Wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, geht oft Wissen verloren. Professionelles Wissensmanagement kann diesem Exodus vorbeugen und auch KMU helfen, ihr Wissenskapital effizienter zu nutzen.
Informationen sind im digitalen Zeitalter das wertvollste Gut, vor allem jene Informationen, die nicht allgemein zugänglich sind. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin besitzt spezifische fachliche Kompetenzen, die sie sich durch eigene Erfahrungen, Lernphasen und im Austausch mit Kollegen oder Experten angeeignet haben und für den langfristigen Erfolg eines Unternehmen und ein unschätzbares Kapital darstellen.
Ab 2020 ist eine Zäsur zu erwarten: Der demografische Wandel kommt voll zum Tragen. Die Baby-Boomer-Generation, also die geburtenstarken Jahrgänge geboren bis Mitte der 1960er-Jahre, geht in Pension. Rund 40 % der Mitarbeiter verlassen die Betriebe. Zu diesem Zeitpunkt wird jedes Unternehmen einen massiven Know-how-Verlust erleben – sofern nicht für den Erhalt dieses Wissens vorgesorgt wurde. Und zwar rechtzeitig: Wenn Kunden merken, dass niemand mehr ihre Frage adäquat beantworten kann, ist es zu spät.
Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten von Wissen: Explizites Wissen, das in Texten, Videos, Grafiken etc. detailliert dokumentierbar ist, macht nur etwa 20 % aus. Implizites – stilles – Wissen, das nur in den Köpfen gebunden ist und dessen sich viele Personen gar nicht bewusst sind, umfasst dagegen rund 80 %. Meist handelt es sich um Erfahrungswissen, automatisierte Verhaltensmuster oder spezielle Fähigkeiten – zum Beispiel wer ihre Ansprechpartner sind, welche Informationsquellen sie nutzen und wo ihre Tätigkeiten über das eigentliche Jobprofil hinausführen. Um dieses Schlüsselwissen zu identifizieren, aufzubereiten und zugänglich zu machen, bedarf es eines effizienten Wissensmanagementsystems.
Einmal im Zuge einer Bestandsaufnahme eingerichtet und stetig ergänzt und aktualisiert, bringt eine solche Wissensdatenbank in der täglichen Arbeit eine erhebliche Zeitersparnis und Qualitätssteigerung. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Neue Mitarbeiter können auf Checklisten und Anleitungen zu Arbeitsabläufen zurückgreifen.
Übersichtliche Struktur
Seitens der Softwarehersteller gibt es inzwischen eine ganze Reihe intelligenter Big Data-Lösungen, die auch das Benutzerverhalten mitverfolgen können. Die Mitarbeiter erstellen eigene Wissenskategorien und legen relevante Dokumente direkt ab. In Strategiezielen wird festgelegt, welches Wissen zur Wertschöpfung und zum Unternehmenserfolg beiträgt. Sogenannte »Knowledge-based Systems« gleichen dann regelmäßig über Relevanzprofile und Scorings ab, auf welches Wissen häufig zugegriffen wird und deshalb ausgebaut werden sollte bzw. was möglicherweise nicht mehr benötigt wird.
Neben einer sinnvollen, übersichtlichen Struktur ist die grafische Darstellung von entscheidender Bedeutung, ob das Wissensmanagement-Tool von den Mitarbeitern angenommen und im Alltag aktiv genutzt und weiterentwickelt wird. »Der Hauptfokus liegt hier darauf, Nutzungsbarrieren abzubauen oder so gering wie möglich zu halten und Zugang zu den Wissensträgern zu ermöglichen«, erklärte Werner Herzog, Consultant der HC Solutions GmbH, bei den 5. Wissensmanagement-Tagen in Krems.
"Die Zauberformel heißt Kommunikation: Nur wenn alle vom Mehrwert überzeugt und bereit sind, ihren Wissenschatz zu teilen, kann das Vorhaben gelingen."
Zunächst ist die Einführung eines Wissensmanagements eine Führungsaufgabe. Das Ziel einer lernenden Organisation ist es ja, das Wissenspotenzial der Mitarbeiter zu vergrößern, um dadurch die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern. Der Erfolg steht und fällt jedoch mit den Mitarbeitern – sie müssen den Sinn erkennen und bereit sein, ihr Wissen zu teilen. Denn vor allem zu Beginn bedeutet das Erfassen und Ordnen des persönlichen und organisationalen Wissens zusätzliche Arbeit. Erst mit dem Wachsen zu einer breiten Wissensdatenbank, die einen abteilungsübergreifenden Wissenstransfer möglich macht und zum Abbau von Wissensmonopolen beiträgt, wird der Nutzen greifbar. Zudem ist das Feedback der Mitarbeiter notwendig, um das System stetig zu optimieren und das Onboarding neuer Kollegen zu erleichtern.
