Sack belohnt. Digi-Cycle erfüllt auch alle Anforderungen von Handel und Industrie an ein Pfandsystem und kann über PET-Flasche und Getränkedose hinaus, auf praktische jede Verpackung oder Produkt angewendet werden, denn: Getränkeflaschen sind nur rund 16 % der Kunststoffverpackungen. Wir müssen die Recyclingquoten aber für die Gesamtmenge erfüllen. Allein im Gewerbeabfall steckt ein ungenutztes Potenzial von rund 50.000 t Kunststoffverpackungen in teils sehr guter Qualität – allerdings enthalten in einer Menge von 1 Million Tonnen Abfall.
Sortieren mit Sensoren
Den dritten Schwerpunkt bildet die Sortierung. Hightech-Sortieranlagen spielen künftig eine Schlüsselrolle für den Kunststoffkreislauf. Auch hier leistet die Forschung einen essenziellen Beitrag im Bereich sensorbasierter Sortiertechnologien, digitaler Bild- und Formerkennung und Digital Watermarking. Seit September 2021 beschäftigt sich das neue Christian Doppler Labor »Design und Bewertung einer effizienten, recyclingbasierten Kreislaufwirtschaft«, das von der TU Wien mit Unterstützung der ARA in Kooperation mit der Montanuniversität Leoben betrieben wird, mit diesen Technologien, um hochwertige Sekundärkunststoffe gewinnen zu können.
Wir in der ARA sind überzeugt, dass die Transformation zur Kreislaufwirtschaft nur durch Innovation gelingt. Es wäre falsch, jetzt zu klein zu denken und die Herausforderungen des Jahres 2030 mit Lösungen des vergangenen Jahrhunderts in Angriff nehmen zu wollen. Bleiben wir ein Vorreiter in der Kreislaufwirtschaft. Der Rückenwind dafür ist groß wie nie zuvor. Nutzen wir ihn.