Im Gespräch mit dem Energie Report berichtet Atos-Manager Wolfgang Domann über Smart-Meter-Projekte in Europa und warum der IT-Dienstleister ein geeigneter Partner für Evaluierungen und Rollouts ist.
Wolfgang Domann hat in den letzten beiden Jahren den Vertrieb bei Atos in den Segmenten Energie und Utilities, Telcos und Medien geleitet und verantwortet heute das komplette Consulting- und Integration-Geschäft – rund die Hälfte des Geschäfts des IT-Dienstleisters – in Österreich.
Report: Seit wann beschäftigt Sie das Thema Smart Metering? Welche Erfahrungen kann Atos hierzu vorweisen?
Wolfgang Domann: Bereits ab 2004 haben wir in Norditalien den Rollout von in Summe rund 2 Mio. Zählern unterstützt und ein zentrales Informationssystem für die Datenerfassung geliefert. Wir haben dort erstmals so etwas wie eine Private Cloud für Smart-Meter-Systeme betrieben. Damals hat man diesen Begriff nicht verwendet, unser mandantenfähiges System wurde aber bereits von gut 30 Energieversorgern und Utilities genutzt. Atos hat die Daten der Zähler gesammelt und für jedes Unternehmen getrennt voneinander verwaltet, sodass jeder Kunde einfach mit seinen Daten arbeiten konnte, etwa zum Erstellen von Rechnungen. Größter Kunde damals war mit 1 Mio. Zählern der Netzbetreiber A2A in Mailand. Sie waren die Ersten in Europa, die einen Massenrollout umgesetzt hatten – für uns ein Meilenstein in der Arbeit mit intelligenten Zählern. Die Netzbetreiber hatten sich zu dem gemeinsamen Projekt entschlossen, da die Smart-Meter-Technologie vor zehn Jahren sehr schwer zu beherrschen war.
Report: Hat diese Zusammenarbeit in Europa Schule gemacht?
Domann: Wir sehen nicht, dass dies in anderen Ländern ebenso gemacht worden wäre. Grund dafür sind allerdings lokale regulatorische Anforderungen, und auch wie Energieversorger prinzipiell aufgestellt sind und denken. Das zweite große Projekt von Atos ist das Leuchtturmprojekt schlechthin in Europa, ein Pilot in Frankreich mit 300.000 Zählern in Lyon und in der ländlichen Region Touraine. Atos hat hier die Gesamtverantwortung übernommen, das Protokoll und die Kommunikationstechnologie definiert. Der Nachfolger des damals entstandenen »Power Line Communication«-Protokolls (PCL) ist jetzt als als G3 PLC-Standard bekannt. Er garantiert die Kompatibilität und Zusammenarbeit der Hardware von unterschiedlichen Herstellern. Wir hatten in dem Projekt auch den Konzentrator, der die Daten sammelt, spezifiziert. Dieser war mit seiner Programmiermöglichkeit bereits für Smart-Grid-Funktionen ausgelegt. Ebenfalls hat Atos das zentrale Informationssystem dazu erfunden und die Hardware ausgewählt. Landis+Gyr, Itron und Iskraemeco haben Zähler geliefert, die untereinander vollständig kompatibel waren. Man kann sie sogar untereinander austauschen, das System funktioniert trotzdem weiter. Das gibt es sonst in Europa nirgendwo. Wir hatten die Kommunikationsverantwortung vom Zähler bis zum Verrechnungssystem. Dieser Riesenpilot hat letztlich knapp fünf Jahre gedauert. Das System ist auf 35 Mio. Zähler ausgelegt und die ERDF beginnt jetzt mit einigen Jahren Verzögerung, es in ganz Frankreich sukzessive auszurollen.
Vor kurzem haben wir ein weiteres Projekt in Luxemburg gewonnen. Gemeinsam mit Sagemcom rollt Atos 300.000 Zähler für Luxmetering in den nächsten Monaten aus.
Report: Sind die heimischen Netzbetreiber hier im Verzug?
Domann: Keineswegs. Verglichen mit anderen westeuropäischen Ländern befindet sich Österreich vor anderen und auch weit vor Deutschland, das sich mit den hohen Anforderungen an Security – und der Verordnung, dass Smart Meter erst ab einem Verbrauch von 6.000 KWh vorgeschrieben sind – Probleme in der Umsetzung einhandelt. Gerade PLC funktioniert ja nur dann gut, wenn die Konzentratoren flächendeckend ausgerollt sind und die Kommunikation von einem zum anderen Zähler möglich ist.
