Thorsten Boch von Matrix42 über die Frage, ob Unternehmen Windows 10 als trojanisches Pferd fürchten müssen, oder die Chance nutzen, "ein zeitgemäßes Paradigma anzuerkennen".
Microsoft liefert die neue Version des auf breiter Basis verwendeten Betriebssystems Windows an Privatleute sowie Unternehmen aus. Es soll angeblich „die letzte Version“ sein und der große Wurf werden, der Windows 8.x schon sein wollte. Während Windows 7 ein rundherum gutes und stabiles System ist und viele Unternehmen den Umstieg von XP erst vor kurzem bewältigt haben, droht ihnen nun mit Windows 10 die nächste Welle. Microsoft geht neue Wege und diese scheinen nur ein Ziel zu haben: die nagelneue Version so schnell wie möglich auf möglichst viele Geräte zu bekommen.
Viel beachtet und diskutiert war schon seit Wochen die Ankündigung, das Update sei kostenlos. Zunächst schien es, als ob es eine Zeitungsente gewesen wäre, da sich die Meldungen widersprachen. Zuerst hieß es, alle würden kostenlos umsteigen können, dann wieder nur Privatleute, dann jene, die an der Testphase teilgenommen hatten. Nun liegen validere Informationen dazu vor. Wie es aussieht gibt es grundsätzlich fast keine Einschränkungen, auch Unternehmen sollen ihre Geräte innerhalb eines Jahres kostenlos mit der neuen Version versehen können.
Doch das ist für Unternehmen keineswegs ein Weg ohne Kopfschmerzen. Nach den mir vorliegenden Informationen sieht Microsoft das Einspielen von Windows 10 über Windows Update vor. Je nachdem wie eng Unternehmen den Prozess der Computerverwaltung handhaben, je nachdem wie viele mitarbeitereigene Geräte am Arbeitsplatz genutzt werden, kann es bedeuten, dass Windows 10 quasi mit dem Rammbock durch die Pforte kommt. Mitarbeiter sind von sich aus neugierig und werden der Verlockung nicht widerstehen können, das Angebot zum Upgrade anzunehmen, zumal es kostenlos ist. Der Helpdesk wird sich also sehr früh mit der neuen OS-Version und seinen Kinderkrankheiten auseinandersetzen müssen. Aber es gibt noch andere Gründe für Kopfschmerzen.
Was heißt das für die Compliance?
Berichten zufolge handelt es sich bei dem kostenlosen Upgrade um eine Retailversion. Wie bei Lizenzen dieser Art üblich, kommt dabei kein Recht auf Downgrade mit. Entsprechend betreten alle Nutzer, die dem Upgrade aus Windows 10 zustimmen, möglicherweise eine Einbahnstraße. In den Lizenzbedingungen der Retailversion zu Windows Pro 8.1 stand klar und deutlich, dass eine Rückkehr zur vorherigen betriebenen Version nicht zulässig sei. Es wäre juristisch interessant zu beurteilen, ob eine solche Regelung rechtskräftig sein kann. Immerhin haben Privatpersonen und Unternehmen gültige Lizenzen für die bis dahin genutzte Version. Sollten diese tatsächlich entwertet sein? Ich halte das für diskutabel. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie denn Unternehmen bei einem späteren Audit ihre Compliance darstellen können. Die Windows 10 Retaillizenzen werden in den Übersichten der erworbenen Volumenlizenzen nicht auftauchen.
Software Assurance als Rentenvertrag?
Als letzten Punkt, auf den ich eingehen will, wäre da noch die Frage der Systemwartung. Windows Update wird – nachdem ein Gerät kostenlos auf Windows 10 aktualisiert wurde – sowohl Sicherheitsupdates, als auch Funktionserweiterungen ausliefern. Windows 10 Professional basiert entweder auf dem sogenannten „Current Branch“ oder dem „Current Branch for Business“ (CBB). In beiden Optionen kann der Anwender nicht mehr verhindern, dass zukünftige Updates auch zusätzliche Funktionen installieren. Der einzige Weg dies zu verhindern, ist die Verwendung der Enterprise Version. Diese basiert auf dem „Long Term Service Branch“ (LTSB) und erlaubt den kontrollierten Aufschub oder gar Ausschluss funktioneller Updates. Wie man weiß erfordert die Verwendung von Windows Enterprise jedoch eine gültige Software Assurance (SA). Auf Unternehmen, die das Betriebssystem bisher nicht unter SA hatten – z. B. weil die Aktualisierungszyklen viel zu weit auseinander liegen, so dass sich das Recht auf neue Versionen finanziell nicht rechnete – kommen zusätzliche Kosten hinzu. Darüber hinaus bringt die Beendigung der Software Assurance zusätzliche Konsequenzen mit sich. Damit würde konsequenterweise das Recht erlöschen, Windows Update auf Patches zu reduzieren und den aktuellsten LTSB zu verwenden. Damit Unternehmen nach dem Ende der SA diesbezüglich lizenzkonform sind, müssten alle Geräte auf Windows 7/8.1 Pro, Windows 10 Pro oder zumindest auf den letzten Stand des Windows 10 Enterprise LTSB gebracht werden. Das dürfte auf eine komplette Neuinstallation hinauslaufen! Ansonsten dürfte es bei einem Audit dazu kommen, dass die eingesetzte Version nicht mehr compliant ist und die eigentlich gekündigte SA per Audit wiederauflebt - eine finanziell sicherlich schädliche Situation für Unternehmen.
Am Beginn einer neuen Ära?
Microsoft, so scheint mir, nutzt Windows 10 – insbesondere mit dem Lockangebot eines kostenlosen Upgrades – um neue Lizenzbedingungen mit Macht in die Unternehmen zu treiben. Lizenzbedingungen, die neue Paradigmen generieren und Software Assurance zu einer Art Rentenvertrag werden lassen. Es könnte aber durchaus auch der Beginn einer neuen Philosophie für Unternehmen im Zusammenhang mit Betriebssystemen werden. Die könnte lauten: Das Betriebssystem lebt für sich, es aktualisiert sich, wir müssen damit leben, wir haben keine Kontrolle mehr. Im Bereich der Smartphones ist das ja schon immer so. Der Benutzer entscheidet selbstständig, ob und wann er die neueste Version des Herstellers einspielt. Skeptiker können das in der Regel solange hinausschieben, bis verwendete Applikationen einen bestimmten aktuellen OS-Stand abverlangen. Statt über Migrationen nachzudenken, müssen sich Organisationen darum kümmern, möglichst schnell neue Versionen zu unterstützen – mit Applikationen und im Anwendersupport. Unternehmen werden sich entscheiden müssen - Windows 10 als trojanisches Pferd zu fürchten oder die Chance zu nutzen, ein zeitgemäßes Paradigma anzuerkennen.
Über den Autor
Torsten Boch ist seit 2006 Produktmanager bei Matrix42 im Bereich „Compliance“ mit den Schwerpunkten License, Asset und Contract Management. Davor war er 15 Jahre als Entwickler, Berater und Projektleiter bei verschiedenen Unternehmen für die Gestaltung und den Einsatz von Standardsoftware verantwortlich. Er ist Diplom Betriebswirt mit einer Spezialisierung auf Steuer- und Handelsrecht sowie Bilanzierung und Buchführung.