Was einen Spanier, eine Ägypterin und eine Amerikanerin samt Familie dazu bringt, nach Tirol zu ziehen – und warum professionelles Onboarding ein doppelter Gewinn ist. Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.
Eine kleine Gemeinde im Tiroler Unterland. Ein Schweizer Pharmakonzern hat dort eine große Produktionsstätte und benötigt Spezialisten aus der ganzen Welt. Tiroler haben sich nun zwar prächtig mit dem Tourismus arrangiert, aber Weltoffenheit an sich ist nicht gerade ein Tiroler Leitmotiv (als gebürtiger Tiroler darf der Autor dieses Kommentars dies einfach mal so behaupten). Wie bringt nun ein Konzern einen Spanier, eine Ägypterin, eine Amerikanerin samt Familie dazu, dort auch zu bleiben? Es ist natürlich immer eine höchst individuelle Angelegenheit, sich wohlzufühlen, aber die Firma versucht explizit, für eine sanfte kulturelle Landung zu sorgen: Neuen Mitarbeitern wird ein bewusstes Wahrnehmen der kulturellen Besonderheiten des Landes in einem speziellen Onboarding-Seminar ermöglicht. Die Kenntnis über Geschichte, lokale Bräuche oder sprachliche Eigenheiten dreht oft basses Erstaunen der »Zuakroasten« in lächelndes Verständnis. Eine echte Win-win-Situation: Den Mitarbeitern fällt der tägliche Umgang in der ungewohnten Umgebung schlagartig leichter und das Unternehmen spart sich weitere teure Rekrutierungskosten.
Laut internationalen Studien verlassen durchschnittlich knapp 40 % der neu an Bord gekommenen Führungskräfte innerhalb von 24 Monaten wieder das Unternehmen. Sie scheitern an beiderseitigen falschen Erwartungen oder kulturellen Missverständnissen – oft, weil es an Unterstützung während der ersten Monate im neuen Betrieb fehlt. Deshalb haben viele Unternehmen eigene – mehr oder weniger formalisierte – Mentorenprogramme ins Leben gerufen, um dieser ungewollten Fluktuation zu begegnen. Dabei übernimmt eine in der Firma schon erfahrene und hierarchisch höher stehende Führungskraft eine Art Patenschaft für den neu ankommenden Mentee. Sie öffnet ihm Türen, gibt Ezzes und ist Sparringpartner bei den kniffligen Fragen der Unternehmenskultur. Gerade das abstrakte, aber stets wirksame Kraftfeld Unternehmenskultur ist ein Hort für Missverständnisse und bietet vielerlei Gelegenheiten, aus scheinbar unerklärlichen Gründen zu scheitern. Nicht umsonst wird Unternehmenskultur als »die Körpersprache eines Unternehmens« bezeichnet – und die sollte man möglichst schnell richtig deuten lernen. Von der Patenschaft profitieren aber auch die Mentoren, indem sie neue, unverbrauchte Sichtweisen auf das eigene Unternehmen gewinnen. Damit erhalten Top-ManagerInnen eine Chance, eingefahrene Bahnen zu überdenken und über eine allfällige vorhandene Betriebsblindheit zu reflektieren – denn »der Fisch im Wasser kann schon lange nicht mehr sagen, was nass eigentlich heißt«.
Letztlich geht es aber wie bei anderen »weichen« Faktoren auch beim Onboarding um harte Zahlen. Der Pharmariese macht Onboarding nicht zur altruistischen Steigerung des Wohlfühlfaktors. Es gilt primär, hohe Fluktuationskosten zu vermeiden, wenn teure Spezialisten bereits nach kurzer Zeit wieder »Pfiat enk!« sagen.
Der Autor:
Herbert Strobl ist Managementberater und Entwicklungsbegleiter mit Schwerpunkt auf Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre Führungs-erfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet seit vielen Jahren als systemischer Unternehmensberater, Executive-Coach und Wirtschaftsmediator.
www.herbertstrobl.cc