Am 15. Oktober dieses Jahres passierte in Österreich eine echte Sensation: Mit der ehemaligen Slalom-Weltcup-Rennläuferin Roswitha Stadlober wurde erstmals in der 116-jährigen Geschichte des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) eine Frau als Präsidentin an dessen Spitze gewählt. All ihre 22 Vorgänger waren Männer. Die Bestellung Stadlobers wurde in der breiten Öffentlichkeit als Revolution und Wunder bezeichnet. Das ist sie in der Tat, denn Frauen in Führungspositionen sind in Österreich seit Jahrzehnten eine Seltenheit.
Die Führungsriege der 200 umsatzstärksten heimischen Unternehmen setzt sich zu 91 Prozent aus Männern zusammen. Von den insgesamt 621 Vorständ*innen in diesen Gesellschaften sind 565 Männer, geht aus einer Anfang dieses Jahres durchgeführten Untersuchung der Arbeiterkammer hervor. Noch geringer ist der Frauenanteil in den Chefetagen der im ATX (Austrian Traded Index) an der Wiener Börse notierten Unternehmen. Dort sind gar nur 6,8 Prozent der Vorstandsposten der insgesamt 20 ATX-Konzerne mit Frauen besetzt. Damit liegt Österreich gemeinsam mit Luxemburg im europäischen Vergleich an letzter Stelle.
Mangelnde Qualifikation der Frauen kann für deren geringe Präsenz in den Entscheidungsgremien österreichischer Unternehmen nicht der Grund sein. Denn an den Universitäten und Fachhochschulen stellen Frauen hierzulande längst die Mehrheit. Mehr als die Hälfte der Studienabsolvent*innen an öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen sind weiblich, in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind es sogar knapp 60 Prozent. Was also hält Österreichs Frauen von den Spitzenpositionen fern?
Fehlende Netzwerke
Im Gegensatz zu den Männern haben Netzwerke von Frauen hierzulande keine Tradition – ein wesentliches Hindernis im Bewerbungsprozess. Ist ein Vorstandsposten zu besetzen, durchkämmen die Vorstandsmitglieder zuerst die eigenen Netzwerke. Und die sind männlich. »Es gibt viele ausreichend qualifizierte Frauen. Wenn wir aber sehen, wie beziehungsweise durch wen manche Posten besetzt werden, dann ist der geringe Frauenanteil in ATX-Unternehmen nicht verwunderlich«, sagt Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer Österreich.
»Frauen glauben immer noch, sie müssen dreimal so gut sein wie ihre männlichen Kollegen. Daher reihen sie lieber Studium an Studium, anstatt sich einfach auf die Stelle zu bewerben«, sagt Ingrid-Mylena Kösten, Politologin, Coach und Gründerin des Netzwerks womanSuccess.
Familie und Kinder als Hürden
Familiengründung und Kinderbetreuung sind in Österreich nach wie vor Frauensache. Daher wählen Wiedereinsteigerinnen häufig karriereschädliche Teilzeitmodelle – eine Falle, wie Experten dies nennen. Für AK-Präsidentin Anderl ist klar: »Es muss Frauen von Anfang an ermöglicht werden, Vollzeit zu arbeiten. Sie dürfen nicht durch Unterbrechungen, etwa wegen Kinderbetreuung, von Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlossen werden.«
In internationalen Konzernen und großen Unternehmen ist das auch schon Usus. Flexible Arbeitszeitmodelle und Remote-Working unterstützen die Chancengleichheit der Geschlechter. Und natürlich ist ein gesellschaftspolitisches Umdenken nötig. Es muss klar sein, dass Frauen und Männer in Führungspositionen in Karenz gehen und wieder zurückkommen können, sind sich Expert*innen einig. Die UniCredit Bank Austria etwa versucht, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Frauenkarrieren zu ermöglichen.
»Kinderbetreuungsplätze, flexible Arbeitszeiten bis hin zu Remote-Working im Homeoffice helfen Frauen, in der Bank Karriere zu machen«, sagt Susanne Wendler, Vorständin der UniCredit Bank Austria. 57 Prozent der Belegschaft sei weiblich, 29 Prozent der Führungspositionen seien mit Frauen besetzt und zwei der sieben Vorstandsmandate ebenfalls. Das Ziel sei 30 Prozent Frauenanteil im Senior Management, erklärt Wendler.
