Sonntag, Dezember 22, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Alfred Leitner, Branchenmanager Bauwesen bei Quality Austria, über das Qualitätsbewusstsein in der Baubranche, die Voraussetzungen für eine Zertifizierung und wie eine Zertifizierung vor Insolvenz schützen kann.

Report: Wie ausgeprägt ist der Qualitätsgedanke im heimischen Bauwesen?

Leitner:
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Ausführungs- und Produktqualität ist in der Regel hoch. Woran es oft mangelt, ist die Qualität der internen Abläufe. Viele Unternehmen bringen Qualität immer noch ausschließlich mit der Güte ihrer Produkte und Dienstleistungen in Verbindung. Die Qualität der Geschäftsprozesse spielt hingegen kaum eine Rolle. Und in der Ablaufqualität gibt es im heimischen Bauwesen noch viel Luft nach oben. Das beweisen auch die Unternehmen, die bereits zertifiziert sind.

Report: Worauf muss sich ein Unternehmen einstellen, das eine Zertifizierung anstrebt?

Leitner:
Dem Unternehmen muss bewusst sein, dass es nicht darum geht, seine Kernprozesse zu zertifizieren. Ein gutes Produkt reicht dafür nicht aus.  Zertifiziert werden gesamtunternehmerische Abläufe. Es geht um die wirkungsvolle Regelung sämtlicher Prozesse, das reicht von der Qualität der Mitarbeiter bis zur Qualität bei Beschaffungsvorgängen. Gerade im Baubereich ist das eine heikle Angelegenheit, weil man auch die Vergabe von Subleis­tungen mit einbeziehen muss. Das ist schon eine große Herausforderung.

Report: Welchen Vorteil ziehen Unternehmen aus einer Zertifzierung?

Leitner:
Zertifizierte Unternehmen verbessern ihren Geschäftserfolg. Viele Konkurse in der Baubranche passieren bei vollen Auftragsbüchern. Die gehen nicht pleite, weil sie in ihrem Kerngeschäft schlecht sind, sondern weil kaufmännische Fehler gemacht werden. Deshalb sind auch zertifizierte Unternehmen viel seltener von Insolvenzen betroffen, weil sie ihre Abläufe im Griff haben. Und durch die qualitative Verbesserung der Abläufe steigert sich natürlich der wirtschaftliche Erfolg. Ein geregeltes Mahnwesen erhöht die Liquidität, eine genaue Ablaufdokumentation hilft, das Wiederholen von Fehlern zu vermeiden.  

Report: Die Anzahl zertifizierter Bauunternehmen ist in Österreich überschaubar. Woran scheitern Zertifizierungen hierzulande?

Leitner:
Es ist in den meisten Fälle eine Frage des Geldes und/oder der Manpower. Mit einer Zertifizierung ist natürlich ein gewisser Aufwand verbunden. Dafür braucht es das bedingungslose Commitment der obersten Führungsebene. Das Kos­tenthema ist differenzierter zu betrachten. Die Zertifizierung an sich ist günstig. Ein Unternehmen zertifizierungsreif zu machen, ist deutlich teurer. Aber alle diese Maßnahmen, die man im Zuge eines Zertifizierungsprozesses setzt, rechnen sich und kommen  mehrfach zurück. Untersuchungen zeigen, dass die Fehlerkosten eines Bauprojekts in der  Regel zwischen 4 % und 8 % der Errichtungskosten ausmachen. Das frisst die Marge der meisten Unternehmen. Viele dieser Fehler lassen sich aber ganz leicht verhindern, indem man die Abläufe optimiert.

Außerdem fällt zertifizierten Unternehmen der Nachweis der Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht bei Haftungsfragen viel leichter. Es gibt da eine Reihe von positiven Urteilen, die eine deutliche Sprache sprechen. 

Report: Böse Zungen könnten behaupten, Zertifizierungen würden nichts bringen, schließlich war auch die Alpine mehrfach zertifiziert?

Leitner:
Das ist wirklich ein heikles und schmerzhaftes Thema. Die Alpine hätte aus meiner Sicht nie zertifiziert werden dürfen. Es war ja nicht nur absoluten Brancheninsidern bekannt, dass die Alpine schlecht organisiert war, eine chaotische Führungsstruktur besaß und hauptsächlich mit Dumpingpreisen am Markt agierte. Da muss man immer auch genau darauf achten, wer eine Zertifizierung durchführt. In Deutschland gibt es mehr als 80 Zertifizierungsstellen, die mehrheitlich gewinn­orientiert am Markt agieren. Da gibt es natürlich auch das eine oder andere schwarze Schaf. Bei Quality Austria geht es nicht darum, Überschüsse zu produzieren. Erwirtschaftete Erträge werden entsprechend dem Non-profit-Charakter der Eigentümer reinvestiert. Dieses Qualitätsbewusstsein auch in Hinblick auf die zertifizierenden Stellen ist in Bereichen wie der Automobil- oder Pharmabranche schon viel deutlicher ausgebildet. Da gibt es in der Bauwirtschaft noch viel Aufholbedarf.


Die Folgen schlechter Organisation

Im Jahr 2012 waren laut Kreditschutzverband KSV1870 über 80 % der Insolvenzen hausgemacht. Sie beruhten auf Managementschwächen, falschen Entscheidungen oder Fahrlässigkeit. Nur 17 % der Insolvenzen waren auf externe oder nicht beherrschbare Umstände wie Krankheit oder höhere Gewalt zurückzuführen. 

38 % der Pleiten haben ihre Ursache in mangelnder oder falscher Planung. Zu den größten Fehlerquellen zählen das »Fehlen des unbedingt notwendigen kaufmännischen Weitblicks und der rationalen Planung bei Funktionsänderungen«. Bei einer Vielzahl von insolventen Firmen sind eklatante Mängel in der Organisation feststellbar. Apparate sind aufgebläht, Zuständigkeiten und Abgrenzungen sowie die innerbetrieblichen Potenziale in Sachen Produktivität und Kostensenkung nicht ausgeschöpft. Auch das Bewusstsein, laufend seine Prozesse zu verbessern, fehlt bei vielen Unternehmen fast gänzlich. Dazu kommt eine ungenügende strategische Planung, die sich zu stark an den operativen Kosten orientiert und nicht an realistischen Markteinschätzungen und der Beobachtung des Kundenverhaltens.

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