Wir sehen heute eigentlich nur Vorteile für Netzbetreiber in Österreich, die mit dem Rollout zugewartet haben. Während die erste Smart-Meter-Generation, die in Italien, Frankreich und auch in Pilotprojekten in Österreich installiert worden ist, nur auf Strecken bis zu 2 km kommunizieren kann, arbeiten G3-Zähler bereits mit einer höherfrequenten Modulation. Der neue Standard G3, den wir auch gerade in Luxemburg einsetzen, schafft überhaupt bis zu 6 km Kommunikationsstrecke bei gleichzeitig besserer Datenübertragungsqualität und höherer Erreichbarkeit der Geräte. Mit G3 sind auch die Zähler von Haus aus untereinander interoperabel – man muss dies nicht mehr extra fordern. G3 berücksichtigt ebenso wie der IEEE-Standard auch IP-Kommunikation. Netzbetreiber können nun basierend auf PLC, WLAN oder Mobilfunk Kommunikationsinfrastrukturen ausrollen. Beide Standards garantieren die Interoperabilität aller Komponenten. Deswegen ist es gut, dass in den vergangenen zwei Jahren niemand in Österreich einen großen Rollout unternommen hatte. Die Industrie hatte noch nicht die entsprechenden Produkte.
Report: Wie sehen die Anforderungen an Smart Meter in Österreich aus? Sind diese strenger als in anderen Ländern?
Domann: Es gibt in den Verordnungen spezifische Anforderungen an die Zähler. Praktisch jeder Lieferant, der hier etwas verkaufen will, muss eigene Österreichzähler entwickeln und bauen. Ob sie das tun werden und dazu der Markt groß genug ist, wird sich herausstellen. Das ist sicherlich eine Herausforderung für die Hersteller, die noch etwas Zeit benötigt. Regulatorische Anforderungen gibt es auch in den anderen Ländern, doch sind diese nicht so extrem wie in Österreich. An der Spitze hier aber ist Deutschland, mit seinen strengeren Sicherheitsanforderungen. Doch auch diese können wir bewältigen. Aus unseren Erfahrungen im Paymentbereich heraus haben wir eigene IT-Lösungen entwickelt, deren Sicherheitsfunktionen bereits von Herstellern in ihren Meter-Systemen eingesetzt werden. Sie entwickeln sich derzeit quasi zu einer Art Standard.
Report: Gehen sich die großen ausständigen Rollouts – wenn man an Wien Energie oder EVN denkt – überhaupt in dem vorgegebenen Zeitraum noch aus?
Domann: Auf jeden Fall. Bis 2015 müssen alle Netzbetreiber in Österreich 10 % ihres Versorgungsgebietes mit Smart Meter ausgerollt haben. Bis 2019 soll dann der volle Rollout passiert sein. Diese Vorgaben wurden zuletzt etwas abgeschwächt. Alternativ können nun bei einem Verfehlen des ersten Meilensteins dem Regulator auch Pläne vorgelegt werden, wie der Rollout trotzdem bis 2019 umgesetzt wird.
Report: Was hat Atos in Österreich in diesem Bereich umgesetzt? Gibt es Projekte?
Domann: Das größte Projekt in Österreich ist die Beratung und Begleitung eines sehr großen Smart-Meter-Programms der Salzburg AG. Die Salzburger haben ihr Programm in 15 verschiedene Projekte unterteilt – angefangen bei Geschäftsprozessen und Produkten bis zu jedem anderen Bereich, der in irgendeiner Weise von den Zählern beeinflusst wird. Sie prüfen nun umfassend alle Möglichkeiten und Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wird Atos mit zehn bis fünfzehn Beratern mitarbeiten, Anforderungen an das Gesamtsystem gestalten und auch das Coaching und Change-Management begleiten. Wir unterstützen die Salzburg AG bei der Erstellung der Gesamtarchitektur einschließlich der geforderten Security und bei der Frage, welche Kommunikationstechnologie verwendbar ist.
Unsere Stärke ist, dass wir der einzige IT-Anbieter sind, der vom Zähler und der Kommunikation über den Konzentrator und das zentrale Informationssystem bis zur Integration in Billing und Verrechnung die gesamte Prozesskette beherrscht. Dieses umfangreiche Know-how werden Sie meiner Meinung nach woanders kaum finden – IT-Unternehmen haben das normalerweise nicht. Andere verfügen wiederum nicht über tiefgreifende IT- beziehungsweise Systemintegrationserfahrung. Unser Kerngeschäft ist seit jeher die Systemintegration und wir haben dazu allein 150 SAP-Berater in Österreich. Die User-Interfaces für Smart Metering und den Kundenservice werden von SAP-Systemen gebildet. Hier über genügend Know-how und Ressourcen zu verfügen ist für den Erfolg essenziell.
Das Unternehmen
Der IT-Dienstleister Atos hat 76.000 Mitarbeiter und ist international tätig. Nach dem Kauf der Siemens-IT-Sparte 2011 hat Atos 2014 das IT-Unternehmen Bull akquiriert und dessen 10.000 Mitarbeiter vollständig integriert – davon knapp 40 in Österreich. Ende des Vorjahres hat Atos eine auf IT-Outsourcing spezialisierte Unternehmenssparte von Xerox erworben, um die Präsenz in Nordamerika zu stärken. Die Atos-Organisation in Österreich ist für insgesamt 14 Länder in der Region CEE zuständig und verfügt über 1.600 Mitarbeiter.