Sonntag, Dezember 22, 2024
»Es gibt  für jedes Unternehmen Einsatzmöglich­keiten«
Foto: Accenture

Michaela Jungwirth ist für Projekte im Bereich künstliche Intelligenz und Datenanalysen bei Accenture in Österreich verantwortlich. Die Wirtschaftsinformatikerin spricht über Merkmale von KI-Lösungen und Anwendungsbeispiele bei ­Unternehmen.

Zur Person: Michaela Jungwirth ist seit 2015 bei Accenture. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt in der Konzeption und Umsetzung von Machine-Learning- und Artificial-Intelligence-Projekten. Jungwirth studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Wien und arbeitete davor bei einem Start-up im Bereich Smart Home Automation.

(+) plus: Sie behaupten, künstliche Intelligenz wird alle Geschäftsfelder durchdringen. Aus welchem Bedarf heraus sollte dies passieren?

Michaela Jungwirth: Wir sehen, dass immer mehr Daten in allen Wirtschaftsbereichen generiert werden. Diese stammen aus den unterschiedlichsten Quellen und der Mensch hat gar keine Chance mehr, die Übersicht zu bewahren. In einer U-Bahn-Station beispielsweise gibt es zahlreiche Bildschirme, die – unterstützt durch KI – auch von einem einzigen Mitarbeiter lückenlos überwacht werden können. Dabei wird mittels »Computer Vision«, dem maschinellen Verstehen von Bildern, die Aufmerksamkeit auf jene Bereiche gelenkt, wo gerade etwas Auffälliges oder Verdächtiges passiert.

Das Beispiel lässt sich generalisieren: eine Vielzahl an Informationen wird für den menschlichen Anwender strukturiert und zielgerichtet aufbereitet. Sie müssen aber so aufbereitet werden, dass die Ergebnisse für den Endnutzer greifbar und plausibel sind. Wir nennen das »Explainable AI«.
KI ist eine zukunftsweisende Technologie, die weit über nur ein Tool hinausgeht. KI ist kein Stück Software, sondern ein Teil des Geschäfts in Unternehmen, der automatisiert wird, um Menschen mitunter auch bei repetitiven Tätigkeiten zu entlasten. Dazu zählt man auch Bereiche wie »Robotics Process Automation«.

(+) plus: Wie lässt sich genügend Vertrauen in eine Technologie herstellen, damit diese von Menschen auch tatsächlich genutzt wird?

Jungwirth: Die wichtigsten Grundlagen für erfolgreich durchgeführte Projekte sind sicherlich die klare Offenlegung und Erklärung für die Anwender, was überhaupt mit der  neuen Technologie beabsichtigt wird – von der Datenaufbereitung über die Modellierung bis zur Visualisierung und der Interpretierbarkeit fürs Business. Bei KI-Projekten ist es wie bei allen IT-Projekten: IT und Fachbereich müssen miteinander sprechen und an einem Strang ziehen. Die Menschen hier zusammenzubringen, ist die große Aufgabe. Dann lässt sich auch gemeinsam an der nötigen Datenqualität, die man für KI-Systeme schon braucht, arbeiten.

(+) plus: Haben Sie Beispiele aus der heimischen Unternehmenslandschaft für erste Versuche, KI-Lösungen anzuwenden?

Jungwirth: Wir reden bei KI nicht mehr von Versuchen, sondern haben Kunden, die Lösungen bereits in ihren Produktivprozessen verwenden. Bei einer österreichischen Versicherung etwa werden mit einem Machine-Learning-Modell über 170.000 Posteingangs-Dokumente aus den unterschiedlichsten Kanälen nach ihren Inhalten klassifiziert und automatisch zum passenden Prozess, zur Abteilung und dem Mitarbeiter weitergeleitet. In einem weiteren Schritt werden aus den Dokumenten dann auch einzelne Inhalte wie etwa eine IBAN extrahiert werden, die man nicht mehr abtippen muss. Das bringt enorme Arbeitserleichterung.

