Wilhelm Petersmann, Vice President und Managing Director Austria & Switzerland bei Fujitsu, über die beschleunigte Digitalisierung in der Wirtschaft und worauf Unternehmen bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern achten sollten.
Report: Wie haben Sie in Ihrer Rolle als Technologiehersteller die letzten Monate erlebt? Wie ist es Ihrer Organisation ergangen – und welche Branche haben einen höheren Bedarf nach IT gehabt?
Wilhelm Petersmann: Die digitalen Kanäle sind enorm wichtig geworden. Wir haben in den letzten Monaten tatsächlich vermehrt Anfragen nach Services gehabt, wie etwa zusätzliche Präsenzzeiten für die Betreuung von IT-Infrastruktur. Unternehmen haben zusätzlich unsere Dienste beauftragt, weil sie eine höhere Verfügbarkeit und besseres System-Monitoring benötigt haben.
Unternehmen, die etwa auf Onlinehandel setzen und in denen allgemein zumindest auch Business-Automation etabliert ist, haben mit der Krisensituation leichter umgehen können. Fujitsu selbst hat in Österreich keine Kurzarbeit angemeldet – gerade auch unsere Hardware wurde in den vergangenen Monaten stark nachgefragt, denn viele Unternehmen haben sich infrastrukturseitig verstärken müssen.
Unser Unternehmen hatte in der Krise allein in Europa 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice. Auch bei uns waren am Anfang nicht alle mit Laptops ausgerüstet, also haben auch wir in unserem Global Delivery Centers entsprechende Maßnahmen treffen müssen.
So wurden beispielsweise die Servicedesks in Portugal und in Polen in einer – ich nenne es einmal so – Nacht-und-Nebel-Aktion sehr schnell mit Laptops und VPN-Lösungen ausgerüstet, um Anrufe unserer Kunden auch von zu Hause aus, integriert in allen Systemen, bearbeiten zu können. Ich bin hier auch auf unser Unternehmen stolz, denn die Umstellungen haben reibungslos funktioniert. Abgesehen auch von der Gesundheitsbranche hatte die Krise auch bei Banken und in der öffentlichen Verwaltung plötzlich zusätzliches Volumen generiert.
Viele systemrelevante Banken hatten Stützungsanträge abzuwickeln. Bei einem Fallbeispiel waren es 20.000 Anträge, die innerhalb von fünf Stunden auf einem Eingangsportal eingetroffen waren. Unternehmen, die darauf nicht vorbereitet waren und solche sprunghaften Zuwächse technisch nicht stemmen können, haben natürlich ein Riesenproblem.
Report: Erwarten Sie, dass Unternehmen nun für nächste mögliche Krisensituationen bereits besser aufgestellt sind? Welche Trends sind zu erwarten?
Petersmann: Ich glaube schon, dass wir aus der Covid-Krise heraus nachhaltige Effekte haben. Viele Unternehmen werden vermehrt in Business Automation investieren. Ich erwarte insbesondere eine gesteigerte Nachfrage nach »RPA – Robotic Process Automation«. Im Bereich der Banken und Versicherungen sehen wir das Thema »Straight-through Processing«: Damit wird etwa ein Kreditantrag durch die Bankensysteme ganz ohne persönlichen Betreuer und manuelle Überprüfungen durchgeroutet. In einer weltweit durchgeführten Umfrage von Fujitsu mit 26.000 Teilnehmern wurde festgestellt: Menschen fordern von ihren Banken digitale Services ein. 50 % wollen ein Konto online, ohne Präsenzkontakt eröffnen.
Es sind genau diese schlanken Prozesse, die der Vorteil der sogenannten Challenger-Banken sind. Natürlich sind weiterhin auch Bankenberater von Angesicht zu Angesicht wichtig, aber das könnte vielleicht auch über Video geschehen. Einhergehend mit diesen Veränderungen kommt es auch zu einem Wandel des Geschäfts.
Bleiben wir im Finanzbereich, wo in Kombinationen von Daten völlig neue Produkte entstehen: Smart Insurance ist so ein Beispiel. Ein Versicherer kann Alarmanlagen-Daten direkt in seine Services integrieren und so »data driven« Risiken bewerten und entsprechend bepreisen. Und das, was heute im Onlinehandel schon möglich ist, wird auch in anderen Dienstleistungsbranchen nachgefragt werden. Ich sehe hier keinen Weg zurück. Die Automatisierung wird immer schneller.
Report: Können Sie Ihren Kunden das Probieren und Experimentieren abnehmen? Wie weit lässt sich so etwas an Technologiedienstleister abgeben?
Petersmann: Zentral ist hier die Frage, wie ich meine Geschäftsanforderungen mit jenen Möglichkeiten verknüpfen kann, die eine moderne IT heute bietet. Wir haben dazu den Ansatz einer »Digital Co-Creation«. Dabei arbeiten Fachabteilungen gemeinsam mit der IT-Mannschaft des Unternehmens und ebenso externen geschäftsrelevanten Fachleuten und Dienstleistern wie Fujitsu an Problemstellungen. Wir strukturieren Workshops hier mit einem kreativitätsfördernden Ansatz – die Innovationsmethode wird »Active Aid« genannt.
Man kann damit zukünftige Anforderungen auf Business-Seite antizipieren und auf der anderen Seite auch die technologischen Möglichkeiten in den Ring werfen.
Die Beteiligten müssen auch nicht alles neu erfinden: Mit sogenannten »Building Blocks« kann schon ein großer Teil von Digitalisierungs- und Business-Automatisierungs-Aufgaben abgedeckt werden. Im Idealfall führt das zu neuen Geschäftsmodellen, aber auch zu neuen Produkten. Und das Beste daran ist, dass es nicht auf die Unternehmensgröße ankommt.
Report: Welche Bereiche außerhalb der Technologieebene sollten in Innovationsprojekten diskutiert werden?
Petersmann: Nur die Sichtweise der Technik allein wird für ein neues Geschäftsmodell vermutlich zu wenig sein. Wirkliche Veränderungen schaffe ich nur, wenn ich Business und IT in einen Raum sperre und die Änderungen im Markt und Geschäftsverhalten der Zielgruppen antizipiere. Man kann Veränderungen auch bewusst herbeiführen.
Bei Innovationen brauche ich alle Aspekte einer Produkt- oder Serviceumgebung am Tisch: die Applikationsebene, Datenbanken, Kommunikation und Infrastruktur. Ich sehe auch das starre Produktportfolio von Unternehmen künftig der Notwendigkeit der Skalierung, der ständigen Verbesserung und eben auch Automatisierung weichen. Wer das heute – gemeinsam über seine unterschiedlichen Unternehmensbereiche hinweg – nicht genügend beachtet, hat spätestens bei der nächsten groben Marktveränderung Probleme. Der Ansatz hilft unseren Kunden, wesentlich schneller mit neuen Situationen umzugehen.
Wir haben während der Beschränkungen Workshops bereits auch im virtuellen Raum, über Web-Sessions durchgeführt. Wir bieten das nicht nur Großunternehmen, sondern auch Partnern und kleineren Firmen an, die selbst nicht die großen Strategieabteilungen haben. Im Regelfall dauert ein Workshop ein oder zwei Tage. Man geht danach mit einzelnen Elementen in einen »Proof of Concept« oder »Proof of Value« und setzt diese agil schrittweise und rasch um.
Das Schöne an der Digitalisierung ist, dass währenddessen meist weitere gute Ideen entstehen. Das pflanzt sich immer weiter fort.