Sonntag, Dezember 22, 2024
»Umweltschutz muss mit Hausverstand betrieben werden«

Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf setzt für konstruktive Lösungen auf den Dialog mit der Wirtschaft. Im Report(+)PLUS-Interview spricht er über den »ökosozialen Weg«Niederösterreichs, importierte Avocados und warum nachhaltiges Bauen nicht teurer sein muss.

(+) plus: Im Frühjahr wurde von der Bundesregierung die Integrierte Rohstoffstrategie verabschiedet, bis Jahresende sollte ein konkreter Arbeitsplan ausgearbeitet werden. Wie ist der Status quo angesichts des Regierungswechsels?

Stephan Pernkopf: Die Erarbeitung im Sinne einer nachhaltigen Rohstoffversorgung ist aus Sicht des Landes Niederösterreichs zu begrüßen, aber aufgrund der mutwilligen und verantwortungslosen Abwahl der Regierung stockt das derzeit.

(+) plus: Der Abbau von mineralischen Rohstoffen ist immer mit Eingriffen in die Umwelt verbunden. Wie können die Versorgungssicherheit gewährleistet, die Ressourcen aber möglichst geschont werden?

Pernkopf: Diese Frage gehört zu den zentralen Herausforderungen. Es gilt daher immer, von Anfang an einen möglichst idealen Standort zu finden. Wichtig ist uns auch, einen Blick auf die Zeit danach zu werfen. Gelingt es, eine gute Nachnutzung zu finden, den ursprünglichen Zustand möglichst gut wiederherzustellen, ist viel gewonnen.

(+) plus: Im Sinne der Kreislaufwirtschaft wird Abbruchmaterial recycelt, primäres Material ist aber meist billiger. Müssen höhere Kosten für nachhaltiges Bauen künftig in Kauf genommen werden?

Pernkopf: Durch die Ende 2016 in Kraft getretene Recycling-Baustoffverordnung wurden zum Schutz der Umwelt neue, für alle verbindliche Regelungen geschaffen, wie aus Abbruchmaterial hochwertige Recyclingprodukte entstehen. Beim Bau wird in Zukunft auf besser rückbaufähige Gebäude geachtet, damit wird das Recycling günstiger. Ebenso wird es bei Verwendung von Recyclingprodukten z.B. durch Ausschreibungen der öffentlichen Hand einen höheren Bedarf geben. Nur so funktioniert eine echte Kreislaufwirtschaft.

(+) plus: Die Bauwirtschaft fürchtet Benachteiligungen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit. Zu Recht?

Pernkopf: Wir achten bei neuen Regelungen genau auf die Auswirkungen. Bei der Recycling-Baustoffverordnung war Nieder­österreich Mitinitiator einer Novelle, die jetzt wirtschaftlich besser umsetzbar ist als der Erst­entwurf, und zwar ohne eine Verschlechterung der Umweltziele zu bewirken.
Wir reden mit der Wirtschaft und versuchen, gemeinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Umweltschutz muss immer mit Hausverstand betrieben werden.

(+) plus: Warum wurde der 2010 fertiggestellte Österreichische Rohstoffplan bisher nur von wenigen Bundesländern in die Raumordnung übernommen?

Pernkopf: Für das Land Niederöster­reich stellt er eine wichtige Grundlage bei der Ausweisung von Abbauflächen dar. So ist der Rohstoffplan zuletzt bei der Neuausweisung von sogenannten Eignungszonen für die Gewinnung von Sand und Kies in den regionalen Raumordnungsprogrammen berücksichtigt worden.

(+) plus: Welche Initiativen setzt die niederösterreichische Landesregierung, um die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren?

Pernkopf: Wir müssen die fossile Abhängigkeit auf allen Ebene reduzieren, gerade die aktuelle Klimaschutz-Debatte zeigt das ja. Wir in Niederösterreich sind da seit vielen Jahren Vorreiter, wir warten nicht auf internationale Abkommen oder Demonstrationen. Wir tun, was ein Land tun kann.

So haben wir die CO2-Emissionen in den letzten Jahren massiv reduziert und halten heute bereits wieder auf dem Stand von 1990. Gleichzeitig ist aber die Bevölkerung um 14 Prozent und die Wirtschaft in Nieder­österreich um 65 Prozent gewachsen, ohne mehr Treibhausgase zu emittieren. Geschafft haben wir das, weil sich bei uns alle gemeinsam anstrengen, die Gemeinden und Haushalte genauso wie die Wirtschaft und Industrie. Dafür bin ich den Betrieben auch sehr dankbar!

Gerade im Strombereich haben wir die Energiewende längst geschafft, 100 Prozent des gesamten Strombedarfs werden in Niederösterreich aus Erneuerbarer Energie erzeugt. Ich bin überzeugt: Wenn man
Klimaschutz gemeinsam anpackt, dann hilft er auch der Wirtschaft und schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das ist klassisch ökosozial und unser Weg in Nieder-
österreich.

(+) plus: Der Bedarf an Rohstoffen steigt stetig an. Kaum jemand möchte jedoch deren Gewinnung und Verarbeitung in der unmittelbaren Umgebung haben, gleichzeitig sollen Transportwege so kurz wie möglich sein. Wie kann diese Diskrepanz gelöst werden?

Pernkopf: Diese Frage begegnet uns in der Raumordnung regelmäßig. Denken wir nur an ein anderes Beispiel: die Logistikzentren. Der Onlinehandel nimmt zu, immer mehr Menschen bestellen Waren im Internet. Gleichzeitig sind auch diese Einrichtungen aufgrund der Verkehrsbelastung in der eigenen Wohnumgebung nicht gerne gesehen. Oder auch in der Landwirtschaft, wo zwar jeder gerne regionale Produkte hätte, aber viele im Supermarkt dann zu importierten Avocados greifen und manche sich aufregen, wenn’s mal stinkt. Vielen fehlt da leider mittlerweile das Bewusstsein, dass Waren und Rohstoffe eben auch gewonnen bzw. geliefert werden müssen.

(+) plus: Welches Gewicht sollte die Bürgerbeteiligung bei wichtigen Infrastrukturprojekten haben?

Pernkopf: Bürgerbeteiligung ist wichtig, um die Transparenz und schlussendlich auch die Akzeptanz für Projekte zu steigern. Sie wird aber keine fachlichen und rechtlichen Entscheidungen und Verfahren ersetzen können.

(+) plus: Ein wichtiger Punkt ist der Kampf gegen die Bodenversiegelung. Sind die schon bisher vorgeschriebenen Ausgleichsflächen ausreichend?

Pernkopf: Das bisherige Konzept der Ausgleichsflächenvorschreibung hat sich grundsätzlich gut bewährt. Zukünftig wird verstärkt darauf geachtet werden, die Wirksamkeit von Ausgleichsmaßnahmen noch besser zu steuern.

(+) plus: Halten Sie Ökokonten nach deutschem Vorbild für eine mögliche Alternative?

Pernkopf: Es ist nie verboten, sich andere Ideen anzuschauen und zu analysieren.
Unser Anliegen ist es, die Kompensationsflächen im Sinne der Wirtschaft in der Abwicklung zu vereinfachen und diese im Sinne der Umwelt möglichst sinnvoll zu nutzen.

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