Die Unternehmen versuchen, ein besseres Bild zu den Aktivitäten ihrer Kunden zu bekommen. Wie oft nutzt ein Kunde einen Servicekanal? Welche Produkte nutzt er? Wie oft beschwert er sich? Mit der Kombination und Analyse dieser Datenquellen entsteht eine einheitliche Sicht. Das macht es einfacher, seine Kunden gezielt zu passenden Angeboten zu informieren und hilft auch – bei Telekommunikationsbetreibern etwa – abwanderungswillige Kunden frühzeitig zu erkennen. Hier sind Algorithmen im Einsatz, die auf Basis des bisherigen Verhaltens des Kunden – Informationen dazu liegen oft in den unterschiedlichsten Systemen – die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung innerhalb der nächsten drei Monate berechnen können. Wie man dann diesen Kunden anspricht, obliegt dem Unternehmen. Entscheidend ist, überhaupt über die drohende Abwanderung Bescheid zu wissen.

(+) plus: Bei der Entwicklung von KI-Lösungen zeigt sich, dass selbstlernende Systeme, was die Ergebnisse betrifft, auch unerwünschte Richtungen einschlagen können. Sollten diese Lernphasen also ausschließlich begleitet – »supervised« – ablaufen?

Jungwirth: Das kommt auf den Anwendungsfall an – wir entwickeln beide Lern-Systeme. Für die automatisierte Klassifikation von Eingangsdokumenten würde man einen supervised Machine-Learning-Algorithmus antrainieren. Dies passiert auf Basis von bereits vorgenommenen Zuteilungen – welche Dokumente man welcher Abteilung oder welchem Geschäftsprozess zugeordnet hat –, ohne aber die Parameter dazu im Detail abzustecken. Die Zuordnung einer gro­ßen Zahl an Kunden in verschiedene Zielgruppen könnte »unsupervised« passieren. Natürlich gibt es auch den Mix von supervised und unsupervised, wenn dem System doch vorab auch eine Erklärung geliefert wird, warum der Kunde in dieser bestimmten Gruppe landet.

(+) plus: Wie einfach oder schwierig ist es nun, KI-Projekte aufzusetzen?

Jungwirth: Das ist weniger eine Frage der Technologie. Mit welcher KI-Plattform, ob in der Cloud oder nicht, das Projekt technisch umgesetzt wird, obliegt der Entscheidung des Kunden. Hier ist alles möglich, bis hin zu Open-Source-Plattformen. Viele aber tun sich anfangs schwer, einen Einsatzfall für KI zu finden. Deshalb definieren wir gemeinsam mit Unternehmen zunächst eine »AI Roadmap«. Sie beinhaltet die Frage nach den passenden neuen Technologien aber auch Experten, die ich im Unternehmen möglicherweise dafür brauche. Ein erster Proof-of-Value, in dem wir zeigen, dass es mit den eigenen, vorhandenen Daten funktioniert, ist innerhalb von zweieinhalb bis drei Monaten erstellt. Je nach Anwendungsfall und genügend weiterem Training mit Daten sind dann die fertigen Geschäftsprozesse – wie es bei der Klassifikation der Eingangsdokumenten war – spätestens nach sechs Monaten live geschalten.

Mein Fazit ist: KI bietet sehr große Chancen und es gibt für jedes Unternehmen Einsatzmöglichkeiten. Es gilt nur noch, diese zu finden.

Technologietrend Citizen AI

Aus künstlicher Intelligenz wird der Kollege KI: Je stärker künstliche Intelligenz in unsere Welt integriert wird, desto größer wird ihr Einfluss auf Entscheidungen in der Geschäftswelt. Damit steigen die Anforderungen an die Technologie und auch die Verantwortung, der die KI im gerecht werden muss. Angewandte KI kann nur funktionieren, wenn sie in unsere Gesellschaft integriert ist – Accenture nennt das die »Citizen AI«, die KI als Mitbürger oder Kollege. In dem Whitepaper »Accenture TechVision 2018« definiert der IT-Dienstleister zwei essenzielle Erfolgsfaktoren einer Technologie-Evolution rund um KI: »Responsible« und »Explainable AI« für den verantwortungsvollen und vertrauensvollen Umgang mit Technik als Basis für die Akzeptanz durch die AnwenderInnen.

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