Der Baustellenbetrieb in Österreich ist weitgehend eingestellt. Mit mehrwöchigen, unter Umständen auch mit mehrmonatigen Stillständen ist jedenfalls zu rechnen. Die dadurch verursachten Mehrkosten betragen mehrere Milliarden Euro. Es stellt sich daher die Frage, wer diese durch COVID-19 verursachten Kosten zu tragen hat.
Ein Appell zum Risk-Sharing von Stephan Heid, Heid und Partner Rechtsanwälte.
Gleichgültig, ob es sich um einen ÖNORM-Vertrag (grundsätzlich vorteilhaft für Auftragnehmer) oder einen abweichenden Individualvertrag (grundsätzlich vorteilhaft für Auftraggeber) handelt, die Rechtslager für die Frage, wer welches Risiko trägt, ist in vielen Fällen unklar. Diese Rechtsunsicherheit würde erst durch die in ein paar Jahren folgende höchstgerichtliche Judikatur zum Thema COVID-19 geklärt werden, was für beide Seiten wiederum mit erheblichen Risiken und Kosten verbunden wäre.
Damit das Ende von COVID-19 nicht der Anfang eines großen Rechtsstreits wird, muss bereits jetzt eine rechtlich stabile Situation für alle Projektbeteiligten geschaffen werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Projekte nach der Krise wieder mit vollem Einsatz von beiden Vertragsparteien fortgesetzt werden und die Ressourcen nicht in langwierigen Rechtsstreitigkeiten verpuffen.
Zusatzvereinbarung Risk-Sharing
Mit dem Abschluss einer »COVID-Zusatzvereinbarung-Bau mit Risk-Sharing« kann der zukünftige Projekterfolg für Auftraggeber und Auftragnehmer bestmöglich abgesichert werden. In dieser Vereinbarung wird basierend auf der aktuellen Problemstellung und abhängig von den vertraglichen Grundlagen eine gemeinsame partnerschaftliche Lösung für die Einstellung, die Zeit des Stillstandes und den »Neustart« der Baustelle festgelegt.
Insbesondere die Vorgehensweise zur Einstellung (z.B. kurzzeitiges Weiterarbeiten mit reduziertem Personal [Abstand von einem Meter kann leicht eingehalten werden], bis bestimmte zentrale Meilensteine erreicht sind), der Umgang mit Pönalen, die Kostentragung (insb. zeitgebundene Kosten, bereits bestellte Materialien usw.), Sicherungsmaßnahmen, Dokumentation des aktuellen Stands der Baustelle und die Risikoverteilung inklusive Risk-Sharing sowie die Strategie zum »Neustart« der Baustelle werden in der COVID-Zusatzvereinbarung-Bau im Detail geregelt.
Drei Risikosphären
In der Zusatzvereinbarung sollten alle mit COVID-19 im Zusammenhang stehenden Risiken, hinsichtlich deren Auslegung erhebliche Rechtsunsicherheit besteht, in einer neuen gemeinsamen Risikosphäre geregelt werden (Risk-Sharing). In der Zusatzvereinbarung werden somit insgesamt drei Risikosphären vorgesehen:
- Sphäre Auftraggeber: Gemäß der vertraglichen Vereinbarung klar zuordenbare AG-Risiken (z.B. Baugrund). Die monetären Auswirkungen des Risikoeintritts werden vom Auftraggeber getragen.
- Sphäre Auftragnehmer: Gemäß der vertraglichen Vereinbarung klar zuordenbare AN-Risiken (z.B. Kalkulationsrisiko). Die monetären Auswirkungen des Risikoeintritts werden vom Auftragnehmer getragen.
- Gemeinsame Risikosphäre: Gemäß der vertraglichen Vereinbarung nicht klar zuordenbare Risiken im Zusammenhang mit COVID-19. Die monetären Auswirkungen des Risikoeintritts werden von Auftraggeber und Auftragnehmer nach einem vertraglich festzulegenden System gemeinsam getragen.
Fazit
Die Regeln für die Einstellung, den Stillstand und den Neustart der Projekte nach der COVID-Krise können bereits jetzt von Auftraggeber und Auftragnehmer gemeinsam im Rahmen einer Zusatzvereinbarung festgelegt werden. Aufgrund der zahlreichen rechtlichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit COVID-19 ist dies der zweckmäßigste Weg, um die für den Fortgang des Projekts erforderliche rechtliche Stabilität zu gewährleisten.