Die US-Medien sind in einer tiefen Krise und antworten mit Meinung statt Nachrichten. Eine aktuelle Studie beschreibt den Niedergang in Zahlen.
Vor drei Jahren, kurz nachdem ich mein Korrespondentendasein in den USA begonnen hatte, stieg ich aufs Dach des kleinen Reihenhäuschens, in dem wir wohnen, und installierte eine Sat-Schüssel - ganz Do-it-Yourself. Das Einrichten war ein Spaß für meinen Sohn und mich, aber kaum hatten wir das Rätsel gelöst, wie der Empfänger auszurichten sei, begann der Ärger. Wir empfingen tatsächlich – unendlich viele Sender, unendlich viel Schrott, auch bei den Mediengiganten ABC, NBC, CNN. Und nach einer Woche des Durchzappens entwickelt sich etwas, was ich bis dahin für unmöglich gehalten hätte: eine gewisse Sehnsucht nach dem ORF!
Das PEW-Research-Institut hat jetzt einen Bericht über den Zustand der US-Medien verfasst und den Niedergang in Zahlen beschrieben. Die Fernsehsender bestreiten mittlerweile rund 40 Prozent ihres Inhalts mit Wetter, Verkehrs- und Sportnachrichten. Selbst CNN, das sich als zentraler Nachrichtensender versteht, hat laut dieser Studie die selbstproduzierten redaktionellen Sendungen seit 2007 auf die Hälfte reduziert. Live-Berichterstattung ging um 30 Prozent zurück, dafür aber stieg die Anzahl der Interviews um 31 Prozent – die haben nämlich den Vorteil, dass man sie aufzeichnen kann, um sie irgendwann abzuspielen.
Wirklich Konjunktur hat nur die Meinungsmache. Spitzenreiter ist MSNBC: 85 Prozent der Sendezeit wird Meinung präsentiert. Das macht den liberalen Sender zum absoluten Spitzenreiter, weit vor den vielgescholtenen FOX-News des Medienmoguls Rupert Murdoch, die in 55 Prozent der Sendungen Meinung statt Fakten präsentieren. Als wahres Info-Armageddon erweist sich allerdings CNN, das seinen Anspruch völlig pervertiert, indem in 45 Prozent der Sendezeit Meinung gemacht wird und nur in 55 Prozent tatsächlich objektive Fakten berichtet werden.
Die PEW-Studie hat auch eine Erklärung an der Hand, warum sich das so entwickelt hat: Die arme Finanzkrise muss für alles herhalten.
Rund 28 Prozent aller Redakteure mussten den Hut nehmen und heute arbeiten in den Nachrichtenredaktion weniger Mitarbeiter als im Jahr 1978. Nicht einmal 40.000 vollangestellte Redakteure werken in den diversen »Newsrooms«, um 305 Millionen Amerikaner mit aktuellen Infos zu versorgen. Der Ausblick für Redakteure ist düster, weil sie starke Konkurrenz bekommen. Das Forbes Magazine etwa ersetzt Mensch durch Maschine und benutzt eine von Narrative Science entwickelte Software, die Nachrichten mithilfe eines komplexen Algorithmus zusammenstellt.
Wir haben nach einer Woche US-Fernsehen den Empfänger vom Netz genommen und seither nicht wieder angeschlossen. Die PEW-Studie zeigt jetzt: Wir sind in guter Gesellschaft. Immerhin 31 Prozent der US-Amerikaner sagen, sie haben ihrem Nachrichtensender den Rücken gekehrt, weil er nicht mehr liefert, was sie interessiert. Spannend ist dabei ein Detail: Jene, die um die finanziellen Sorgen eines Senders wissen, wenden sich noch früher und noch radikaler von ihm ab – und das Internet eröffnet endlos Möglichkeit, sich neue, vertrauenswürdige Quellen zu verschaffen. Online-Portale und Social-Media-Plattformen sind die klaren Gewinner in einer kriselnden Medienwelt ...