Haben Sie schon mal was von »Amygdala« gehört? Change Manager sollten diesen Begriff jedenfalls kennen. Dieser Teil im limbischen System unseres Gehirns steuert unsere Emotionen – und die sollten bei Veränderungen immer berücksichtigt werden. Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.
Auch als »Mandelkern« bezeichnet, wird der Amygdala eine wesentliche Rolle bei der Gefahrenanalyse und der Entstehung von Angst zugeschrieben. Seit Jahrmillionen reagieren wir angesichts von Gefahr mit drei Grundreaktionen: Flucht, Angriff oder Totstellen. Und auch wenn wir heute den Faustkeil mit dem Handy getauscht haben, funktionieren unsere emotionalen Grundmuster 1:1 wie in der Steinzeit. Im Fahrersitz sind immer die Gefühle. Sie sind sofort da und dominieren unser Verhalten. Der Verstand findet dann im Nachhinein passende »rationale« Erklärungen dazu. Diese Tatsache ist für uns auch im 21. Jahrhundert genauso wenig merkbar wie das Vorhandensein der Schwerkraft.
Für einen Erwachsenen ist es also durchaus »rational«, tendenziell eine Scheu vor Veränderung zu haben. Immer wenn ich mein angestammtes, bekanntes Territorium verlasse, habe ich potenziell mehr Gefahren vor mir, die ich nicht kenne. Dieser Autopilot in uns kann zwar bewusst außer Kraft gesetzt werden, aber dazu braucht es gute innere Gründe. Veränderung und Anpassung passieren natürlich permanent, sonst wäre die Menschheit schon lange ausgestorben. Dennoch erfolgt nachhaltige Veränderung im Allgemeinen nur aus zwei persönlichen Leitmotiven heraus: aus Not oder aus Nutzen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum sich gerade Change Manager in Bereichen der menschlichen Psyche zumindest in groben Zügen auskennen sollten, bevor sie sich auf diese Verantwortung einlassen. Veränderung in Organisationen, die sich nur mit den – natürlich notwendigen – Ebenen der Strategie, der Strukturen und der Prozesse beschäftigen und den emotionellen und kulturellen Besonderheiten nicht ausreichend Raum und Bedeutung einräumen, haben eine ganz ausgeprägte Tendenz zu scheitern.
Change Management heißt nicht, den Super-Tanker präzise vom alten in den neuen Hafen zu steuern. Tatsächlich ist Change Management viel eher vergleichbar mit einem »Navigieren beim Driften«. Vieles ist nicht steuer- und beherrschbar und trotzdem muss man versuchen, den eingeschlagenen Kurs immer zu halten. Es versteht sich von selbst, dass es für den Kapitän äußerst hilfreich ist, wenn sich die Mannschaft auch als »ins selbe Boot gehörig« fühlt. Das möglich zu machen, ist gerade in der Ausnahmesituation eines laufenden Veränderungsprojektes eine Führungsherausforderung. Es geht am allerwenigsten über großhirndominierte Zahlen, Daten und Fakten, sondern über die Ansprache viel älterer Hirnregionen. Als Change Manager muss ich zum Beispiel um die Bedeutung von Vertrauen Bescheid wissen. Ich muss die verschiedenen Botschaften, die im Konzept Widerstand implizit enthalten sein können (wie nicht verstehen, nicht können, nicht wollen, nicht übereinstimmen), richtig interpretieren können und nicht einfach nur pauschal bekämpfen. Ich muss mir auch über die Bedeutung von permanenter und zielgerichteter Kommunikation in Zeiten der gefühlten Bedrohung klar sein. Gerade für das Gelingen von Change-Projekten könnte es sich also lohnen, wenn man neben dem Kopf auch immer den Bauch berücksichtigt.
Der Autor
Herbert Strobl ist Management-berater und Entwicklungsbegleiter mit Schwerpunkt auf Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre Führungserfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet seit vielen Jahren als systemischer Unternehmensberater, Executive-Coach und Wirtschaftsmediator. www.herbertstrobl.cc