»Gemischtgeschlechtliche Führungsteams verfügen über mehr Innovationskraft, weil sie unterschiedliche Perspektiven in ihre Entscheidungen einbringen«, ist die Vorständin der UniCredit Bank Austria, Susanne Wendler, überzeugt.
Quote als Chance
Eine verpflichtende Frauenquote für die Vorstände von Unternehmen ist wohl ein Weg, die Teilhabe von Frauen in Spitzenpositionen zu verbessern. Interessanterweise haben noch vor zehn Jahren vor allem Frauen selbst mehrheitlich so eine Quote abgelehnt. Angst, dass damit die Qualifizierung für die Position ins Hintertreffen gerät, ist einer der Hauptgründe, die gegen eine verpflichtende Quote sprechen. Angesichts des schleppenden Fortschritts beim Zugang von Frauen zu Vorstandspositionen haben viele Frauen ihre Meinung geändert.
»Natürlich soll jene Person den Job bekommen, die dafür am besten geeignet ist. Trotzdem bin ich der Meinung, dass eine Quotenregelung notwendig ist, sonst ändert sich nie etwas«, betont Nora Lawender, Chefin von NTT in Österreich. Die Quote ermutige Frauen vielleicht dazu, sich für Führungspositionen zu bewerben. AK-Präsidentin Anderl hält eine Quote für unumgänglich. Nur so könnten die jahrzehntelang geknüpften Männerseilschaften durchbrochen werden.
Denn: »Männer stellen lieber Männer ein«.
»Frauen muss von Anfang an ermöglicht werden, Vollzeit zu arbeiten. Sie dürfen nicht durch Unterbrechungen von Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlossen werden«, sagt AK-Präsidentin Renate Anderl.
Dass Quoten wirken, zeigt das Beispiel Aufsichtsrätinnen: Seit Anfang 2018 gilt in Österreich die Regelung, wonach große börsennotierte Unternehmen bei Neubesetzung ihrer Aufsichtsräte auf die Frauenquote schauen müssen. Ziel sind 30 Prozent weibliche Mitglieder. In den drei Jahren seit Einführung dieser Regelung hat sich die Repräsentanz von Frauen in den Aufsichtsräten der betroffenen Unternehmen von 22,4 auf 33,8 Prozent erhöht. Deutschland hat aus dem Scheitern des Prinzips der Freiwilligkeit Konsequenzen gezogen und die Quotenregelung auch auf Vorstände übertragen.
Innovation durch Diversität
Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in Unternehmen und in den Chefetagen ist kein Selbstzweck von Unternehmen. »Gemischtgeschlechtliche Führungsteams verfügen über mehr Innovationskraft, weil sie unterschiedliche Perspektiven in ihre Entscheidungen einbringen«, sagt UniCredit Bank Austria Vorständin Wendler. Angesichts der großen Herausforderungen durch die Digitalisierung sind Management-Teams mit einer Bandbreite an Kompetenzen nötig, stellt auch die Arbeiterkammer in ihrem Frauen.Management.Report 2021 fest.
Und nicht nur verschiedene Sichtweisen und Kompetenzen verändern sich mit mehr Frauenpräsenz. »Wichtig ist, dass der Umgangston wieder angenehmer wird«, kommentiert Ski-Rennläuferin Ramona Siebenhofer die Wahl von Roswitha Stadlober zur ÖSV-Präsidentin. Stadlober selbst hat wohl einen der wichtigsten Ratschläge für Frauen: »Ich will Mut machen, dass Frauen so einen Schritt wagen«.
Interview: »Frauen müssen frecher werden«
Headhunter Michael Schaumann führte in den vergangenen 20 Jahren unzählige Bewerbungsgespräche für Top-Positionen.
Michael Schaumann, Managing Partner beim Headhunter Stanton Chase in Österreich, sieht in den Branchen IT und Technik Frauen stark unterrepräsentiert. Geeigneten Kandidatinnen fehlt es manchmal an Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft.
(+) plus: Hat sich der Zugang von Frauen zu Top-Positionen in der Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren verbessert?
Michael Schaumann: Eindeutig. Die Frauenquote für Aufsichtsräte hat viel dazu beigetragen, dass sich auch mehr Frauen für Vorstandsposten bewerben. Zudem haben Frauen Netzwerke gegründet, in denen sie sich auf ihrem Karriereweg unterstützen.
(+) plus: Gilt dies für alle Sektoren der Wirtschaft?
Schaumann: Nein. Für IT und Technik gilt das nicht. Wenn ein IT-Chief-Officer gesucht wird, sind unter 100 Kandidaten vielleicht drei Frauen. Ähnlich ist es bei Technik-Top-Positionen. Da gibt es kaum Bewerberinnen.
