Samstag, November 23, 2024
Ein wichtiger Schritt – aber nur ein Zwischenschritt
Ales Presern ist General Manager von Siemens Energy in Österreich (Bild: Andi Bruckner/Siemens Energy Austria).

Das Gesetzespaket "Fit 55" der Europäischen Kommission zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Zuvor lag das Ziel bei 40 Prozent. In einem Kommentar fordert Ales Presern, General Manager von Siemens Energy Austria, dazu Mut zur Wahrheit und "Ehrlichkeit in der Debatte".

Die Energiewende gehört zu den großen Herausforderungen der Menschheit. Einerseits gilt es, den ständig steigenden Bedarf an Energie zu decken. Noch immer haben ca. 780 Millionen Menschen keinen Zugang zu verlässlicher Elektrizität, einer Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität. Andererseits zwingt uns der Klimawandel zu mehr Nachhaltigkeit. Die Ziele des Pariser Abkommens sind keine Option, sondern ein Muss. Zur Wahrheit gehört aber auch: Nur, wenn die Balance zwischen Nachhaltigkeit, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie erreicht wird, wird die Gesellschaft den Veränderungsprozess mitgehen. Mit dem „Fit for 55“-Paket legt die EU-Kommission heute ihr erstes Gesetzespaket vor, mit dem das neue Klimaziel von 55 Prozent erreicht werden soll. Das ist ein wichtiger Schritt. Doch Absichtserklärungen allein reichen nicht – was wir vor allem brauchen, ist mehr Geschwindigkeit.

Schnellerer Ausbau Erneuerbarer Energien und Netze
Aus Brüssel war bisher zu hören, dass die Kommission den Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bis zum Jahr 2030 auf 38 bis 40 Prozent erhöhen will. Das ist richtig. In Österreich habe wir ein ehrgeizigeres Ziel und wollen bereits mit 2030 einen 100%-igen Anteil (bilanziell) erreichen und bis 2040 klimaneutral sein. Wichtiger als einzelne Prozentpunkte ist aber, dass die Umsetzung von Projekten und vor allem die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Bis zum Bau einer Stromtrasse vergehen in Österreich bis zu zehn Jahre (siehe Salzburgleitung). Das ist viel zu lang, so gelingt keine Energiewende. Wir sollten den Mut haben, bestehende Regulierungen zu hinterfragen, inwieweit diese für die Erreichung der Ziele noch sinnvoll sind.

Rahmenbedingungen müssen stimmen
Das europäische Emissionshandelssystem auch auf den Verkehrssektor auszuweiten, ist richtig, reicht aber nicht aus. Für den signifikanten Anstieg klimaneutraler Kraftstoffe bräuchte es einen CO2-Preis von über 200 €! Das geht nicht von heute auf morgen. Eine e-fuels-Quote für den Transportsektor würde helfen. Und auch die Anpassung der „Energy Taxation Directive“ wäre ein wichtiger Beitrag: Länder können die Steuern für CO2-intensive Kraftstoffe erhöhen, für CO2-arme Kraftstoffe senken. Die Mitgliedstaaten haben es seit fast 20 Jahren nicht geschafft, sich gemeinsam auf eine Modernisierung der Richtlinie zu einigen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Keine technologischen Tabus
Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Welt sollte Technologieoffenheit bestehen. Zielsetzung ist die schnellstmögliche Minderung des CO2-Ausstoßes. Daher gibt es Anwendungsfälle, bei denen Zwischenlösungen, z.B. Beimengung von Wasserstoff zu Erdgas (greening the gas) sinnvoll sind, wenn damit kurzfristig die Ablösung CO2-intensiverer Energieträger möglich ist. Und auch Diskussionen etwa um die Farbenlehre beim Wasserstoff bringen uns nicht weiter. Schnelle Umsetzung von Projekten im industriellen Maßstab, auch mit dem Ziel, Lieferketten für neue Technologien aufzubauen, sind der richtige Ansatz, um als Europa im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.

Beihilferecht den Erfordernissen anpassen
Technisch ist vieles möglich. Wandel wird aber nur mit ausreichend hoher Geschwindigkeit erfolgen, wenn nachhaltige Ansätze durch entsprechende Geschäftsmodelle auch wirtschaftlich interessant sind. Forschungsgelder sind daher essenziell, um den Energie- und Industriestandort Europa zu fördern. Darauf reagiert die EU mit ihrem Fit-for-55 Paket genauso wie nationale Regierungen. Die Entscheidung Deutschlands, Wasserstoff als wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse zu fördern, ist richtig. 9 Milliarden Euro stellt die deutsche Bundesregierung dafür zur Verfügung, das ist sehr gut. Bisher wurden aber knapp 1 Prozent davon abgerufen, das ist zu langsam. Die in Österreich zur Verfügung gestellten 150 Millionen Euro sind hingegen zu wenig – auch in Betracht des immer ins Spiel gebrachten Verhältnisses 1:10 im Vergleich mit Deutschland. Das Beihilferecht muss sinnvoll angepasst werden, es darf nicht zum Hindernis der industriellen Fertigung werden.  

Und schließlich: mehr Ehrlichkeit in der Debatte
Statt zu polarisieren, müssen wir gemeinsam um Lösungen ringen. Dazu gehört auch mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Die derartige Umgestaltung unseres Lebens- und Wirtschaftsraums hat weitreichende Konsequenzen für Gesellschaft und Unternehmen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Transformation nicht kostenlos zu haben ist, mitunter auch schmerzhaft sein kann. Daher müssen wir Wege finden, die Kosten gerecht zu verteilen.
Wir sollten heute damit beginnen.

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