Thilo Juchem, Präsident des Europäischen Gesteinsverbands UEPG – Union Européenne des Producteurs de Granulats –, über die Zusammenarbeit der Branche, Schwellenängste und den nötigen Mut zum Dialog.
(+) plus: Was sind die Aufgaben der UEPG?
Thilo Juchem: Wir vertreten 15.000 Unternehmen mit insgesamt 26.000 Gewinnungsstätten in Europa. Diese produzieren im Jahr drei Milliarden Tonnen Gesteinsmaterial und beschäftigen über 200.000 Menschen. Schon das Zahlenverhältnis von Unternehmen zu Gewinnungsstätten zeigt, dass unsere Branche mittelständisch geprägt ist. Ich selbst komme aus dem Mittelstand und bin geschäftsführender Gesellschafter eines Familienunternehmens, das Steinbrüche, Asphaltmischanlagen und Transportbeton regional betreibt. Ich kenne also beide Seiten: die Arbeit im gesamten Europa und die unternehmerische Aktivität vor Ort.
Das UEPG-Büro in Brüssel ist so etwas wie eine Erdbebenwarte bei politischen Themen. Wir versuchen, zu Themen, die unsere Branche betreffen, sachlich gerecht und zeitnah Stellung zu nehmen. Auch das Forum Rohstoffe ist in zwei unserer Arbeitsgruppen in leitender Rolle aktiv – und es ist in allen anderen ebenfalls vertreten.
Wir wollen in der Politik Bewusstsein für mineralische Rohstoffe schaffen und laden dazu etwa auch Parlamentarier zu den Unternehmen ein. Denn jeder, der schon einmal eine Sandgrube oder einen Steinbruch von innen gesehen hat, hat dann eine ganz andere Meinung dazu.
Ein gutes Beispiel für Aufklärungsarbeit ist die Initiative Industry4Europe – ein Zusammenschluss von mittlerweile 147 Industrieverbänden. Die Reaktion der Politik, wenn sich über hundert Verbände zu Wort melden, bleibt auch nicht aus: In einer jüngst erfolgten Erklärung der EU-Kommission zum Industriestandort findet auch die Bedeutung der Rohstoffe ausreichend Platz.
(+) plus: Welchen Zugang gibt es zu Raumordnungsthemen auf EU-Ebene aus Ihrer Sicht? Und gibt es eine Koordination für die Rohstoffgewinnung?
Thilo Juchem: Wir scannen das EU-Gesetzgebungsverfahren gleich zu Beginn auf etwaige Auswirkungen auf unsere Branche. Eine EU-Richtlinie für die europäische Raumordnung gibt es nicht, aber wir haben viele Bereiche, wo Raumordnung oder der Zugang zu Rohstoffen tangiert werden. Beispielsweise die Natura-2000-Richtline, die festhält, dass auch in Naturschutzgebieten eine industrielle Nutzung möglich sein kann. Es gibt viele weitere Beispiele, wo wir aufmerksam darauf achten, dass auch unsere Interessen wahrgenommen werden – und bestehendes Recht nicht wieder verloren geht. Beim Thema Rohstoffgewinnung haben wir eine Zusammenarbeit mit anderen Rohstoffgewinnungsbranchen im NEEIP, dem »Non-Energy Extractive Industry Panel«.
(+) plus: Wie gehen Sie mit der Herausforderung mitunter fehlender Akzeptanz bei Bürgerinitiativen um?
Thilo Juchem: Ich betone immer wieder, dass Unternehmen langfristig den Dialog mit Interessensgruppen, insbesondere der lokalen Bevölkerung führen sollten und bei Genehmigungsverfahren nicht zu spät mit der Kommunikation beginnen. Ungeachtet der Rechtslage – und egal, was dazu von der EU-Ebene oder von den Ländern kommt – ist die Stimmung vor Ort zentral entscheidend.
Als Unternehmer habe ich oft ein großes Entgegenkommen der Kommunalpolitiker bei Projekten erlebt. Sobald sich Widerstand in Form einer Bürgerinitiative geregt hat, ist das schnell wieder gekippt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies häufig nicht notwendig ist – wenn man entsprechend auf Gemeinwohlinteressen hinweisen kann und ein Bürgermeister auch Weitsicht beweist. Oft ist auch ein Widerstand Einzelner nicht gleich das Ende eines Projekts. Vergessen Sie nie die schweigende Mehrheit, all jene, die sich nicht lautstark melden.
Die Branche hat sich insgesamt schon sehr geändert. Früher hatte man nur ja versucht, nicht wahrgenommen zu werden. Heute sollten Unternehmen proaktiv in die Öffentlichkeit gehen, auch um Fachkräfte zu erreichen. Ein gutes Beispiel ist auch die Zusammenarbeit mit Umweltverbänden. Dort wurde vielfach die Schwellenangst genommen, die auf beiden Seiten exis-tierte. Wenn man miteinander redet, dann findet sich immer ein Weg.
(+) plus: Wie ist die Gesamtsituation in Europa bei der Rohstoffsicherung? Gibt es Länder, in denen die Situation völlig anders als in Deutschland und Österreich ist?
Thilo Juchem: Es gibt natürlich Länder, die aufgrund ihrer geologischen Situation nicht ausreichend über mineralische Rohstoffe verfügen. Das sind häufig Küstenländer, wie die Niederlande, die kaum Hartgesteinsvorkommen haben und Kies und Sand aus Nordrhein-Westfalen und Hartgestein aus Norwegen importieren. Estland wiederum importiert übers Meer aus Finnland und Schweden. Dann gibt es auch Exportländer wie Norwegen, das zwar ein Küstenland ist, aber in den Fjorden geologisch wertvolles Gestein hat, das auch im größeren Maße abgebaut wird.
Es wird mit Sicherheit zu weiteren Verschiebungen kommen. Aber solange die Rohstoffe da sind, ist es immer günstiger, sie vor Ort zu gewinnen. Da ist einfach eine langfristige, vorausschauende Planung notwendig. Wir beklagen uns, in Deutschland Genehmigungsverfahren von zehn Jahren Dauer und länger zu haben. In Schweden dagegen gibt es eine restriktive Befristung der Verfahrensdauer. Diese führt aber häufig zu einer frühzeitigen Ablehnung von Projekten, die mitunter genehmigungsfähig gewesen wären. Es gibt also nicht die einzige beste
Lösung.