Key-User als Multiplikatoren
Experten empfehlen, mit einem begrenzten, überschaubaren Unternehmensprozess zu starten, wo bereits mit kleinen Maßnahmen große Wirkungen erzielt werden können. Der individuelle Nutzen für die Mitarbeiter muss nachvollziehbar sein. Durch gezielte Einbindung von Key-Usern als Multiplikatoren kann die Implementierung beschleunigt werden. Die Zauberformel heißt Kommunikation: In der Projektarbeit erzeugt der kontinuierliche Wissens-transfer zwischen den Mitarbeitern ein Wir-Gefühl. Wissensmanagement sichert das Fakten- und Erfahrungswissen für künftige Vorhaben. Nur wenn alle Beteiligten von diesem Mehrwert überzeugt sind und auch bereit sind, ihren Wissensschatz zu teilen, kann das Vorhaben gelingen.
Das Vorarlberger Unternehmen Meusburger Georg GmbH & Co KG ist Marktführer im Bereich hochpräziser Normalien und vertraut auf die sogenannte »WBI-Methode« (»Wissen besser integrieren«), welche 1995 von Firmengründer Georg Meusburger selbst entwickelt wurde. Ihm waren bei einem Rundgang durch den Betrieb Notizzettel aufgefallen, die Mitarbeiter an Maschinen oder einzelnen Produktionsstationen als Hilfe für die Steuerung und bei wiederkehrenden Problemen angebracht hatten. Er tippte diese Notizen ab und ließ sie von den Mitarbeitern korrigieren und ergänzen. Diese Dokumente bildeten den Grundstock für die erste Kategorisierung des firmeninternen Wissens. Der Sohn des Gründers und heutige Geschäftsführer Guntram Meusburger führte das analoge System ins digitale Zeitalter, am Prinzip eines nutzerfreundlichen Intranets hat sich nichts geändert. Inzwischen sind dort mehr als 4.600 Wissensdokumente erfasst. 2015 wurde das Unternehmen in Stuttgart als »Exzellente Wissensorganisation« ausgezeichnet. Meusburger packte seine rund 20-jährige Erfahrung in das Buch »Wissensmanagement für Entscheider«, in dem die praxisnahe Methode detailliert beschrieben ist.
Erfahrungsschatz konserviere
Vom Ein-Mann-Betrieb zum weltweit tätigen Unternehmen mit Verkaufsniederlassungen in China, Indien, Mexiko, der Türkei und den USA aufgestiegen, zeigt das Familienunternehmen vor, dass Wissensmanagement unabhängig von der Betriebsgröße und schon in einfachem Rahmen funktioniert. »Wissensmanagement kann – bis zu einem gewissen Umfang – auch analog betrieben werden. Das bestätigt unsere Firmengeschichte: Auch bei uns gab es in den ersten Jahren nur Papierordner mit einzelnen ausgedruckten Dokumenten und einem Inhaltsverzeichnis zur Übersicht«, erzählt Guntram Meusburger.
Ein firmeneigenes Wikipedia, für das jeder Mitarbeiter Artikel oder Informationen zu seiner Tätigkeit verfasst, ist eine häufig praktizierte Lösung. Die Würth Elektronik ICS etablierte beispielsweise ein Wiki für das technische Projektmanagement im Bereich Entwicklung. Darüber hinaus setzt das IT-Unternehmen die Methode »Lessons Learned« in Workshops ein, um Erfahrungswissen aus Projekten zu sichern.
Denn nicht alle Informationen können festgeschrieben werden, sondern sind nur über das gemeinsame Tun nachvollziehbar. Eine frühzeitige Einbindung der älteren Mitarbeiter in den Wissenstransfer kann den Braindrain infolge der Pensionierungswelle abfangen. Die Schweizer Unternehmensberaterin Susan Herion empfiehlt, ältere Angestellte gezielt zu Mentoren zu machen: »Daten und Informationen können leicht maschinell erfasst werden, praxisnahes Wissen ist aber immer personenbezogen. Deswegen ist der persönliche Kontakt so wichtig.« Unternehmen wie BASF oder Bosch haben diesen Austausch institutionalisiert, indem sie in speziellen Mentoring-Programmen mit Jobsharing-Tandems aus jeweils einer älteren und einer jüngeren Arbeitskraft den Erfahrungsschatz konservieren.