Testen von Software mithilfe von Schwarmintelligenz und der Arbeitskraft der Internetgemeinde? Georg Hansbauer, Gründer von Testbirds, über das Modell "Crowdtesting".
Report: Sie bieten als Service für die Wirtschaft Produkttests mittels "Crowdtesting" an. Was verstehen Sie darunter? Wie läuft ein solcher Test ab?
Georg Hansbauer: Obwohl es Crowdtesting erst seit einigen Jahren gibt, hat sich die Methode mittlerweile fest im Bereich des Softwaretestings etabliert. Der Begriff ist eine Kombination aus den beiden Termini Crowdsourcing und Softwaretesting. Das bedeutet, dass man Software mithilfe der Internetgemeinde testet: Von traditionellen Apps, Webseiten und Games bis hin zur intelligenten Brille und dem smarten Babyphone wird alles auf Herz und Nieren überprüft. Das übernimmt aber nicht der Entwickler, sondern die Internetgemeinde, Teil derer Personen mit den unterschiedlichsten demographischen Merkmalen weltweit sind, die auf ihren eigenen Geräten testen und Feedback zur Anwendung geben. Diese Gemeinschaft nennt sich die Crowd.
Je nach Umfang kann ein Projekt innerhalb von nur weniger Tage umgesetzt werden. Den einen Standardtest gibt es jedoch nicht. Jeder Kunde hat andere Anforderungen, deshalb wird jedes Projekt individuell zugeschnitten. Beispielsweise werden zwei Arten des Testings unterschieden: Das sogenannte funktionale Testing lässt die Crowd auf die Suche nach Programmfehlern gehen und dient eher der technischen Seite der Qualitätssicherung auf verschiedenen Geräten und Betriebssystemen. Typische Bugs sind beispielsweise Fehlermeldungen, ein Absturz, oder das „Aufhängen“ einer Anwendung. Auf der anderen Seite steht das Usability-Testing, das wiederum die Benutzerfreundlichkeit auf den Prüfstand stellt. „Wie ist die Handhabung?“ „Gefällt mir das Design?“ Natürlich können die Testarten auch kombiniert werden. Das nennt sich dann „BugAbility“-Testing.
Der Ablauf unterscheidet sich je nach gewähltem Servicelevel: Im Managed Service wird der gesamte Prozess von einem erfahrenen Projektmanager begleitet, der auch die Ergebnisse auswertet und konkrete Handlungsempfehlungen formuliert. Jederzeit selbst Herr der Lage ist der Kunde im Self-Service. Er bekommt direkten Zugriff auf die Plattform und kann seine gewünschten Tester, Geräte und Plattformen anhand begrenzter Kriterien selbst auswählen.
Report: Was kann eine anonyme Masse an Testern besser als Experten bei etablierten Marktspielern?
Hansbauer: Unsere Welt erlebt momentan eine Tech-Explosion. Wir sind umgeben von smarten Objekten, und jeden Tag gesellt sich ein weiteres Gerät zu der Reihe an sprechenden Handys, denkenden Kühlschränken und raffinierten Kaffeemaschinen. So faszinierend es auch ist, Zeuge dieser Entwicklung zu sein, stellt die zunehmende Komplexität auch ein Problem dar. Unter dem ständig wachsenden Wettbewerbsdruck und den immer kürzeren Entwicklungszyklen befinden wir uns so weit von der perfekten Anwendung entfernt wie schon lange nicht mehr. Das magische Wort heißt Testen. Und wer könnte besser beurteilen, ob die Software auch in der Realität bestehen kann, als die echte Welt selbst?
Beim Crowdtesting können aus einem riesigen Pool an Testern genau die herausgesucht werden, die der Zielgruppe entsprechen. Deren Feedback ist unvoreingenommen und kann helfen, Software auch an den Punkten zu verbessern, an die vorher kein Gedanke verschwendet wurde. Welcher Entwickler kann schon Student, Manager, Hausfrau und IT-Experte in einem sein? Testet die Großmutter den Versicherungsrechner für Rentner und die werdende Mutter das internetfähige Babyphone, wird die Usability direkt vom Endanwender geprüft. Großmutter und werdende Mutter testen natürlich auf ihren eigenen Geräten, die jeden Tag genutzt werden und die Lieblingsapps bereits installiert haben. Eine große Crowd bietet so Zugang zu jeder nur vorstellbaren Betriebssystem- und Gerätekombination – eine interne Testabdeckung in diesem Ausmaß ist so gar nicht möglich. In Bahn, Bett oder auf der Party – auch in Zeiten der Mobilität wird Crowdtesting immer wichtiger: Verschiedene Verbindungsgeschwindigkeiten und –typen können überall auf der Welt ohne Simulation überprüft werden. Zu allerletzt fällt es normalerweise schwer, interne Qualitätssicherungsprozesse ständig anzupassen. Crowdtesting hat diese Einschränkungen nicht: Alle Tester sind Freelancer, die jederzeit bereit sind zu arbeiten. Diese früher unvorstellbare Flexibilität reißt die alten Grenzen der Qualitätssicherungsprozesse ein.