(+) plus: Wie ist das in anderen europäischen Ländern?
Schaumann: Österreich ist in diesem Punkt besonders konservativ. Da kommt die Prägung aus der Monarchie durch, in der die Männer Offiziere und Beamte waren. In Osteuropa ist das anders. Dort sind Frauen traditionell die Verwalterinnen des Geldes. Im guten, alten Europa sind die Shortlists der Headhunter meist noch mit Männern besetzt. Die Ausnahme ist Skandinavien.
(+) plus: Was hindert Frauen in Österreich, sich für Spitzenpositionen zu bewerben?
Schaumann: Es hat sich zwar einiges verbessert, aber noch immer fehlt es an genügend Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft. Wenn ich zehn Frauen frage, ob sie Chefin eines Unternehmens werden wollen, sagen neun von ihnen: Ich überlege mir das und melde mich in einer Woche. Frage ich zehn Männer, sagen zehn: Ja, her mit dem Job. Frauen besprechen das zunächst mit der Familie und überlegen lange. Männer riskieren einfach.
(+) plus: Könnte das vermehrte Homeoffice in der Corona-Zeit ein Vorteil für Frauenkarrieren sein?
Schaumann: Durchaus. Unternehmen haben gesehen, dass es viele flexible Lösungen für die Arbeitszeit gibt. Frauen können Beruf und Kinder damit besser vereinbaren.
(+) plus: Haben Sie Tipps für Frauen, die Karriere machen wollen?
Schaumann: Sie müssen frecher und selbstbewusster sein. Nicht so viel grübeln, sondern einfach das Risiko nehmen und die Chancen nutzen.
Interview: »Sei angepasst, brav und fleißig«
Herta Stockbauer ist seit 2005 im Vorstand der Bank für Kärnten und Steiermark, seit 2014 Vorsitzende des Vorstands.
Herta Stockbauer ist als Vorstandsvorsitzende der BKS Bank eine von wenigen Frauen, die es bis ganz nach oben geschafft haben.
Im Report(+)PLUS-Interview spricht sie über die Karrierehindernisse von Frauen.
(+) plus: Sie stehen seit Langem an der Spitze der BKS. Halten Sie den Bankensektor für frauenfreundlich?
Herta Stockbauer: Auch wenn der Bankensektor noch Aufholbedarf hat, was die Anzahl der Frauen in Führungs- und vor allem auch Vorstandspositionen betrifft, ist er frauenfreundlicher als manch andere Branche. Aber es gibt auch hier noch genug Hürden zu überwinden.
(+) plus: In vielen Unternehmen in Österreich sind Frauen in Führungsgremien kaum vertreten. Woran liegt das?
Stockbauer: Studien zeigen, dass der Karriereknick bei Frauen mit der Geburt des ersten Kindes eintritt. Frauen tragen in vielen Fällen noch die Hauptlast der Care-Arbeit – sei es in der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen. Die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen sind immer noch nicht gut auf Vollzeitarbeit ausgerichtet. Daher gehen Frauen Teilzeitbeschäftigungen ein und werden auf dem Karrierepfad überholt.
(+) plus: Wären verpflichtende Frauenquoten hilfreich?
Stockbauer: Ja. Den Erfolg der Quote sieht man gut bei den Aufsichtsräten. Seit 2018 gilt für kapitalmarktorientierte Unternehmen eine Frauenquote von 30 Prozent. Seither hat sich der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten deutlich erhöht.
(+) plus: Sehen Sie von Frauen selbst aufgestellte Hürden?
Stockbauer: Das sind die oft langjährigen Teilzeittätigkeiten. Mädchen werden in der Erziehung manchmal noch Verhaltensweisen mitgegeben, die karrierehindernd sein können. Sei angepasst, brav und fleißig, stelle die Bedürfnisse anderer in den Vordergrund. Bei unserem Frauenkarriereprogramm spielt daher das Bewusstmachen von Verhalten und hindernden Mindsets eine ebenso große Rolle wie das Aufzeigen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
(+) plus: Welche Ratschläge haben Sie für Frauen?
Stockbauer: Seien Sie mutig, nehmen Sie Herausforderungen an. Überlegen Sie sich, wie Sie sichtbar werden, wer ein Türöffner sein könnte und scheuen Sie sich nicht, auch manches wie z. B. Teile der Haushaltsarbeit auszulagern.