Rund 50 Milliarden Euro umfasst der Schutzschirm der österreichischen Regierung für die Wirtschaft bisher. Neben einer Reihe von Direkthilfen für Betriebe sind darin auch Stundungen enthalten, die wieder zurückgezahlt werden müssen. Während einige Unternehmen über unzureichende und späte Zahlungen klagen, warnen Kritiker vor Überförderung und Überschuldung. Wie wirksam die Unterstützungen waren, hat Report(+)PLUS bei drei ExpertInnen nachgefragt.
1. Wie ist Österreich bisher durch die Krise gekommen?
Gudrun Meierschitz, Vorständin Acredia Versicherung AG
Unterm Strich schlägt sich Österreich in dieser wirtschaftlich herausfordernden Zeit recht gut. Es gibt jedoch sehr starke Unterschiede, je nachdem, welche Branche man betrachtet. Viele Unternehmen konnten sich schnell auf die neue Situation einstellen, ihre Prozesse und Geschäftsmodelle adaptieren. Bei einigen hat die Krise Innovations- und Kampfgeist geweckt. Bei anderen Unternehmen wiederum wird ein mögliches Wachstum durch große Probleme in den Lieferketten eingebremst. In Summe bin ich zuversichtlich, dass Österreichs Wirtschaft gut durch diese Krise kommt.
Stefan Fink, Chief Economist KPMG Österreich
Die starken wirtschaftspolitischen Reaktionen in der ersten Phase der Pandemie, das rasche Einrichten von Stützungen und das Kurzarbeitsmodell haben einen wichtigen Beitrag geleistet, den massiven Einbruch im zweiten Quartal 2020 abzufedern und viele Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten. Auch die im Zuge der neuerlichen Restriktionen ab Herbst beschlossenen Maßnahmen trugen zur Stabilisierung bei. Dafür wurden wesentliche Budgetmittel freigesetzt (11,7 Prozent des BIP an bislang gewährten Stützungen – Platz 2 in der EU).
Monika Köppl-Turyna, Direktorin Eco Austria – Institut für Wirtschaftsforschung
Österreich hatte leider einen der höchsten Rückgänge des BIPs in Europa. Das liegt zum großen Teil an der starken Abhängigkeit von Dienstleistungen, insbesondere im Tourismus. Dennoch konnte durch verschiedene Instrumente wie etwa Kurzarbeit ein noch größerer Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert werden. Jetzt ist die wichtigste Aufgabe, aus den Hilfen auszusteigen und sich stattdessen auf wachstumsstimulierende Reformen zu konzentrieren. Das können z. B. eine temporäre Senkung der Lohnnebenkosten und Maßnahmen zum Aufbau des Eigenkapitals sein.
2. Wo gibt es Versäumnisse?
Gudrun Meierschitz
Derzeit gibt es ein großes Gefahrenpotenzial in der mangelnden Aufklärung zu Haftungsthemen für Insolvenzverschleppung. Die Aussetzung diverser Fristen bedeutet nämlich nicht gleichzeitig auch einen Wegfall einer möglichen Haftung. Meine Sorge ist, dass einige Unternehmerinnen und Unternehmer sich hier unbewusst hoch riskant verhalten. Bewährte Mechanismen wie die Insolvenzantragspflicht müssen jetzt wieder in vollem Umfang zu laufen beginnen, denn die derzeitige Situation laut Statistik entspricht nicht der wirtschaftlichen Realität.
Stefan Fink
Ab Herbst führte die öffentliche Kommunikation teilweise zu stark schwankenden Erwartungen und Verunsicherung für Haushalte und Unternehmen, was dämpfend auf Konsum und Investitionen wirkte. Zur Stabilisierung ist eine klare Kommunikation erforderlich, auch wenn diese unangenehme Fakten beinhaltet. Kurzfristig hochwirksame Stützungsmaßnahmen müssen mit Fortdauer der Pandemie in eine langfristige Strategie übergeführt werden, um einen zu hohen staatlichen Verschuldungsgrad und wettbewerbsverzerrende Wirkungen zu vermeiden.
Monika Köppl-Turyna
Die größten Versäumnisse sind die Strukturprobleme, die bereits vor der Krise da waren. Dazu gehört eine längst fällige Reform des Pensionssystems und die damit verbundene nachhaltige Finanzierung. Weiters sind mangelnde Digitalisierung etwa im Bildungsbereich und in der Infrastruktur oder der Bereich des Arbeitsmarktes zu nennen – Stichwort: hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit Fachkräftemangel. Diese Probleme haben durch die Krise weiter an Bedeutung gewonnen und müssen schnellstmöglich angegangen werden.
3. Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle?
Gudrun Meierschitz
Die Insolvenzentwicklung ist derzeit nicht von Marktmechanismen, sondern von der weiteren Entwicklung und dem Fortbestand der Unterstützungsmaßnahmen abhängig. Das wird nicht ewig so weitergehen. Wir rechnen mit einem Anstieg der Insolvenzen gegen Ende des Jahres je nach Branche stark unterschiedlich und für 2022 prognostizieren wir ein Plus von ca. 25 Prozent gegenüber 2019. Grund dafür sind Nachholeffekte und pandemiebedingte Insolvenzen. Die noch vor einem Jahr befürchtete Welle quer über alle Branchen wird hoffentlich ausbleiben.
Stefan Fink
Im Jahr der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg lagen die Insolvenzen in Österreich um rund 40 Prozent unter dem Niveau von 2019. Massive staatliche Stützungen und Zahlungsaufschübe verhinderten Zahlungsunfähigkeit in vielen Unternehmen. Insolvenzen, die sich auch ohne die
Covid-19-Krise ereignet hätten, wurden somit aufgeschoben. Nach Reduktion bzw. Auslaufen der Stützungsmaßnahmen ist zusätzlich in von der Pandemie besonders betroffenen Branchen mit einem Anstieg der Insolvenzquoten zu rechnen.
Monika Köppl-Turyna
Manche Unternehmen werden die Krise nicht überleben – das kann man wohl nicht wegdiskutieren. Ein Teil davon ist durch strukturelle Änderungen im Konsum erklärbar, wie etwa weniger Reisen. Das zu bremsen ist nicht sinnvoll, denn aufgrund dieser »kreativen Zerstörung« ist unser Wohlstand und unsere Produktivität so hoch. Es ist wichtig, dass betroffene Personen Unterstützung bekommen und dass man Neugründungen erleichtert, um die freigewordenen Kräfte wieder in produktiven Unternehmen neu zu bündeln.