Auf die Frage, was nun besser ist, ein Test durch die Crowd oder durch den Experten, muss zunächst einmal eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob beide Herangehensweisen sich tatsächlich gegenseitig ausschließen. Beide Methoden sind unterschiedlich, keine Frage. Und doch haben sie eine ganz besondere Stärke: Sie ergänzen sich.
Report: Sie bieten auch zielgruppenspezifische Tests an - welche Gruppen sind denn besonders gefragt?
Hansbauer: Für einen Zielgruppentest gibt es tausende verschiedene Kombinationen. Bei Testbirds unterscheiden wir unsere Crowd nach über 60 demographischen Merkmalen, um den letztendlichen Endanwender so perfekt wie nur irgendwie möglich darstellen zu können. Das reicht vom einem Extrem zum anderen, denn von kaum- bis stark-definierter Zielgruppe ist hier alles dabei. Ein paar Beispiele:
Viele Zeitungen haben eine breite Leserschaft – so auch die zugehörigen Apps: Für Süddeutsche.de führten wir einen Test mit einer heterogenen Zielgruppe zwischen 18 und 60 Jahren durch. Ein Test, der ein klein wenig spezifischer war, war der der CeBit/Deutsche Messe AG. Kundenvorgabe: Deutsche Tester im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, die ihr Smartphone mindestens zwei Stunden am Tag nutzen. Und zu guter Letzt landen auch die außergewöhnlichsten Dinge in unserem „Nest“: Diabetiker mit dem Messgerät einer bestimmten Marke, die auch noch ein bestimmtes iPhone-Modell haben? Junge Frauen aus Stockholm, die direkt vor Ort in einen Store zum Testen gehen und ein bestimmtes Handy haben? Kein Problem – denn das ist der Kern des Crowdtestings: Die nach einer Vielzahl von Kriterien unterscheidbare Crowd.
Report: Lassen Ihre Erfahrungen mit Schwarmintelligenz Rückschlüsse auch auf andere Bereiche zu? Welche Unternehmensprozesse und Branchen könnten sich ebenfalls auf diese Weise noch ändern?
Hansbauer: Die Digitalisierung der Welt hält Einzug – und mit ihr auch der Begriff der „Crowd“. Was seinen Anfang im Crowdsourcing fand – die Auslagerung interner Aufgaben an eine Gruppe Freiwilliger über das Internet – streut jetzt in die verschiedensten Richtungen. Unternehmen fangen an, das Potential großer Online-Communities in ihren eigenen Projekten zu erkennen – und auch zu nutzen: Crowd ist das Wort des Tages. Gerade im IT-Bereich ist das Thema ganz groß, das in der Open-Source-Bewegung, die in Mozilla ihren wohl berühmtesten Vertreter gefunden hat, verwurzelt ist. Doch ebenso für Entwickler oder beispielsweise bei der Erstellung von SEO-Texten ist Crowdsourcing von Bedeutung und kann einen unschätzbaren Beitrag leisten. Unter den zahlreichen Subkategorien des Crowdsourcings findet sich neben dem Crowdtesting auch die sogenannte Crowd-Innovation. Während zunächst einmal das Konzept der Open Innovation ins Leben gerufen wurde, das Innovationsprozesse erstmals auch über Unternehmensgrenzen hinaus für externe Ideen geöffnet hat, wird dieses nun revolutioniert und für die Allgemeinheit ganz offenkundig sichtbar, da die gesamte Internetgemeinde aufgerufen wird, Lösungsvorschläge zu generieren.
Neben der Crowd-Innovation ist auch das Crowdfunding in den Gattungen des Crowdsourcings angesiedelt: die Finanzierung eines Projektes durch die Menge der Internetnutzer. Und soll Arbeit an die Internetgemeinde ausgelagert werden, nennt man das wiederum Crowdworking. Immer mehr Menschen nutzen die neue Art des zeit- und ortsunabhängigen Geldverdienens, während auf der anderen Seite Unternehmen Zugang zu einer Vielzahl an potentiellen Arbeitskräften und Experten erhalten.
Fakt ist: In vielen Branchen gibt es Veränderungen und davon sind tausende von Unternehmen betroffen. Die Zukunft mitsamt einiger Veränderung wird kommen – nun ist es an uns, diese anzunehmen und zu nutzen.